Museen müssen sich immer wieder neu erfinden

Die Wissenschafterinnen Ljiljana Radonić und Heidemarie Uhl setzen sich mit der Frage auseinander, wie Zeitgeschichte idealerweise ausgestellt wird. Das betrifft auch die Arbeit von jüdischen Museen. WINA bat die beiden Forscherinnen zum Gespräch.

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Heidemarie Uhl, geb. 1956, ist Historikerin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW und Lehrbeauftragte an den Unis Wien und Graz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gedächtniskultur in Bezug auf den Holocaust und österreichische Zeitgeschichte im europäischen Kontext. © Daniel Shaked

WINA: Die Errichtung von Museen in großem Stil ging mit der Entwicklung von Nationalstaaten einher. Auch in Wien gibt es ältere und neuere Museen, Beispiel Kunsthistorisches Museum. Was war die Intention bei der Eröffnung dieses Hauses?
Heidemarie Uhl: Kunstmuseen machten die Kunstschätze, die man zur Repräsentation des Monarchen und Imperiums einsetzte, sukzessive öffentlich. Die Museumsbauten Ende des 19. Jahrhunderts sind genau diese Öffnung der kaiserlichen Sammlungen. Wobei das Museum eine Idee der bürgerlichen Moderne ist, es ging darum, neue öffentliche Räume zu schaffen. Zur gleichen Zeit entstand auch das Warenhaus. Inhaltlich versicherten sich die bürgerlichen Eliten vor allem in Nationalmuseen, welche lange Geschichte und welche großen Helden und Märtyrer die Nation hervorgebracht hat.

Warum entstand in Österreich kein Nationalmuseum?
Heidemarie Uhl: Die Kategorie der Nationalmuseen entsteht fast in jedem Land, das sich seiner nationalen Identität sicher ist. In Österreich ist das Problem, dass man sich eigentlich nur auf die ruhmreiche Heeresgeschichte einigen konnte. Das Heeresgeschichtliche Museum wurde sozusagen ein Ersatz für ein Nationalmuseum.

Eines der neuesten Museen ist das Haus der Geschichte Österreich. Hier gab es im Vorfeld langjährige Debatten und schließlich eine abgespeckte Umsetzung. In diesem Museum geht es nicht darum, eine Sammlung zu präsentieren, sondern zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen. Gelingt das?
Heidemarie Uhl: Das Haus der Geschichte hat die ambivalente Situation der späten Geburt. Das Museum hat ohne ein einziges Objekt begonnen, denn die Sammlung musste erst aufgebaut werden. Andererseits konnte es sich dadurch auch frisch definieren. Das ist das erste Bundesmuseum, das genau diesen Passus im Gesetz hat, eben ein Raum für Diskurse, für Auseinandersetzungen zu sein.
Ljiljana Radonić: Im starken Kontrast zu Nationalmuseen ist das Spannende hier, dass nicht nur die Geschichte, sondern auch die Aufarbeitung der Geschichte ausgestellt wird und dass auch Streitfragen als Streitfragen thematisiert werden. Sagt man zum Beispiel Austrofaschismus oder autoritärer Ständestaat. Der Zugang, den das Haus der Geschichte Österreich gewählt hat, ist, zu sagen, wer würde welchen Begriff aus welchen Gründen verwenden. Das ist der große Bruch zu früheren traditionellen Museen, die eine Geschichte erzählen.

»Das ist der große Bruch zu früheren traditionellen Museen, die eine Geschichte erzählen.«
Ljiljana Radonić

Das heißt, hier gibt es eine klare Abgrenzung zu Museen, die so agieren, dass sie sagen, wir erklären, wie etwas ist. Ist dieser Bruch nur im Haus der Geschichte gegeben, oder zieht sich dieser inzwischen quer durch die Museumslandschaft?
Ljiljana Radonić: Das ist nicht durchgängig so. Das Heeresgeschichtliche Museum etwa ist das Gegenteil dessen, was das Haus der Geschichte Österreich macht. Dort wird eine stolze heroische Schausammlung präsentiert, die auch zum Teil mit Objekten arbeitet, die gar nicht kontextualisiert werden. Im Raum über den Nationalsozialismus kann sich da jeder für die SS-Uniform frei von der Leber weg begeistern. Hier gibt es in Österreich also ein großes Spannungsverhältnis.

Was sind die Möglichkeiten von Museen, wenn es um gesellschaftspolitische Umbrüche geht, und wo liegen ihre Grenzen?
Heidemarie Uhl: Gerade einige Nationalmuseen mussten nach dem Systembruch 1989 ihre Geschichte völlig neu erzählen. Museen sind zudem auch Bildungsinstitutionen für die junge Generation. Da ist die Qualität der Vermittlung wichtig. Heute macht man Vermittlung nicht mehr so nebenbei. Üblich ist es zudem, die Viele-Möglichkeiten-Geschichte zu erzählen.

Ljiljana Radonić,
geb. 1981, leitet am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) das ERC-Forschungsprojekt Globalisierte Gedenkmuseen. Ihre Habilitation am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, wo sie seit 2004 lehrt, verfasste sie über den Zweiten Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen. © Daniel Shaked

Gerade in der aktuellen Kampf-gegen-Antisemitismus-Debatte wird immer wieder gefordert, dass alle Schüler und Schülerinnen eine KZ-Gedenkstätte oder ein jüdisches Museum besuchen sollen. Wie sinnvoll ist das?
Ljiljana Radonić: Das sind zwei verschiedene Dinge. Eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen, halte ich auf jeden Fall für sinnvoll, wobei gleichzeitig dazu gesagt werden muss, dass das keine Heiltinktur ist. Aber der Besuch eines Ortes der Verbrechen ist auf jeden Fall zu begrüßen. Besuche in jüdischen Museen verpflichtend für Schüler und Schülerinnen vorzusehen, halte ich dagegen für absurd.
Heidemarie Uhl: Es sollten andere Institutionen als jüdische Museen die Funktion haben, Antisemitinnen und Antisemiten aufzuklären. Das Jüdische Museum Wien weist es auch zurecht zurück, dieser Rollenzuschreibung nachzukommen.

Stichwort jüdische Museen. Lange vermieden jüdische Museen, Antisemitismus breiten Raum zu geben. Man wolle jüdische Kultur vermitteln und nicht die Welt der Judenhasser beleuchten. Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg-Schwaben, schreibt in ihrem Beitrag zum Buch, dass sich jüdische Museen dem Thema nicht mehr verschließen können. Sehen Sie hier auch einen Paradigmenwechsel?
Ljiljana Radonić: Ja, es gab diesen Paradigmenwechsel, aber wir sind schon einen Schritt weiter. Zuerst wurde gesagt, wir müssen nur Positives vermitteln. Dann wurde Antisemitismus in jüdische Museen integriert. Jetzt sind wir so weit, dass manche Direktoren und Direktorinnen überhaupt nicht mehr über Antisemitismus sprechen wollen, sondern über aktuellen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder sehr gerne auch über Islamophobie. Es gibt teils sogar ein gewisses Unbehagen, über Antisemitismus zu sprechen, aber nicht aus dem Grund, weil es etwas Negatives ist oder den Tätern zu viel Raum gibt, sondern weil gerade jüdische Museen neuerdings einen starken Trend haben, universelle Botschaften und aktuelle politische Fragen zu thematisieren. Das bringt aber das Problem, dass sogar die Leiter und Leiterinnen der jüdischen Museen absurderweise dann so tun, als ob Antisemitismus kein aktuelles gesellschaftliches Problem wäre. Staudinger ist da ein Positiv-Beispiel, weil sie immer gleichzeitig aktuellen Antisemitismus und etwa antimuslimischen Rassismus thematisiert.

Gerade um jüdische Museen gab es zuletzt massive Diskussionen. Einige Museumsleiter traten zurück, etwa Da­riusz Stola als Direktor des POLIN-Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau oder Peter Schäfer als Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Wie ist das zu interpretieren?
Ljiljana Radonić: Sehr unterschiedlich. Die Berliner Geschichte fällt genau in das hinein, was ich gerade thematisiert habe. Die Kritik an der Führung des Museums war, dass sie zu stark den Fokus auf Islamophobie legte und dabei sogar Einladungen aussprach an Leute, die selbst nicht frei vom Antisemitismusvorwurf sind. In Polen, bei dem Museum für die Geschichte der polnischen Juden, liegt die Geschichte ganz anders. Dort ist das im Zuge des autoritären Backlashs, den die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen gerade vollzieht, zu sehen. Hier war gerade das Thematisieren des Antisemitismus das Problem. Dariusz Stola hat einerseits das so genannte Holocaust-Gesetz kritisiert, also die Novelle zum Gesetz über das Institut für nationales Gedenken. Und er hat eine temporäre Ausstellung verantwortet über den Antisemitismus in Polen der 1968er. Entfremdet hieß die. In Polen will ein immer autoritärer werdender Staat die Meinungsfreiheit einschränken.

Soll man als Leiter eines jüdischen Museums besser unpolitisch sein?
Ljiljana Radonić: Keinesfalls, aber man darf die Fälle nicht über einen Kamm scheren. Im polnischen Fall will die undemokratische PiS die Museen und die Leitung zum Schweigen verdonnern. Im Falle von Berlin wird das auch so diskutiert, aber da kommt es darauf an, auf welcher Seite der Debatte man steht. Wenn man findet, man muss über den heutigen Antisemitismus sprechen, dann ist die Kritik an der Museumsführung ja auch berechtigt.

Welche Aufgabe haben jüdische Museen heute aus Ihrer Sicht? Sollten es vorrangig Museen für Nichtjuden sein, in denen das Judentum dann aber auch „das andere“ verhandelt. Oder sollten es auch Orte für Juden sein, in denen innerjüdische Positionen verhandelt werden?
Ljiljana Radonić: Ich würde sagen, sie sollten beides sein, wobei „Ort für Nichtjuden“ immer mit Vorsicht zu genießen ist – was das heißt, ist die entscheidende Frage. Da sehe ich die lange Geschichte des Ausstellens von Judaika, die kontextlos oder ein bisschen beliebig ausgestellt werden durchaus als Problem, weil es auch Klischees davon befördert, was typisch jüdisch ist. Natürlich geht das aber auch anders. Im Jewish Heritage Museum in New York gibt es derzeit eine temporäre Ausstellung, die heißt Auschwitz, geht aber viel breiter darüber hinaus. Sie stellen auch Judaika aus, aber nur sinnvoll kontextualisiert, also zum Beispiel Judaika aus dem Ort Owicim, um zu zeigen, wie sich in diesem Ort die jüdische Geschichte gewandelt hat. Die Objekte sind einer Phase, einer Gruppe oder sogar einer Person zugeordnet, durch diese Gegenstände wird also eine Geschichte erzählt. Es sollte aber auch ein Ort der Auseinandersetzung mit innerjüdischen Problemen sein. Das ist ja auch interessant für nichtjüdische Besucher. Was sind die Debatten, die verhandelt werden?
Heidemarie Uhl: Und es ist natürlich ein Ort, der auch eine Begegnungszone ist. Es wäre sicher zu wenig zu sagen, jüdische Museen sind nur dazu da, um jüdische Identität zu stiften.

Identität, Identitätspolitik sind Schlagworte unserer Zeit. Inwiefern werden sie in zeitgeschichtlichen Museen verhandelt – inwiefern trägt aber auch der Diskurs um Identität wieder zu Nationalismus bei?
Heidemarie Uhl: Einerseits ist der nationale Rahmen gerade bei Museen, die sich auf Zeitgeschichte fokussieren, meist gegeben. Es gibt nur ein Museum in Europa, das sich transnational definiert, und das ist das Haus der europäischen Geschichte in Brüssel. Die Frage der Identitätsstiftung ist gerade, wenn wir an innovative zeitgeschichtliche Museen denken, wie etwas das Haus der Geschichte Österreich, eine ambivalente. Einerseits ist schon durch das Framing klar, hier geht es um nationale Identität im weitesten Sinne. Aber es ist ein Versuch, Identität eben neu zu definieren und zu zeigen, dass das, was man sich unter einer nationalen Identität vorstellt, immer eine Konstruktion ist, die durchgesetzt wird und die sich verändern kann. Identität ist vielfältiger als nur eine nationale oder eine ethnische Zuschreibung.


BUCHTIPP
Der Band Das umkämpfte Museum beschreibt das Spannungsfeld von Museen, die sich mit Zeitgeschichte befassen. Sie bewegen sich je nach Standort und Rahmenbedingungen im eigenen Land zwischen nationalistischen Darstellungen und kritischer Reflexion des Nationalen. Wie wird die eigene Geschichte erzählt? Woran macht ein Land seine Identität fest? Hier spielen auch Gedenkstätten und jüdische Museen eine Rolle. Wirken sie hier wie ein Korrektiv?


Ljiljana Radonić, Heidemarie Uhl (Hg.):
Das umkämpfte Museum. Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung
,
transcript Verlag, 288 S., € 32,99

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