In Harmonie mit Musik und Malerei

Der gebürtige Amerikaner Eric Kushner hat eine beachtliche Karriere in zwei Disziplinen geschafft und fühlt sich seit Langem in Wien heimisch.

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Eric Kushner im Gespräch mit Marta S. Halpert im Rahmen seiner Ausstellung in der Wiener Fuchs-Villa. © Reinhard Engel

Der Gefeierte wirkt fast verloren in der großen Menschenmenge, die ihm zu Ehren in die Ernst-Fuchs-Villa nach Hütteldorf gepilgert ist. Eric Kushner, Hornist der Wiener Symphoniker, zeigt hier sein zweites Talent, dem er ebenso leidenschaftlich frönt wie der Musik: Mit 36 Ansichten des Turms zu Babel lässt Kushner auf seinen lebhaft-bunten, dicht bevölkerten Gemälden der Phantasie freien Lauf, obwohl er seine oft kleinteiligen Motive mit größter Präzision malt oder appliziert. Die beschwingte Vernissage leiteten acht Hornisten der Wiener Symphoniker musikalisch ein – selbstverständlich gemeinsam mit ihrem malenden Kollegen. „Ich war zuerst etwas nervös durch diese öffentliche Doppelfunktion, doch dann – umgeben von meinen Bildern – kam die völlige Ruhe über mich“, erzählt Kushner offenherzig.

Unser Gespräch danach beginnt mit Eric Kushners amerikanisch-jüdischer Familiengeschichte und endet mit seiner selbstbewussten Ansage, dass er nicht nur Mitglied der liberalen Gemeinde in Wien Or Chadasch* ist, sondern dort auch seit 20 Jahren zu den Hohen Feiertagen den Schofar bläst.

Die familiäre Vorgeschichte beginnt in Louisiana, USA. Dort wird Eric in eine prominente Künstlerfamilie hineingeboren. Seine Schwester Lesley ist eine erfolgreiche Malerin, sein Vater William David Kushner war ein angesehener Dirigent und Klarinettist, die Mutter Sylvia Deutscher wählte das Fagott für sich. „Sie war eine der ersten Frauen in einem amerikanischen Orchester und spielte auch unter der Leitung von Arturo Toscanini“, erzählt der jüngste Sohn nicht ohne Stolz. „Mit Igor Strawinsky machte meine Mutter die ersten Kammermusikaufnahmen.“ Menschlich verständnislos war das Verhalten des Chefdirigenten Erich Leinsdorf bei der New York City Opera: Er bestand darauf, dass die hochschwangere Musikerin bis zwei Tage vor der Geburt und bereits fünf Tage danach wieder zum Dienst antrat.

Trotzdem gebar Sylvia Deutscher-Kushner 1956 in Manhattan einen gesunden und begabten Sohn: Tony ist der ältere Bruder von Eric und zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Dramatikern und Drehbuchautoren unserer Zeit. Mit vielen renommierten Preisen ausgezeichnet schrieb Tony Kushner für und mit Steven Spielberg vier Drehbücher: 2005 war es der Film München (über das Massaker an den israelischen Sportlern); 2012 arbeiteten sie bei Lincoln erneut zusammen, genauso wie bei der Filmfassung der West Side Story 2021; zuletzt verfassten sie gemeinsam das Drehbuch für The Fabelmans.

„Als mein Vater das Angebot bekam. in Lake Charles, Louisiana, ein kleines Orchester zu dirigieren, zog die Familie mit damals noch zwei Kindern in diese Kleinstadt, wo ich dann geboren wurde“, erzählt Eric, der wirtschaftliche Gründe für den Umzug nennt. „In New York war es nicht leicht, dort hätte mein Vater die Musik aufgeben müssen. Hier übernahm er den eingeführten Holzhandel meines Großvaters, obwohl er das Geschäftliche hasste: Wenn er über einer Partitur saß, winkte er die Kundschaft unwirsch ab.“ Eric bedauert, dass die aufstrebende künstlerische Karriere seiner Mutter unterbelichtet blieb.

Musiziert wurde von frühester Jugend, und das in der ganzen Familie, aber nicht immer freiwillig: Tony spielte Cello, Eric begann wenig begeistert mit Klavier und Geige, nur weil sein Vater dazu drängte.

„In Form einer fiktiven Stadt, einer erfundenen Landschaft oder eines fantastischen Raumes, beginne ich mit ihrer Besiedlung. Um meine neu erschaffene Welt mit Menschen zu beleben,verwende ich Kopien klassischer Gemälde, eigene Fotografien oder meine auf Papier entworfenen Skizzen. Dieser Arbeitsschritterinnert mich an das Dekorieren eines Puppenhausesoder das Bauen einer Lego-Stadt und beschreibt damit
meine Intention, der darausentstehenden Collage einkindlich verspieltes Gefühl einzuverleiben.“

Weil er kaum übte und lustlos war, gelang ihm auch nichts. Mit 12 Jahren folgte der erste Versuch mit dem Horn, nachdem ihm der Vater die Posaune wegen des uninteressanten Repertoires ausgeredet hatte. „Als ich auch am Horn nicht viel übte, gab mein Vater endlich auf, obwohl dies für ihn ein Drama und für mich ein Trauma war“, lacht Kushner.

Ein Jahr später versuchte es Eric allein wieder, und jetzt machte es Klick, er war dafür begabt und lernte schnell. „Plötzlich mochten wir uns gegenseitig: ich das Instrument und das Horn mich! Ich bekam jetzt viel Aufmerksamkeit, das gefiel mir sehr.“ Mit fünfzehn Jahren debütierte er bereits als Solist mit dem New Orleans Philharmonic Orchestra. Drei Jahre später studierte Eric in Boston am New England Conservatory.

Er wollte unbedingt ein Semester in Europa studieren und schrieb systematisch alle Horn-Lehrer an diversen Hochschulen an. Kushner erhielt einen Studienplatz an der angesehenen alten Musikhochschule in Detmold, im Osten von Nordrhein-Westfalen. „Detmold war nachgefragt, weil die Stadt nicht zerstört war, wie Dresden, Berlin oder München. Dort gab es zwar einen SS-Stützpunkt, doch die Engländer bombardierten diesen nicht, weil sie die Anlage später selbst nutzen wollten“, weiß der Student Kushner. Durch den Mangel an funktionieren Musikhochschulen kamen gute Lehrkräfte nach Detmold, so auch Michael Höltzel, der Eric später nach Wien empfehlen sollte.

Aber was sagten seine Eltern dazu, dass er ausgerechnet nach Deutschland gehen wollte? „Sie waren zuerst entsetzt, aber als ich dann offenbarte, dass das Studiengeld in Detmold pro Semester 40 $ beträgt, im Unterschied zu den 25.000 $ in Boston, gefiel ihnen die Idee plötzlich sehr.“ Und wie fühlte man sich im NachkriegsDeutschland als jüdisch-amerikanischer Musikstudent? „Das war für mich zuerst ein ziemlicher Schock, denn ich dachte an jeder Ecke, Nazis zu begegnen. Ich habe in Detmold sofort gesagt, dass ich Jude bin“, erinnert sich Kushner, der von einem unangenehmen Vorfall erzählt: „Einer unserer Lehrer, die allesamt sehr konservativ waren, wollte dass wir unter dem Dirigat des Hochschuldirektors ein Konzert spielen. Als ich erfahren hatte, dass dieser Dirigent ein hoher SS-Funktionär gewesen war, sagte ich meinem Professor, dass ich bei diesem Konzert nicht spielen möchte. Er war entsetzt und verneinte, dass der Direktor ein Nazi gewesen war.“ Wie ging die Geschichte aus? „Ich habe natürlich nicht gespielt, der Lehrer war eine zeitlang sauer auf mich, aber dann ging’s vorbei. Daher kann ich nicht sagen, ob ich als Jude Probleme hatte, aber vielleicht habe ich als Jude Probleme gemacht.“

Nach zwei sehr glücklichen Jahren in Detmold bekam der 22-Jährige 1984 ein überraschendes Angebot, nach Wien zu gehen: „Die Niederösterreichischen Tonkünstler suchten einen Hornisten, auf Empfehlung meines Lehrers Michael Höltzel und nach dem Vorspielen habe ich die Stelle sofort bekommen.“ Dann ging es Schlag auf Schlag: 1986 meldete sich Kushner für die offene Position eines Solohornisten bei den Wiener Symphonikern, und gewann das Probespiel.

Er wird regelmäßig für Auftritte bei Musikfestspielen in Europa, den USA und Japan eingeladen und gastiert beim Ensemble Wien-Berlin. Seine solistische Tätigkeit umfasst u. a. Auftritte mit dem Mozarteum Orchester Salzburg, dem Wiener Kammerorchester mit Dirigenten wie Fabio Luisi, Vladimir Fedosejev oder Georges Prêtre. Darüber hinaus spielte er Naturhorn im Concentus Musicus unter Nikolaus Harnoncourt. „Dort habe ich meine Frau kennengelernt, sie kommt aus Irland und hat bei Concentus Musicus Geige gespielt. Nachdem Maighread endlich JA gesagt hat, haben wir 1991 geheiratet“, lacht der stolze Vater von zwei erwachsenen Töchtern. „Ciara hat ihr Cello-Studium abgeschlossen und hat dann auf Medizin umgesattelt. Meine Jüngere, Orla, hat Geige studiert – und wir waren schon zweimal zusammen auf einer Europatournee.“ Ehefrau Maighread McCrann ist seit etlichen Jahren Konzertmeisterin beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien (RSO) und unterrichtet an der Kunstuniversität in Graz.

Zwei künstlerische Lieben. Obwohl Kushner schon mit 18 Jahren in Boston zu zeichnen begann und vor allem von der asiatische Kunst inspiriert war, begann er erst 1982 in Spoleto, Italien, mit der Ölfarben-Malerei. Die italienische Renaissance hatte es ihm besonders angetan. Fortan wurde die Malerei die zweite Säule in seinem professionellen Leben. Wie geht sich das zeitlich alles aus? „Für das Horn übe ich täglich zwei bis drei Stunden, bei Geige wären es sechs bis sieben. Ich male tagsüber vor dem Dienstantritt und höre dabei z. B. Barockmusik“, erklärt es der Unermüdliche. Nach einem Volontariat in der Galerie Zacke, wo er Gelegenheit hatte, selbst zum Sammler zu werden, begann Kushner zuerst, alte Möbelstücke zu marmorieren, dann auch zu vergolden.

Befreundete Musiker und Kolleginnen gehörten zu Kushners ersten Kunden, durch sie wurde so auch manche Ausstellung ermöglicht. Die Bekanntschaft mit Anni Fuchs, einer Schwiegertochter des „Phantastischen Realisten“ Ernst Fuchs, entwickelte sich so gut, dass sowohl die Galerie Moldovan Erics Bilder präsentierte wie auch Anni Fuchs die derzeitige Ausstellung (zu sehen bis 14. Mai) in der ursprünglich von Otto-Wagner erbauten Fuchs-Villa kuratiert hat. „Von den 36 Babel-Ansichten habe ich 22 verkauft. Außerdem habe ich Aufträge für meine ‚maßgeschneiderten‘ Familienporträts lukriert“, freut sich der Künstler. Diese fantasievollen familiären Landschaften sind eine Mischform aus Digital- und Ölbild und nehmen alle Bezug auf historische Bilder sowie individuelle Wünsche der Porträtierten oder Auftraggeberinnen.

Wenn Eric Kushner weder als Musiker noch als Maler gerade beschäftigt ist, läuft er ins Kunsthistorische Museum oder betreut seinen Garten im Wienerwald. „Hier feierten wir ein wunderbares Fest nach der Bat Mitzwa meiner jüngeren Tochter in Or Chadasch. Der Garten war übervoll mit Wiener und New Yorker Juden und der ganzen Mischpoche aus Irland.“

* Gegründet im Jahr 1990, ist Or Chadasch (hebr. „Neues Licht“) die einzige progressive jüdische Gemeinde in Österreich und Mitglied der European Union for Progressive Judaism (EUPJ) und der World Union for Progressive Judaism (WUPJ). Sie ist lose mit der Israelitischen Kultusgemeinde Wien assoziiert.

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