Das Paradies geht unter

„Das Paradies geht unter“ 

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Michel Friedman im Wiener Stadttempel (c) Schmidl / IKG
Michel Friedman im Wiener Stadttempel (c) Schmidl / IKG

Michel Friedmans wortgewaltige Zeitdiagnose im Wiener Stadttempel

Gut gefüllt und gut gesichert war der Stadttempel am Abend des 13. März, als Michel Friedman von der IKG und der B´nai Brith Loge eingeladen war, ausschließlich für die jüdische Community über „Die Zukunft der Juden in Europa“ zu sprechen.

Michel Friedman ist nicht nur ein exzellenter, beeindruckender Rhetoriker, er hat auch viel zu sagen. Und so wurde seine in freier Rede gehaltene Analyse eine beängstigend klare und emotionale Standortbestimmung nach dem 7. Oktober,  welcher Friedman auch sein neues Buch „Judenhass“ gewidmet hat. Auf Promotion-Tour für diesen Band ist der vielseitige deutsche Publizist, Rechtsanwalt und Moderator zur Zeit im deutschen Sprachraum viel unterwegs, in Wien folgte auf den Event im Stadttempel ein Abend im Akademietheater.

Plädoyer für die Demokratie Nur wenige Stunden nachdem IKG-Präsident Oskar Deutsch den „Negativ-Rekord“ antisemitischer Vorfälle in einer Pressekonferenz präsentiert hatte, stellte Friedman fest, dass für ihn Antisemitismus als Begriff zu „entlastend“ sei. „Es ist Judenhass und Hass macht hungrig und nie satt“.  Bereits vor der Zeitenwende des 7. 10. wäre die Situation der westlichen Gesellschaft auf Grund des menschenverachtenden Hasses Rechtsextremer dramatisch gewesen. In einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Demokratie, die gerade „zerbröselt“,  warnte Friedman besonders angesichts der kommenden Wahlen vor der FPÖ und Kickl, vor gefährlichen Rechten im „Schafspelz“ wie Marie Le Pen, Meloni und rechtsextremen  Kräften in der EU, die ebenfalls „zerbröselt“. „Das Paradies geht unter“. Wir sollten die Gesellschaft nicht nur aus der jüdischen Perspektive betrachten, wenn „Rassismus zur Regierungspolitik wird.“

Nur in einer Demokratie sei auch die Freiheit der jüdischen Existenz gewährleistet. „Wenn die Demokratie fiebert, sind wir auf der Intensivstation“.

Keine Bittsteller Jeder Mensch solle und müsse seine Identität leben können, selbstbewusst, emanzipiert und ohne Assimilierungsdruck, denn Anpassung habe noch nie geholfen in der jüdischen Geschichte. „Wir sind keine Bittsteller und keine Opfer, aber es gibt Täter“, so Friedman.

Wenn es um die finanziellen Zuwendungen des Staates für jüdische Gemeinden und deren Sicherheit geht, wird Friedman noch entschiedener. Er weigere sich Danke zu sagen, „denn wir haben nicht annähernd das zurückbekommen, was uns gestohlen worden ist.“ Und schließlich: „Schämt Euch, dass wir Sicherheit brauchen!“ Wenn Juden Angst haben müssen, dann stimme etwas nicht mit der Gesellschaft.

Friedmans Aussicht auf die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Europa sind düster, auch weil es um Europa schlecht stehe. Die Demokraten seien „gelangweilt und müde“ geworden, aber Jüdinnen und Juden könnten sich nicht erlauben müde zu werden, vielmehr seien wir verpflichtet zu kämpfen, aktiv, wach und stolz, für die junge Generation.

„Wir machen weiter, wie unsere Eltern nach der Shoa weitergemacht haben“.

 

Michel Friedman:
Judenhass
– 7. Oktober 2023
Berlin Verlag, 2024
€ 12.40

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