Mit frischem Jazzgesang von Haifa nach Berlin

Auf einer CD und im Theater Nestroyhof Hamakom in Wien präsentierte die Israelin Efrat Alony ihre individuelle Form der Komposition sowie ihre sozialpolitischen Texte.

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Efrat Alony verließ Israel 1997, um in Berlin weiterzustudieren, wo sie seither auch lebt. Doch dank ihrer zahlreichen internationalen Projekte hat die Musikerin ihren „Reisemuskel“ seit Jahren trainiert. © Reinhard Engel

WINA: Sie haben im Theater Nestroyhof Hamakom in Wien ihr Projekt Hollywood Isn’t Calling live vorgestellt, für das Sie mit dem Deutschen Jazzpreis 2022 für das beste Vokalalbum ausgezeichnet wurden – in Originalbesetzung mit Frank Wingold an der Gitarre, Henning Sieverts am Bass und Heinrich Köbberling am Schlagzeug. Sie zählen schon längst zu den wichtigsten Stimmen des europäischen Jazz. Woher kommt dieser humorvolle Projektname?
Efrat Alony: Der Name entstand durch eine witzige Geschichte: Ich bekam eine Nachricht von einem Festival in Los Angeles, dass ich einen Preis für meine Komposition gewonnen habe. Das Lustige und Absurde daran war aber, dass das ein Festival ausschließlich für Action-Filme war … Darauf habe ich mit Humor reagiert und beschlossen, wenn Hollywood doch nicht anruft, dann muss ich eben selbst zum Megafon greifen, um meine Botschaft in die Welt zu bringen.

Um welche Botschaft handelt es sich da? Sie sind Sängerin, Texterin, Komponistin und Bandleaderin, und man nennt Sie eine musikalische Grenzgängerin, die in keine Schublade passt. Wodurch unterscheiden Sie sich von anderen internationalen Jazzsängerinnen?
I Schon dadurch, dass ich meine eigenen, vor allem sozial- und gesellschaftskritischen Texte schreibe.

Sie wurden 1975 in Haifa geboren und haben irakische Großeltern.Gab es in der Familie schon vor Ihnen professionelle Musiker?
I Nein, überhaupt nicht, obwohl alle Musik geliebt haben. Ich bin auch säkular aufgewachsen, obwohl mein Urgroßvater mütterlicherseits ein berühmter Rabbiner in Bagdad war.

Seit 2009 unterrichten Sie Jazzgesang an der Hochschule der Künste in Bern, davor waren Sie unter anderem Chorleiterin und Gesangslehrerin in Berlin, Rostock und Graz. Wie sind Sie eigentlich zum Gesang und zum Komponieren gekommen?
I Ich habe schon mit zwölf Jahren immer singen wollen. Nach dem Abitur und dem einjährigen Militärdienst, den ich als Sozialarbeiterin abgeleistet habe, begann ich an der Rimon School of Jazz and Contemporary Music in Ramat Hasharon (16 km nördlich von Tel Aviv) mit dem Studium der Komposition sowie des Jazz- und klassischen Gesangs. In den USA, wo ich am Berklee College of Music in Boston weiterstudierte, hatte ich dann großes Glück: Ein ganz toller Lehrer verriet mir, dass ich in Berlin ohne Studiengeld weitermachen könnte. Und so kam ich 1997 an die Hochschule für Musik Hanns Eisler, wo ich 2002 mein Studium abschloss.

© Reinhard Engel

Ich kenne einige israelische Künstlerinnen, die an dieser renommierten staatlichen Hochschule vor allem klassischen Gesang studiert haben, wie zum Beispiel die Altistin Noa Beinart, Ensemblemitglied an der Wiener Staatsoper. Wieso wurde es bei Ihnen gerade Jazz?
I Die Musik war immer ein Teil von mir, ich wollte vieles von meiner Identität darin ausdrücken, das geht beim eigenen Text und im Jazz besser, da habe ich mehr Freiraum.

In Ihren Konzerten singen Sie Hebräisch und Englisch?
I Es ist und war mir immer sehr wichtig, hebräische Texte zu singen, weil es ein wesentlicher Teil von mir ist. Andererseits habe ich als singende Komponistin die Erfahrung gemacht, dass ich in der hebräischen Sprache stärkere und freiere Assoziationen erlebe. Wenn ich beispielsweise Mutter, „Ima“, sage, entstehen tausende Bilder in meinem Kopf – im Englischen hingegen, das ich sehr gut beherrsche, schon weniger, weil ich diese Sprache mit meiner Mutter nicht gesprochen habe. Und auf Deutsch kommt überhaupt nichts, im Gegenteil: Mein Klang verändert sich komplett.

 

„Es gibt nichts Schöneres für mich,
als Konzerte zu geben mit einer Musik, die ich liebe.“

Efrat Alony

 

Wie kommen die hebräischen Texte beim deutschen Publikum an?
I Als ich in Deutschland angefangen habe, merkte ich, dass das deutsche Publikum bei zwei bis drei Liedern fasziniert mitgeht, aber es darf nicht überhand nehmen, weil dann die Sprache doch zur Barriere wird. Inhaltlich mache ich oft einen Spagat und singe einen Song auch in Englisch und Hebräisch: Im Lied El Ha-Or (Towards The Light) versuche ich, das Licht zu sehen, egal, wie düster die Welt erscheint oder die aktuelle politische Situation, in der wir leben. Es macht vor allem traurig und wütend, wie viele Menschen wieder einmal mit selbsternannten Leadern mitgehen, ohne zu denken.

Wie hat es Ihre Familie aufgenommen, als Sie nach Deutschland gingen und jetzt dort leben?
I Im Jahr 1997 war es noch ein großes Tabu, denn es gab noch kaum Israelis in Berlin. Die Reaktionen der Bekannten und Freunde waren schon heftig: „Du gehst in die Stadt der Bösen.“ Von den Eltern habe ich es weniger gespürt, denn für sie war es insgesamt schwerer, dass ich überhaupt und dann noch so weit wegging. Jüngst, bei der Covid-Pandemie, hat man die Distanz noch stärker empfunden.

Wie oft fahren Sie nach Israel – und wie oft spielen Sie dort?
I Mindestens zwei Mal im Jahr. Ich mache zwar auch dort Konzerte, aber eher ungern, weil ich dann weniger Zeit mit meiner Familie verbringen kann.

Wie so oft in Ihren Kompositionen verbinden Sie auch bei Hollywood Isn’t Calling scheinbar Gegensätzliches miteinander: Humor und Tiefgang, Spaß und Denkanstöße. Vertonen Sie nur eigene Texte?
I Bei diesem Projekt sind alle Texte von mir. Hier nehme ich mir den Raum, Frauen direkt anzusprechen, sie zu bestärken, ihre Meinung zu sagen, auch Widerstand zu leisten, falls dies nötig ist. Ich komme ja aus einem Land, in dem jedenfalls am Papier alle gleich sind, aber das ist ein vollkommener Quatsch. Das Feedback auf diese Songs und Texte ist sehr positiv. Bei mir entsteht zuerst die Musik, und dann kommt der Text dazu, wenn ich aber Gedichte, also Fremdtexte, vertone, nehme ich die Inspiration zur Musik aus der Lyrik mit.

Parallel zu Ihrer erfolgreichen Karriere als Bandleaderin treten Sie auch als Feature-Vokalistin und Komponistin mit Bigbands wie etwa dem finnischen UMO Helsinki Jazz Orchestra, dem Ed Partyka Jazz Orchestra (Chicago), dem Jazz Orchestra Concertgebouw (Amsterdam) oder mit der Bigband des Hessischen Rundfunks auf. Wie bringen Sie Ihre zahlreichen Aktivitäten und Tourneen unter einen Hut?
I Als Musikerin respektive Musiker ist es ein Segen und ein Fluch zugleich, wenn man viel auf Reisen ist, aber das ist auch ein Muskel, den man trainieren muss: Man wächst an dieser Aufgabe, denn es gibt nichts Schöneres für mich, als Konzerte zu geben, mit einer Musik, die ich liebe.

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