Für ihre neue Dokumentation Bal Ej – The Hidden Jews of Ethiopia reiste die israelische Filmemacherin und Sängerin Irene Orleansky in den Norden Äthiopiens. Bal Ej sind jene Juden Äthiopiens, die aus Angst vor Übergriffen nur im Geheimen ihre Religion praktizieren. Orleanskys Arbeit besticht durch imposante Bilder von einer Gemeinschaft, deren Schicksal für gewöhnlich wenig Beachtung erfährt.
Interview: Thomas Kiebl
WINA: Äthiopien gilt als schwieriges Terrain für Journalisten und Filmemacher. Wie gestalteten sich Ihre Arbeitsbedingungen vor Ort?
Irene Orleansky: Nicht einfach, alleine wegen der geografischen Anordnung der geheimen Synagogen in Äthiopien. Diese befinden sich in abgeschiedenen Gegenden, tief in der äthiopischen Berglandschaft. Ich benötigte eine gute physische Kondition, um in diese Gebiete vordringen zu können. Die Infrastruktur vor Ort war ein weiteres Problem, mein technisches Equipment musste ich an die fehlende Elektrizität anpassen: Ich konnte die Batterien für die Kameras nicht aufladen, was ich in meiner Arbeit immer zu berücksichtigen hatte. Zudem leben die Leute dort noch sehr traditionell. Ich hatte kein Problem mit dem Essen, aber bei einer dieser abgeschiedenen Synagogen haben mich die Bettwanzen wortwörtlich „gefressen“, mit einer schweren Infektion als Folge. Trotz dieser Schwierigkeiten würde ich diese Orte wieder besuchen. Nur mit besserer Ausrüstung, um auf unerwartete Umstände vorbereitet zu sein.
Der Film trägt den Titel „Bal Ej – The Hidden Jews of Ethiopia“. Worin liegen die Unterschiede zwischen den Bal Ej und anderen jüdischen Gemeinschaften in Äthiopien?
❙ Bal Ej bedeutet auf Amharisch „Handwerker“. Juden in Äthiopien waren immer im Handwerk tätig, da ihnen der Besitz von Land untersagt war. Deshalb werden auch alle äthiopischen Juden „Falaschen“ genannt: „Falasha“ bedeutet „landlos“. Der Unterschied zu anderen jüdischen Gemeinschaften zeigt sich im zweiten Teil meines Filmtitels. Juden, die in Gondar oder Tigray leben, praktizieren ihre Religion öffentlich. Juden in Nord-Shewa, die im Mittelpunkt meines Films stehen, müssen ihre jüdische Identität verstecken. Sie praktizieren das Judentum seit hunderten Jahren unter strenger Geheimhaltung. Dadurch entwickelten sich Unterschiede in der Tradition und der Form des Lebensstils, verglichen zu anderen Gemeinschaften.
Mit welcher Motivation traten Sie an das Projekt heran?
❙ Mir geht es um Aufmerksamkeit für dieses Thema. Mein Ziel ist, das Leiden der äthiopischen Juden zu beenden. Die Welt soll von dieser einzigartigen Kultur erfahren. Während meiner Arbeiten an dem Film baute ich viele Freundschaften zu Mitgliedern der Bal Ej auf. Mein Engagement wird nicht mit der Veröffentlichung des Films enden, ich werde meine Forschung fortsetzen und mich weiterhin für die Gemeinschaft einsetzen.
Welche Rolle nehmen die Bal Ej in der äthiopischen Gesellschaft ein?
❙ Obwohl die Bal Ej seit Jahrhunderten verfolgt und ihre Beiträge für die äthiopische Gesellschaft nicht anerkannt werden, spielen sie eine bedeutende Rolle in der äthiopischen Geschichte und Ökonomie. Auf sie geht die Errichtung von Städten, Palästen, Schlössern und Kirchen zurück, davon viele architektonische Meisterwerke, die heute Weltruhm genießen. Historisch produzierten Bal-Ej-Schmiede jene Waffen, die Kaiser Menelik II. große militärische Erfolge bescherten. Dies trifft auch für die berühmte Schlacht von Adua zu (bei der Schlacht von Adua am 1. März 1896 besiegte die äthiopische Armee italienische Invasionstruppen und konnte somit die Souveränität Äthiopiens sichern, Anm.). Auf die Gegenwart bezogen, sind alle Keramikmanufakturen und Webereien sowie die Mehrheit der Taxis in Addis Abeba im Besitz der Bal Ej.
Wie konnten Sie das Vertrauen der Gemeinschaft gewinnen, das für den Zugang zu den Synagogen nötig war?
❙ Das Vertrauen der Ältesten (die den Zugang gewähren, Anm.) zu gewinnen, war ein sehr zeitintensiver Prozess. Mein überzeugendstes Argument lag in der Gefahr, dass die Geschichte der Bal Ej für zukünftige Generationen verloren geht, wenn sie nicht geteilt wird. Das leuchtete vielen ein. Dennoch existieren noch einige geheime Synagogen, die ich gerne besuchen würde, deren Zugang mir aber bisher verwehrt blieb.