Kämpferischer Humanist

Willy Verkauf – André Verlon: Die dichterischen und malerischen Botschaften des jüdischen Österreichers sind heute aktueller denn je.

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© Galerie bei der Votivkirche

Er war in jungen Jahren Direktor des kommunistischen Parteiverlages Globus und veröffentlichte Zeitschriften wie Das Tagebuch und Erbe und Zukunft, bis er 1948 aus der KPÖ ausgeschlossen wurde. Sie ist promovierte Kunsthistorikerin aus großbürgerlichem Milieu – was also verbindet diese beiden Menschen? Wenn es nicht die Liebe ist, dann schafft das nur die Kunst: Seit nunmehr 40 Jahren sammelt und verkauft die Expertin Ursula Hieke die schöpferisch-politischen Werke von Willy Verkauf (1917–1994). Als Maler nannte sich Verkauf André Verlon und stach als besonders spannender Künstler und hochpolitischer Kopf hervor: In der Nachkriegszeit kam für ihn die politische Ernüchterung, denn Unabhängigkeit und freie Meinung waren mit der KPÖ nicht vereinbar.

Hieke gründete 1980 nach der Tätigkeit im Auktionswesen den Kunsthandel Hieke als „Galerie bei der Votivkirche“, 1984 folgte dann die Übersiedelung in die Grünangergasse 12. Sie profilierte sich schnell als Expertin für die österreichische Kunst der Moderne bis zur Nachkriegsabstraktion. Neben renommierten Künstlerinnen wie Broncia Koller-Pinell und Künstlern wie Carl Krall und Peter Pálffy legte sie sehr bald ihr Augenmerk auf die zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Kreativen der Epoche von 1900 bis 1980. Zwar gehörte Willy Verkauf weder als Mensch noch als Künstler André Verlon zu dieser Gruppe der Vergessenen. Doch auch er musste von jemandem entdeckt und gefördert werden: Diese Aufgabe erfüllte anfangs der kürzlich verstorbene Kunsthändler und Sammler Kurt Kalb.

Wie ist die Galeristin auf Verlon aufmerksam geworden? „In Auktionen habe ich seine Gemälde nicht oft gesehen, aber bei Kalb sind mir seine Arbeiten ins Auge gestochen. Ich hatte damals nicht viel Geld, und so habe ich mit Kurt Bilder getauscht. Er wollte etliche von mir und ich seine Verlons. Alles, was ich durch den Tausch hatte, habe ich auch sofort verkauft“, lacht Hieke. „Mit dem Erlös bin ich gleich wieder zu Kalb gelaufen und habe noch größere, noch bedeutendere Gemälde gekauft.“ Die umtriebige Galeristin hatte erfolgreich ihre Scheinwerfer auf Verlon gerichtet, sich intensiv und konsequent um die Sichtbarkeit seiner Werke bemüht, die Käufer kamen schon früh aus Deutschland und den USA. Bereits 1976 und 1986 fanden im Wiener Belvedere Ausstellungen von Verlon statt, und 1997 konnte der Kunsthandel Hieke eine erste Personale des Künstlers zeigen; 2017 folgte zum 100. Geburtstag eine umfassende Überblicksschau mit begleitendem Katalog. „Meine Tochter Marie-Valerie leitet die Galerie seit 2014 mit mir gemeinsam – auch sie verlor ihr Herz an André Verlon: Sie recherchierte und erarbeitete umfangreiche Dokumentationen für die aktuelle Schau“, freut sich Hieke. Bis Ende April ist die Ausstellung „Tanzend auf einem Bein“: André Verlon – Gemälde und Collagen 1960–1990 zu sehen.

Valerie Hieke und Daniel Barenboim anlässlich der Übergabe von Verlons Symphony of Peace an die Berliner Barenboim-Said Akademie, 2017. © Galerie bei der Votivkirche

Aber wie kam Willy Verkauf als Sohn eines österreichischen jüdischen Textiltechnikers und Buchhändlers zur Malerei und insbesondere zur Erfindung des MontagePaintings?* Willy wird am 6. März 1917 in Zürich geboren, 1921 übersiedeln seine Eltern nach Wien, wo Willy von 1927 bis 1931 die Hauptschule besucht und ein Jahr auf die Handelsakademie geht. Danach macht er eine Lehre als Landschaftsgärtner. 1933 flieht die Familie nach Palästina, wo Willy bis 1938 als Gärtner arbeitet. Nach einiger Zeit in ärmsten Verhältnissen beginnt er sich als Schriftsteller, dann als Buchhändler und Verleger zu betätigen. Sein Augenmerk liegt auf den Werken der Exilliteraten, deren Werke er zumindest im Ausland vor dem NS-Regime erhalten möchte.

PRÜFSTEINE
Drei Menschengruppen
gehöre ich
gleichzeitig an.

Als
Österreicher
kritischer Patriot.
Kein Heimatloser.

Als Jude ohne Glauben
nicht Teil eines Volkes,
sondern
einer Schicksalsgemeinschaft.

Als Sozialist geistiger Erbe
von Moses, Jesus, Marx und Lenin,
soweit ihr Vermächtnis
zum Wohl aller Menschen führt.

Drei Prüfsteine.
an denen ich mich stetig
erproben muß.

(André Verlon, 1980. Aus dem Band „Auch die Worte haben Grenzen. Gedichte 1935–1993“)

Weiters ist er Leiter des Free Austrian Movements, einer Vereinigung, die sich für die Souveränität Österreichs nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges einsetzt. Zu dieser Zeit schreibt er seine ersten Gedichte, ist in engem Austausch mit Arnold Zweig, Felix Theodor Csokor, Else Lasker-Schüler und Erich Fried. 1946 kommt Willy Verkauf mit einem der ersten Züge wieder zurück in das zerbombte Wien. Er wird selbstständiger Herausgeber, Verleger und Kunsthändler. Er beginnt den Aufbau des eigenen Verlags mit internationalen Kooperationen, weshalb er ab 1950 in die Schweiz übersiedelt. Auch dort nicht heimisch, erfolgt 1955 der Umzug nach Haifa und die Hinwendung zum Kunsthandel mit besonderem Fokus auf die Kunstrichtungen der Moderne. Verkaufs Interesse konzentrierte sich auf den Expressionismus und Dadaismus, er pflegte intensiven Kontakt mit Künstlern wie Marcel Janco, Hans Richter, Jean Arp und Raoul Hausmann. 1957 gab er das Buch DADA. Monographie einer Bewegung heraus und damit das erste Standardwerk über den Dadaismus. 1958 kehrte er nach Wien zurück und eröffnete eine Kunsthandlung für moderne Kunst in der Riemergasse 14.

Der „Stachel im Fleisch“. Erst über 40-jährig, wohl nicht zufällig nach seiner intensiven Beschäftigung mit den Kunstströmungen der Moderne, findet Verkauf in der Malerei bzw. in seiner spezifischen Bildsprache des Montage-Paintings eine neue Bestimmung. Unter dem Künstlernamen André Verlon erlangt er rasch Bekanntheit: 1961 stellt er bereits im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) bei der wegweisenden Ausstellung The Art of Assemblage aus, neben Werken von Marcel Duchamp, Max Ernst und Meret Oppenheim. Die Jahre von 1961 bis 1971 verbringt er als Maler in Paris und nimmt an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen teil, unter anderen in Wien, New York, London, Paris, Bratislava und Rom. Danach findet Verlon schließlich auch in Österreich durch die ihm eigene Technik des Montage-Paintings, einer Kombination aus Collage und expressiver Malerei, Anerkennung als Künstler. Es folgen über 60 Einzelausstellungen in Europa und den USA mit Ankäufen des MoMA in New York, der Tate Gallery, London, des Museé National d’Art Moderne, Paris, sowie von Yad Vashem, Jerusalem.

Am Anfang seiner Laufbahn als bildender Künstler kam es zu einem Skandal: Der Künstlername André Verlon hatte bereits um 1960 für Aufsehen im kulturellen Umfeld Wiens gesorgt. Der Verleger und Kunsthändler Willy Verkauf vertrieb seine eigenen Werke unter diesem Pseudonym und begeisterte mit seiner eindringlichen Bildsprache die Kunstkritik. Erst 1962 gab er sich offiziell als Verlon zu erkennen. Das wurde von der inländischen wie auch internationalen Presse – sogar das amerikanische Time Magazine berichtete darüber – empört kommentiert.

„Es freut mich ganz besonders, dass eines von Verlons Hauptwerken, nämlich Symphony of Peace, seit 2017 in der Barenboim-Said Akademie in Berlin hängt“, erzählt Valerie Hieke. „Ich habe es Daniel Barenboim persönlich überreicht (siehe Foto), und er hat es der Akademie für israelische, palästinensische sowie internationale Musiker geschenkt.“ Verlon, der seine Malerei und Lyrik offensiv und ungeschminkt als gesellschaftskritisch-politisches Kommunikationsmittel einsetzte, ist in den angesehensten Museen im In- und Ausland vertreten. „Die Botschaft seiner Bilder ist heute wie damals aktuell, da es schlichtweg um Existenzielles geht“, so die Junggaleristin Hieke, „nämlich um die Rettung der Menschlichkeit und der Welt an sich. In unserer aktuellen Ausstellung konfrontieren wir auch das Sprachwerk des Willy Verkauf mit dem künstlerischen Werk des André Verlon.“ Sein Lebenslauf ist in seinem Ereignisreichtum überwältigend: politische Kontakte von Churchill bis Kreisky, literarische Schöpfungen, die dem jungen Erich Fried Komplimente abringen.

Nach 1945 hat sich Willy Verkauf in Österreich intensiv mit der Aufarbeitung der Shoah und dem weiter um sich greifenden Antisemitismus auseinandergesetzt. Er war regelmäßig der „Stachel im Fleisch“ all jener, die lieber vergessen wollten. „So ist es ihm, nach jahrelangen Bemühungen, auch zu verdanken, dass es am Wiener Künstlerhaus überhaupt eine Gedenktafel für die ermordeten und vertriebenen Mitglieder gibt“, weiß Valerie Hieke. „Er kämpfte noch 1988 – also vor genau 35 Jahren – um die Tafel und schaffte deren Installation nur durch einen mühsam errungenen Kompromiss.“ Dieser lief darauf hinaus, dass nicht allein der rassistisch und politisch Verfolgten (damit auch der jüdischen Mitglieder) gedacht werden durfte, sondern es musste auch an „die im Zuge der Kriegsereignisse ums Leben Gekommenen“ erinnert werden, also an Opfer und Täter gemeinsam.

Verlon erhielt zahlreiche, auch österreichische Auszeichnungen und war für das Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes (DÖW) tätig. Als Zeichen seiner Verbundenheit mit dem DÖW stiftete er mit seiner Frau den „Willy und Helga Verkauf-Verlon Preis“ für österreichische antifaschistische Publizistik, der seit 1991 für wissenschaftliche und publizistische Leistungen vergeben wird. „Mein Beweggrund, die Ausstellung jetzt zu machen, ist vorrangig die Aktualität der Aussagen in Verkauf-Verlons Werk“, zeigt sich Valerie Hieke überzeugt, „denn es sind politische Bilder voll brisanter Inhalte in einer dynamisch experimentellen Gestaltung.“

* Werden dreidimensionale Objekte zu einem Kunstwerk zusammengestellt, kann von einer Montage gesprochen werden.

 

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