Hunger, Hunger, Willkür und Tod

Der Czernin Verlag veröffentlicht nun Rachmil Bryks Erzählungen aus dem Łódźer Ghetto und dem KZ Auschwitz auf Deutsch. Seine Tochter Bella Bryks-Klein meint, dass die Übersetzung ins Deutsche gerade in einer Zeit wichtig sei, „in der wir erleben, dass der Antisemitismus wieder erwacht“.

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Rachmil Bryks: Eine Katze im Ghetto und andere Erzählungen. Erstmals erschienen auf Jiddisch in New York 1952, nun von Andrea Fiedermutz ins Deutsche übertragen und im Czernin Verlag im März 2020 veröffentlicht. 208 S., € 22

Humoristische Pointen sucht man in dem Erzählband Eine Katze im Ghetto vergeblich. Der polnisch-jüdische Schriftsteller Rachmil Bryks hat das Łódźer Ghetto und das Konzentrationslager Auschwitz erlebt. In seinen Geschichten hat er sich an dem an diesen Schreckensorten Erlebten bis zu seinem Tod 1974 in den USA abgearbeitet. In ihnen schildert er, was es bedeutete, als Jude unter den Nazis zu überleben. Es bedeutete Hunger, Hunger und nochmals Hunger. Es bedeutete, der Willkür der Peiniger völlig ausgeliefert zu sein, und es bedeutete zu wissen, dass jeder Tag der letzte sein könnte.
Immer wieder schildert Bryks diese Horrorjahre aus der Perspektive von Kindern. Manche Passage ist dabei kaum auszuhalten. Da versteckt sich ein kleines Mädchen in Auschwitz, um dem Gang in die Gaskammer zu entgehen, bekommt aber mit, dass, wenn es nicht gefunden wird, statt ihr 100 andere Menschen getötet werden. Was soll sie tun?
Aber auch Erwachsene kommen in den Geschichten Bryks immer wieder in Situationen, in denen sie überlegen, welche Entscheidung nun die richtige und auch moralisch vertretbare wäre. Man spürt, dass es dem Überlebenden dabei auch darum ging zu zeigen, dass viele Juden und Jüdinnen trotz der widrigen Umstände nicht zu dem wurden, was die Nazis aus ihnen zu machen versuchten: Sie benahmen sich nicht wie Bestien. Sie fielen nicht übereinander her. Sie versuchten, einander nach Kräften zu helfen und auch das wenige Brot, das sie erhielten, zu teilen. Hart ins Gericht ging er allerdings mit den jüdischen Aufsehern, den Kapos.

Immer wieder schildert Bryks diese Horrorjahre aus der Perspektive von Kindern. Manche Passage ist dabei kaum auszuhalten.

Beschreiben, was war. Was bei der Lektüre der schmerzhaften Geschichten auch klar ist: Die Bestien verortete Bryks auf der Seite der Deutschen, auf der Seite der Nazis. Immer wieder schildert er den Sadismus der Aufseher und vor allem der Aufseherinnen in Auschwitz.
Oft wird heute die Frage gestellt, wie es so weit kommen konnte. Diese Frage stellt Bryks nicht. Er beschrieb, was war. Nüchtern, nahezu emotionslos. Die Emotion stellt sich beim Lesen dadurch ein, indem man sich vorstellt, wie man selbst es ertragen könnte, wenn einem Ähnliches passieren würde.
Seine Tochter Bella Bryks-Klein, die in Israel lebt, hat für die deutsche Ausgabe ein Nachwort beigesteuert. „Mögen die Beschreibungen seiner authentischen Erfahrungen im Łódźer Ghetto und in Auschwitz den deutschsprachigen Lesern einen Einblick in die Erfahrungen eines unschuldigen friedlichen jüdischen Bürgers im Europa des Zweiten Weltkriegs geben“, schreibt sie darin. „Die Themen in diesem Buch sind heutzutage, im 21. Jahrhundert, nicht weniger dringend und relevant als damals, als ich als junges Mädchen zusah, wie sie mein Papa schrieb.“

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