Home Office international

Der Wiener Daniel Kravtschenko ist von Basel aus für den Vertrieb der US-Videokonferenz-Plattform Zoom in der Schweiz, in Österreich und in ganz Osteuropa verantwortlich. Ohne angemieteten Büroraum.

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Daniel Kravtschenko: Der Wiener lebt heute in Basel und berät für Zoom europäische Großkonzerne, wenn es um das Thema digitale Kommunikation geht. © Reinhard Engel

300 Millionen Nutzer. Täglich. Das ist eine schlanke Zahl, und sie ist in der Pandemie förmlich explodiert. 2011 gründete der geborene Chinese Eric Yuan in Kalifornien das Software-Unternehmen Zoom, das sich zunächst auf Videokonferenzen konzentrierte. Acht Jahre später, nach mühsamer Investoren-Suche, inzwischen notierte die Firma an der US-Technologiebörse Nasdaq, war man immerhin bei 20 Mio. täglichen Nutzern angekommen. Lockdowns und Home Office ließen diese Zahlen dann steil nach oben schießen. Im aktuellen Geschäftsjahr wird Zoom rund vier Milliarden Dollar umsetzen und schreibt schwarze Zahlen.

Zoom funktioniert ähnlich wie andere global aktive IT-Unternehmen. Die Basisversion ist gratis, das bedeutet im Fall Videokonferenz Limits für Dauer und Teilnehmer. Wer – etwa als Unternehmen oder als Universität – mehr möchte, muss ein Abo bezahlen. Und ganz oben auf dieser Pyramide sitzen die Konzernkunden, im Fall von Zoom sind das etwa 200.000 weltweit. Dort ist das Geschäft wirklich lukrativ.

Daniel Kravtschenko ist von Basel aus für den Vertrieb der US-VideokonferenzPlattform Zoom in der Schweiz, in Österreich und in ganz Osteuropa verantwortlich. Er zielt dabei mit seiner zweistelligen Zahl von Mitarbeitern genau auf diese Gruppe: große Unternehmen, egal ob sie nun im jeweiligen Land heimisch sind, oder ob es sich um Netzwerke globaler Konzerne handelt. Kravtschenko spricht zwar nicht über seine Kunden, gibt aber einen Überblick, wer etwa in den USA oder in Europa zu diesem Kreis zählt: „Im Jahr 2021 hatte die Hälfte der Fortune-500-Unternehmen einen Vertrag mit Zoom, sogar 70 Prozent der Fortune 100. In Deutschland gehörte die Hälfte der Dax-40-Unternehmen dazu, ebenfalls die Hälfte der größten Banken der Welt und von den 50 Spitzenuniversitäten der USA immerhin 46.“

Dabei geht es natürlich nicht mehr nur um Video-Meetings. Kravtschenko: „Zoom ist eine Plattform mit einer ganzen Palette von Angeboten für Unternehmen und Organisationen. Dazu gehören neben den Konferenzen die Videotelefonie, das Einrichten von Webinaren, also Online-Bildungsveranstaltungen, es geht bis zu virtuellen Events von 10.000 Teilnehmern oder zu Call Centern, die jetzt Contact Center heißen. Bei denen hört man das Gegenüber nicht mehr nur am Telefon, sondern kann es auch im Bild sehen.“

Wo er selbst seinen Computer aufgestellt hat? „Im Home Office in Basel. Auch meine Mitarbeiter, zwischen Lausanne, Bern und Wien, arbeiten so. Wenn sie es brauchen, können sie sich kurzzeitig Büroräume anmieten.“ Kravtschenko berichtet an seinen Vorgesetzten nach Deutschland, auch diesen erreicht er im Home Office. Fixe Büros betreibt Zoom nur in den USA und in den Niederlanden.

 

Home Office und Videokonferenzen sind auch ohne
aktuelle Lockdowns aus der Geschäftswelt nicht mehr wegzudenken.

 

Kravtschenko wurde 1983 in Wien geboren, 2001 maturierte er an der jüdischen Zwi-Perez-Chajes-Schule, anschließend studierte er Wirtschaftsinformatik am Technikum Wien. Er wollte immer etwas im Zusammenhang mit Technik machen, war sich aber über die unterschiedlichen Möglichkeiten im Unklaren. „Ich habe zwar gelegentlich in der Textilfirma, die mein Großvater in Wien gegründet hat, mitgearbeitet, Dennoch habe ich nicht gewusst, wie größere Unternehmen aufgebaut sind, welche Abteilungen und Aufgaben es da gibt, etwa Einkauf, Lager, Vertrieb. Was ich gewusst habe, war, dass mich dabei die rein technische Seite am wenigsten interessiert.“

Sein erster Job führte ihn in Wien zu IBM und ins Consulting. Er beriet dabei zuerst große Firmen über die Unternehmenssoftware SAP, dann wollte er sich verändern und ließ sich für den Vertrieb ausbilden. „Da habe ich am Anfang ganz kleine Kunden – klassischen Mittelstand – in ganz Österreich abgeklappert, mit dem Auto und mit dem Zug.“ Dabei konnte er sich schnell profilieren und bekam sukzessive mehr Verantwortung. Die Bezahlung stimmte auch: „Für einen Mittzwanziger habe ich recht gut verdient, konnte mir eine eigene Wohnung leisten.“

Doch bald zog er weiter, der Liebe nach. Seine damalige Freundin und heutige Frau ist Schweizerin, also bewarb er sich für einen Job in Zürich und bekam ihn, damit auch die Aufenthaltsgenehmigung. Dort betreute er für Gartner Research zwei besonders wichtige Kunden: eine der größten Banken der Schweiz und Europas und eine der bedeutendsten Versicherungen.

Gartner berät auf globaler Ebene Firmen beim Einsatz von Informationstechnologie: „Wir machten Marktanalysen, untersuchten Best Practices, analysierten Abläufe.“ Auf dieser Basis empfahlen die Consulter dann etwa den Großbanken, welche Computer, welche Programmpakete für ihre Aufgaben notwendig wären. „Dabei hatte ich vorher eigentlich keine Erfahrung mit Unternehmen aus der Finanzbranche.“

Der nächste Wechsel brachte ihn dann zu SAP in Zürich. Er hatte inzwischen geheiratet und pendelte mit Auto oder Bahn von Basel aus, wo seine Frau ihren Arbeitsplatz hatte. Es folgten die Kinder, inzwischen sind es vier, darunter einmal Zwillinge. Mit einem Team von sechs Mitarbeitern verkaufte Kravtschenko komplexe Softwarepakete an Schweizer Großunternehmen. Nach mehreren Jahren leitete er dann für Amazon Web Services einen neuen Vertrieb für mittelständische Unternehmen, da hatte er schon zwölf Mitarbeiter.

Die Anzeige von Zoom machte ihn gleich neugierig. Es ging darum, auch hier einen Vertrieb komplett neu aufzubauen, zunächst einmal für die Schweiz und für Österreich. „Ich habe dort überhaupt niemanden gekannt, sonst hat man ja in der Branche so seine Netzwerke.“ Dennoch wagte er im Juli 2021 den Sprung und ist jetzt „total glücklich“. Er sitzt nicht mehr täglich zwei Stunden im Zug, kann entspannt die Kinder in den Kindergärten bringen, ein interessantes Produktportfolio anbieten. In Osteuropa hat ihn freilich der russische Überfall auf die Ukraine kalt erwischt, im ganzen Bereich der ehemaligen GUS-Staaten ist es momentan sehr schwierig. Aber zu seiner Region gehören auch entwickeltere und friedlichere Märkte wie Polen, Ungarn oder Tschechien. Home Office und Videokonferenzen sind auch ohne aktuelle Lockdowns aus der Geschäftswelt nicht mehr wegzudenken

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