Hommage an Luc Bondy

Marie-Louise Bondy-Bischofberger ist die Wiederbelebung der legendären SalomeInszenierung des jüdischen Theatermagiers vollends gelungen. Sie zehrt noch immer von den Erinnerungen an die 28 gemeinsamen Jahre.

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Eine Hommage an Luc Bondy in Erinnerung an seine ganz besondere Beziehung zu Wien. © Reinhard Engel

WINA: Sie feierten Ihr Debüt an der Volksoper mit der szenischen Einstudierung der Salome von Richard Strauss, einer Produktion, die ursprünglich Ihr verstorbener Mann Luc Bondy für die Salzburger Festspiele 1992 erfolgreich erarbeitet hat. Die Kritiker lobten jetzt durchwegs Ihre Auffrischung dieser Inszenierung. Wie kam es zu diesem Engagement?
Marie-Louise Bondy-Bischofberger:
Das Angebot kam von Direktorin Lotte de Beer. Prinzipiell würde ich nie eine Oper oder ein Theaterstück von Luc wieder aufnehmen, aber in diesem konkreten Fall ist es eine Hommage an ihn, also eine schöne und passende Erinnerung, darum habe ich ja gesagt. Nur hier, nur einmal und vor allem, weil Lucs enger Freund, Martin Schlaff, als Sponsor daran beteiligt ist. Außerdem hat die wunderbare Lotte de Beer eine Art, Regie zu führen, die auch der Auffassung von Luc gleicht. Zusätzlich haben wir Glück, dass viele Mitarbeiter von damals noch dabei sind: der Bühnenbildner Erich Wonder, die Choreografin Lucinda Childs und Alexander Koppelmann fürs Licht – sonst hätte ich das nicht gemacht.

Wie kann man sich Ihre szenische Rekonstruktion der Salome vorstellen? Gingen Sie nach den Regie-Aufzeichnungen Ihres Mannes vor?
I Wir haben mit Luc immer wieder gelacht über Wiederaufnahmen so nach 20 oder mehr Jahren, wo bereits der vierte Assistent vom ursprünglichen Assistenten am Werk war und man sich zum Schluss fragt, warum steht dieser Mann dort links, was hat das für eine Bewandtnis? Zu Ihrer Frage: Ich habe diese Salome schon vor fünfzehn Jahren an der Mailänder Scala gemacht, mit einer langen Vorbereitungszeit, ich habe daher vier Aufzeichnungen und reichlich Notizen von damals. Aber die Räume sind an der Scala anders als an der Volksoper, daher erforderte das nochmal zwei Monate intensive Arbeit, aber eigentlich muss man alles im Kopf haben. Und die Sänger sind natürlich andere. Sie sind neu und anders, aber zusammen finden wir die Sprache, die Lucs Sprache war. Es ist schon wunderbar, das gerade in Wien für Luc zu machen, denn er hat Wien sehr geliebt – und daher ist das eine Ausnahme.

 

„Wenn Leute zu ihm sagten:
,Sie sind ein Kosmopolit‘,
so war das für Luc eine klare antisemitische Anspielung.“
Marie-Louise Bischofberger-Bondy

 

 

Die Salzburger Inszenierung von Bondy war seinerzeit derart erfolgreich, dass sie vom Royal Opera House Covent Garden in London und vom Théâtre Royal de La Monnaie in Brüssel übernommen wurde. 2007 betreute sie Bondy noch selbst an der Scala?
I Nein, Luc hat sie mir 2007 übergeben, damit ich sie an der Scala für ihn mache. Er ist zur Generalprobe gekommen und freute sich über das Resultat. Das hat mich ermutigt, die Wiederbelebung seiner tollen Inszenierung an der Volksoper nochmal zu machen. In den gemeinsamen Jahren habe ich sehr viel von ihm gelernt und so auch eine Menge seiner Schaffensweise verstanden. Denn als Gerard Mortier ihm die Regie in Salzburg angeboten hatte, sagte er, er wolle „keinen Zuckerkuchen mit Schlagsahne und Konfitüre machen“, denn damals war es üblich, das Stück von Oscar Wilde zu orientalisieren. Was ihn überhaupt an Salome interessierte, war das Thriller-Element, dieser dichte Familienkrimi. Luc hat aus dieser Geschichte ein wildes Geflecht herausgeholt und etwas Eigenständiges für sich entdeckt.

Luc Bondy war ja von dieser Richard-Strauss-Oper nicht gerade begeistert, an einer Stelle wird er zitiert mit den Worten: „Als ich Salome erneut anhörte, fand ich die pompöse, überwältigende Musik entsetzlich […], letztlich hat es mir doch Spaß gemacht. Was nur beweist, dass man die Dinge, die man macht, nicht immer übermäßig mögen muss.“ Was hat Bondy dennoch für sich entdeckt?
I Das „Familiendrama“. Die Erfindung des Küchentisches, denn wo verhandelt eine Familie? Am Küchentisch! Das zentriert die ganze Geschichte, fokussiert auf die Familie und das Thema, um das es geht: In diesem Palast gibt es keine Liebe, nur das Begehren. Noch etwas sehr Wichtiges hat Luc erkannt: Er hat Salome mit Alban Bergs Lulu in der gleichnamigen Oper verglichen: Dass nämlich die wilde Lulu den Mann mit dem Revolver erschießt, ist glaubwürdig, aber eine Salome, die den Kopf des Jochanaan fordert, ist weniger nachvollziehbar. Insofern ist es metaphorisch und literarisch hier die größere Leistung, das verständlich zu machen. Luc meinte daher, man könne diese Figur nicht vom Ende her denken, sondern in den 90 Minuten zeigen, verfolgen und auch spüren, wie eine naive Person zur Mörderin wird.

Luc Bondy (1948–2015) war Wien spätestens ab 1997 eng verbunden, wenn auch mit der ihm eigenen kritischen Klarsichtigkeit. © HEINZ-PETER BADER / REUTERS / picturedesk.com

Bei den Wiener Festwochen 2011 war Giuseppe Verdis Rigoletto in der Regie von Luc Bondy ein großes Erlebnis. Es war eine Koproduktion mit der New Yorker Met und der Mailänder Scala, und der Dirigent war schon damals Omer Meir Wellber, der derzeit die von Ihnen betreute Salome an der Volksoper dirigiert. Wie kamen eigentlich Bondy und Wellber zusammen?
I Stéphane Lissner, der sowohl Chef des Festivals von Aix-en-Provence wie auch der Scala und der Pariser Oper war, sucht und findet immer tolle junge Dirigenten, so war auch Wellber eine Trouvaille von ihm. Luc und Omer haben sich gut verstanden, das Temperament hat gestimmt: Omer ist von einer unglaublichen Musikalität, von einem riesigen Temperament.

Das Verhältnis von Luc Bondy zu Wien war stets ambivalent. Er machte sich keine Illusionen über den subkutanen und auch offenen Antisemitismus in dieser Stadt. In einem Interview zwei Jahre vor seinem Tod sagte er: „Mit Wien habe ich eine Hassliebe, doch die Liebe ist größer.“ Wie haben Sie seine Erfahrungen an seiner Seite erlebt?
I Luc hat diese atmosphärischen Stimmungen gespürt, er war wie ein Seismograf. Als er sich gegen Jörg Haider engagierte, legte man uns einen Tierschädel vor die Gartentüre, das war nicht angenehm. Luc hat als Bestandteil des Jüdisch-Seins für sich eine gewisse Form von Kraft, Stolz und Humor entwickelt. Als Kind einer Tänzerin, die wegen der Shoah keine Karriere machen konnte, und eines intellektuellen Vaters, besaß er eine bestimmte Melancholie, wissend, dass man anders ist, aber mit diesem Anderssein auch selbstbewusst umgeht. Wenn Leute zu ihm sagten: „Sie sind ein Kosmopolit“, so war das für Luc eine klare antisemitische Anspielung – da ist er schon scharf hineingefahren.

Bezieht sich das nur auf Wien?
I Nein, auch in Frankreich hat er sich eingemischt, z. B. als in der Tageszeitung Le Monde die Linke heiße Themen anfasste und sich automatisch mit der arabischen Seite solidarisierte. Da gab es heftige Auseinandersetzungen mit Freunden. Luc ging nicht konform mit der Politik in Israel, aber er hat den Antisemitismus gespürt in der Art, wie diese Diskussionen geführt wurden. Ich kann mich an große Streitigkeiten zu Hause erinnern, weil Luc nicht ertragen konnte, dass Freunde über die Politik Israels ihren Antisemitismus ableiteten – da war er sehr vehement.

Kommen wir zu Ihnen als vielbeschäftigte Autorin, Dramaturgin und Regisseurin, die weltweit, in Italien, Frankreich, von Rumänien bis Australien, verschiedenste Projekte realisiert. Sie haben sich jüngst gemeinsam mit dem Dirigenten David Stern und dem franco-amerikanischen Schauspieler Dominic Gould dem Leben und Leiden Lorenzo Da Pontes gewidmet?
I Ja, das ist eine faszinierendes Projekt, das seit März 2023 an vielen Orten gezeigt wird und wunderbar ins Theater an der Wien passen würde. Da Ponte ist ja nicht nur die Geschichte eines Juden aus dem Ghetto von Venedig, sondern jene des gefeierten Librettisten von Mozart und Salieri, der ständig Schulden machte und vor seinen Gläubigern bis nach New York fliehen musste. Dort zählte er dann zu den Gründern der Met. Wir haben gemeinsam vier Jahre gebraucht – der Dirigent David Stern, Sohn des berühmten Geigenvirtuosen Isaac Stern, die Pariser Philharmonie, die Opera Fuoco –, bis wir das ganze Amalgam beisammen hatten, die Musik und den Rhythmus zwischen Text und Musik. Denn in We are eternal – Les mémoires de Lorenzo Da Ponte steckt nicht nur viel Herzblut von mir, sondern es enthält auch großartige Arien aus Mozart-Opern.

Sie haben Zwillinge, das familiäre Zuhause ist in Zürich, Sie arbeiten aber hauptsächlich in Paris. Jetzt sind Sie erneut mit einem anspruchsvollen Projekt beschäftigt?
I Ja, ich habe große Freude, dass es den Kindern so gut geht. Mein kompliziertes Vorhaben ist das Feuilleton Maupassant: Das ist eine Serie von acht Stücken, in denen ich die Novellen von Guy de Maupassant als einzelne Episoden für die Bühne adaptiert habe. Das spielte schon in Paris, Nizza, ist auch zum Festival nach Adelaide, Australien, eingeladen.

Sie erwähnten die Freundschaft zwischen Luc Bondy und dem Kulturmäzen Martin Schlaff. Wie kam es dazu?
I Martin ist zu einem Freund von Luc geworden, weil er ihn in seiner Arbeit bewundert hat. Als Luc so krank wurde, ist Martin jede Woche nach Zürich geflogen, um ihn zu besuchen. Das war schon eine ganz enge Bindung. Apropos Sponsoren: Wie sehr wir sie brauchen! Subventionen werden kleiner und kleiner und teilen sich unter immer mehr Produktionen auf. Wenn kein privates Engagement dazu kommt, sind wir aufgeschmissen.

Hat sich der Regisseur Bondy je Gedanken über die Finanzen gemacht?
I Luc hat sich immer für die Budgets seiner Produktionen interessiert. Er wusste, dass das Budget ihm ermöglicht, sein Ding zu machen. Er war sich ständig bewusst, in welcher Zeit er lebt: Er erkannte die Probleme, die den Menschen unter der Haut brannten. Er machte keine bequemen Stücke und wünschte sich, dass sich etwas in den Menschen bewegt, wenn sie das Theater verlassen. Meine 28 Jahre mit Luc waren schon verrückt, wir haben so viel miteinander erlebt. Es war nie konfliktfrei, doch wie wunderbar war dieses Zusammensein!

* Lorenzo Da Ponte, eigentlich Emmanuele Conegliano (* 10. März 1749 in Cèneda, Republik Venedig; † 17. August 1838 in New York) war ein italienischer Dichter, der dreißig Opernlibretti schrieb. Unter Kaiser Joseph II. arbeitete er in Wien mit Salieri, Martín y Soler und Mozart zusammen.


MARIE-LOUISE BISCHOFBERGER, geboren in Winterthur, ist eine Schweizer Dramaturgin, Librettistin, Choreografin und Regisseurin. An der Universität in Zürich absolvierte sie Studien in Hispanistik, Literaturkritik und anthropologischer Psychologie. Ab 1993 war sie dramaturgische Mitarbeiterin von Luc Bondy für zahlreiche Schauspiel- und Operninszenierungen. Nach ihrer Mitarbeit an Philippe Boesmans’ Oper Reigen nach Arthur Schnitzler am Théâtre de la Monnaie in Brüssel war sie auch CoLibrettistin von Bondy für drei weitere Opern dieses Komponisten. 2014 unterstützte sie Bondy bei der Uraufführung von Marc-André Dalbavies Oper Charlotte Salomon bei den Salzburger Festspielen. Seit 1997 arbeitet sie als selbstständige Theater- und Opernregisseurin, sie inszenierte u. a. Anna Bolena an der Opéra National de Bordeaux, in Avignon und an der Mailänder Scala; Verdis Don Carlos am Théâtre du Châtelet sowie Yvonne an der Opéra Garnier Paris. Nachdem sie in Moskau einen begehrten Theaterwettbewerb gewonnen hatte, wurde sie zwei Mal an das dortige Künstlertheater engagiert.


LUC BONDY, 1948 in Zürich geboren, stammt aus einer jüdischen Theater- und Literatenfamilie; er ist der Sohn des Literaturkritikers François Bondy; sein Großvater war der Autor und Dramaturg N. O. Scarpi. In Paris bei dem Pantomimen Jacques Lecoq ausgebildet, erhielt er 1969 eine Anstellung als Regieassistent am Hamburger Thalia Theater, ab 1971 inszenierte er eine Reihe wichtiger Werke. Bondys Produktion von Edward Bonds Die See am Bayerischen Staatsschauspiel München wurde 1974 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Ab dieser Inszenierung gehörte er zu den wichtigsten Theaterregisseuren des deutschsprachigen Raumes. Seine Arbeiten waren geprägt von poetischer Zeitlosigkeit; das politische Theater jener Jahre lag ihm fern. Die Liebesbeziehungen und ihre Zerbrechlichkeit waren sein bevorzugtes Thema. Botho Strauß und Peter Handke gehörten von den zeitgenössischen Autoren zu seinen Freunden, deren Arbeiten er auch inszenierte. 1997 wurde Bondy Schauspieldirektor der Wiener Festwochen, von 2002 bis 2013 war er deren künstlerischer Leiter. In dieser Zeit entstanden auch gefeierte Arbeiten am Burg- und Akademietheater; gleichzeitig hatte er eine Gastprofessur für Regie am Wiener Reinhardt-Seminar. Von 2012 an leitete er das Pariser Théâtre de l’Odéon. Luc Bondy war auch literarisch produktiv. Er veröffentlichte drei Bände mit Erzählungen und autobiografischen Notizen. Am 28. November 2015 starb Bondy nach langer Krankheit in Zürich.

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