Das Judentum ist Michael Kaner wichtig. Bis er seine Art gefunden hat, es zu leben, hat er allerdings einen langen Weg zurückgelegt. 1988 in Wien geboren, zog er nach der Wiederverheiratung seiner Mutter mit einem Chassiden als Achtjähriger für zwei Jahre nach Jerusalem. „Dort habe ich auch Hebräisch gelernt, das war eine gute Basis.“
Mit zehn Jahren kehrte er nach Wien zurück, besuchte hier die jüdische Schule in der Tempelgasse und später zunächst für zwei Jahren eine Jeschiwe auch mit weltlichen Fächern in Tel Aviv, bevor er sich für das Studium an einer Chabad-Jeschiwe in Jerusalem entschied. „Ich war dann für einige Jahre sehr stark in der Chabad-Welt, bevor ich mich ein bisschen wiedergefunden habe.“ Nach Wien zurückgekehrt, absolvierte er am Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum (JBBZ) die Ausbildung zum ITTechniker und legte die Berufsreifeprüfung ab. Danach studierte er Webdesign und -development. Das ist auch der Brotberuf des heuer 35-Jährigen: Er arbeitet über eine Consultingfirma als Software Engineer für die ÖBB. Da er dieser Tätigkeit vorwiegend aus dem Homeoffice und bei weitgehend freier Zeiteinteilung nachkommt, kann er dies gut mit seiner Tätigkeit als Kantor verbinden. Nach seiner Rückkehr nach Wien hatte er begonnen, im Chor des Stadttempels zu singen. Nach und nach ergaben sich daraus die Einsätze als Kantor am Schabbes und an den Feiertagen in Graz, Salzburg, Baden, aber auch Ljubljana.
Für zwei Jahre übersiedelte er allerdings erneut nach Israel, und zwar nach der Hochzeit mit seiner zweiten Frau, einer Israelin. Inzwischen lebt die PatchworkFamilie – seine Frau brachte zwei Kinder mit in die Ehe – in Wien. Auch sie wuchs orthodox auf, gemeinsam pflegen sie aber nun einen eher traditionellen Lebensstil, so Kaner. Mit der neuerlichen Rückkehr nach Österreich nahm er seine Kantor-Tätigkeit wieder auf.
Durch die chassidische Erziehung des Stiefvaters
habe er sehr viel chassidische Musik kennengelernt.
Was Kaner von Kindheit zu schätzen weiß, ist die jüdische Musik. Durch die chassidische Erziehung des Stiefvaters habe er sehr viel chassidische Musik kennengelernt, erzählt er. An der Jeschiwe erweiterte sich das Repertoire, als Mitglied des Chors im Stadttempel prägte ihn Oberkantor Shmuel Barzilai, von dem er vor allem viel vom hiesigen Nussach mitnahm. Während der Pandemie reifte der Wunsch, noch mehr Musik in sein Leben zu bringen. Und als er dann zufällig auf den Bassisten Ynnon Rother traf, stieß er auf einen Gleichgesinnten. Gemeinsam mit dem Schlagzeuger Michael Seyfried und dem Pianisten Uli Datler, die den Jazz-Touch miteinbringen, bilden sie nun seit 2022 die Band Neschome.
Das Repertoire der Gruppe umfasst Jüdisches und Chassidisches. Aber auch Carlebach-Lieder haben es Kaner angetan. Klezmer lässt er dagegen bewusst außen vor: „Da gibt es bereits ein breites Angebot.“ Erste Konzerte in Deutschland und Österreich hätten gezeigt, dass das Publikum durchaus angetan gewesen sei. Gerne verbindet Kaner dabei das Musikprogramm mit klassischen jüdischen Witzen, wobei er sich bei der Auswahl vorsichtig herantastet, was heute noch funktioniert – und was eben nicht mehr.
Wer ein bisschen in den Stil von Neschome hineinhören möchte, für den gibt es einen YouTube-Kanal. Auch wenn von Konzertbesuchern und -besucherinnen immer wieder danach gefragt werde: CDs zu produzieren sei mit einem hohen Aufwand verbunden und nicht mehr zeitgemäß.
Oft würden in Deutschland, aber auch Österreich für Bar Mitzwot oder Hochzeiten Bands aus Israel eingeflogen. Diese Lücke würde Kaner mit Neschome gerne füllen. Und eines Tages kann er vielleicht auch von der Musik leben – als Kantor, mit seiner Band Neschome und mit Soloauftritten. Gerade ist er dabei, ein Lied zu produzieren, das israelischpoppig ausfällt und das er als Tanzlied für Hochzeiten angelegt hat. Noch mehr davon zu kreieren und dann auch zu performen, das jedenfalls ist sein Traum. neschomeband.com