Israel, die ,Start-up-Nation‘, ist ein unangefochtener Führer in Technologie und Innovation, mit den meisten Start-ups, Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Nobelpreisen pro Kopf.“ Dieser Satz stammt nicht aus einer zionistischen Propagandabroschüre, sondern wurde von den Vereinigten Arabischen Emiraten mitformuliert, denn er steht im Werbetext des neugegründeten „UAE-Israel Business Council“. Und wenn man jetzt aus Israel die Website des „Abu Dhabi Investment Office“ anklickt, blickt man gleich auf einen ganzen Schirm in hebräischer Sprache (!) und wird schwärmerisch umworben: „Komm und entdecke, warum Abu Dhabi der Partner ist, den du gewählt hast.“
Eine echte, offen und unbefangen zur Schau gestellte Partnerschaft zwischen arabischen Staaten und Israel, dem Stachel im Fleisch der arabischen Nation, dem „zionistischen Gebilde“ mit Ablaufdatum? Davon konnte man bis vor kurzer Zeit nicht einmal träumen. Aber seit dem Sommer 2020 purzeln im Nahen Osten die Dominosteine. Mit Ägypten hat Israel ja schon seit 1979 und mit Jordanien seit 1994 einen Friedensvertrag. Bis zur Bekanntgabe eines Abkommens mit einem dritten arabischen Staat, den Vereinigten Arabischen Emiraten, im letzten August dauerte es weitere 26 Jahre. Doch dann dauerte es nur fünf Monate, bis noch drei weitere dabei waren. Fast noch verblüffender als die Quantität ist dabei die Qualität. Ja, Israelis pflegten sich, als man noch reisen konnte, an den malerischen Stränden des ägyptischen Sinai zu tummeln und machten gern einen Zwei-Tage-Trip zur Felsenstadt Petra in Jordanien. Von Anfang an und durchgehend herrschte da aber nur ein Verhältnis, für das sich die Bezeichnung „kalter Frieden“ eingebürgert hat – mit Ägypten und Jordanien waren es Vernunftabkommen zwischen den Führungen, fast ohne menschliche Begegnungen, von der arabischen Seite her mit finsteren Blicken, ohne Inhalt und ohne Herz. Erst im vorigen Jahr demonstrierten Tausende im Zentrum von Amman, bloß weil ihr Land begonnen hatte, sich vom „Feind“ Israel Erdgas liefern zu lassen. Und 2011 war es in Kairo sogar richtig gefährlich geworden, als Tausende von Randalierern die israelische Botschaft belagerten.

Völlig unbesorgt, versicherten die Gastgeber und bestätigten die Gäste, könne man jetzt in Dubai und Abu Dhabi in der Öffentlichkeit hebräisch sprechen und eine Kippa tragen.

In Frieden miteinander Geschäfte machen. Jetzt muss man sich die Augen reiben, wenn man sieht, mit welcher Freundlichkeit, mit welcher Begeisterung, mit welchem Unternehmungseifer die Menschen in Israel und speziell in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufeinander zugehen. Schon allein der Flugplan des Ben-Gurion-Flughafens sprach Bände: Plötzlich standen da täglich drei, vier, fünf Direktflüge von Tel Aviv nach Dubai, von verschiedenen israelischen und arabischen Airlines. 40.000, nach anderen Angaben sogar 70.000 Israelis sind dort im Dezember spontan hingerauscht – ja, natürlich auch, weil es wegen der Corona-Pandemie fast keine anderen Reiseziele gab, aber auch wegen der Neugier und wegen des sensationellen Erlebnisses, tatsächlich als Israeli in einem arabischen Land einfach so ohne große Vorbereitungen anzukommen und mit einem Lächeln empfangen zu werden. Völlig unbesorgt, versicherten die Gastgeber und bestätigten die Gäste, könne man jetzt in Dubai und Abu Dhabi in der Öffentlichkeit hebräisch sprechen und eine Kippa tragen, was man von so mancher europäischen Stadt nicht behaupten kann. Quarantäneauflagen wegen neuerlich gestiegener Infektionszahlen in Israel haben den Rush zwar zunächst wieder verpuffen lassen, aber die Tourismusunternehmen und Fluggesellschaften rechnen für 2021 fest mit Massen israelischer Kunden. Allein schon etwas scheinbar so Selbstverständliches, aber bisher Undenkbares wie die Telefondurchwahl zwischen den beiden Ländern ist einfach zu schön, um wahr zu sein – ein winziges Indiz für einen gewaltigen Umbruch.
Die Befriedigung von (Reise-)Vergnügungslust ist wichtig, aber das eigentliche Motto der neuen Ära lautet: „Wir wollen in Frieden miteinander Geschäfte machen.“ Unmittelbar zu sehen und zu spüren war das etwa Anfang Dezember bei der großen Technologiewoche im World Trade Center in Dubai, wo man sich über Cyber Security, künstliche Intelligenz, Blockchain-Anwendungen und andere Innovationen austauschte – erstmals war da ganz offiziell eine israelische Delegation mit nicht weniger als 130 Ausstellern dabei, und es gab sogar einen eigenen Israel-Tag. Im Jänner organisierten dann Khaleej Times und Jerusalem Post, die beiden größten englischsprachigen Medien der beiden Länder, einen „Gipfel“ für Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Industrie.
Inzwischen waren schon Generaldirektoren großer israelischer Banken in Dubai und Abu Dhabi gewesen, um dortige Banker und Regierungsbeamte zu treffen. Und da ist etwa Dubai Ports World, einer der größten Hafenbetreiber der Welt, der gemeinsam mit einer israelischen Gruppe bei der Privatisierung des Hafens von Haifa einsteigen will – denn israelische Häfen, heißt es in Dubai, könnten die Brücke zwischen Häfen in Europa und im arabischen Raum bilden. Von nicht so globaler Dimension, aber umso verblüffender sind Entwicklungen in der Landwirtschaft. Blitzschnell tauchten in Dubai Vertreter des Regionalrats von Samaria auf. Samaria ist der nördliche Teil des Westjordanlands, also ein Gebiet, dessen jüdische Bewohner von vielen Ländern als „Siedler“ geächtet werden. Sofort war ein Vertrag mit der „FAM Holding“ perfekt. Schon im Jänner lief der Export von Honig und Olivenöl aus den „Siedlungen“ Rechelim und Chermesch an. Die Partner in den Emiraten wollen die Produkte im arabischen Raum vermarkten. Und besonders bemerkenswert ist: Als Herkunftsland steht einfach „Israel“ drauf. Die Araber regt das anscheinend nicht auf – nach den Richtlinien der EU wäre es verboten, weil die Ware ja aus dem „besetzten Gebiet“ kommt.

Völkerverständigung durch Wüsten-Eishockey und Fußball. Die absoluten Top-Storys der Völkerverständigung kommen aber vom Sport. Wer hat überhaupt gewusst, dass in Israel und in den Emiraten Eishockey gespielt wird? Doch die „Bat Yam Chiefs“ (aus der Stadt Bat Yam, südlich von Tel Aviv) und die „Dubai Mighty Camels“ haben einander gleich gefunden und sind am 18. und 19. Dezember in Dubai gegeneinander angetreten. Es waren die ersten Matches, die überhaupt jemals in irgendeiner Sportart zwischen irgendwelchen Mannschaften aus Israel und den Emiraten ausgetragen wurden (die Israelis gewannen beide). Das hätte Schlagzeilen verdient, aber die machte Hamad bin Khalifa Al Nahyan – das Mitglied des Herrscherhauses der Emirate hat doch tatsächlich 50 Prozent des Fußballklubs Betar-Jerusalem gekauft. Für jeden, der Israel kennt, ist das beinahe grotesk. Betar-Jerusalem gilt, soweit man einen Fußballklub politisch einordnen kann, als weit rechts stehend. Notorisch ist eine üble, rassistische Anhängertruppe, die gegen Araber und Muslime hetzt – und ausgerechnet der wird jetzt ein arabischer Scheich als Ko-Hausherr präsentiert. (Zuletzt gab es allerdings Schwierigkeiten um ein Leumundszeugnis, das der israelische Fußballverband von Klubeigentümern verlangt.)

Ein „Neuer Naher Osten“. Viel stiller hat Bahrain den Pfad der „Normalisierung“ betreten. Das winzige Inselreich mit der schiitischen Bevölkerungsmehrheit ist kein Investitions- und Technologie-Powerhaus wie die Emirate und hat nicht das gleiche politische und wirtschaftliche Gewicht. Doch eben im Windschatten der Emirate konnte König Hamad sich nun auch formal zu den Beziehungen bekennen, die schon länger diskret gepflogen wurden. Schon 2017 hatte der Monarch seinen Untertanen erlaubt, Israel zu besuchen. 2019 trafen einander die Außenminister der beiden Staaten in den USA, und der sephardische Oberrabbiner von Jerusalem nahm an einem interkonfessionellen Treffen in Bahrain teil. Bahrain selbst ist ein kleiner Markt, gilt aber als Sprungbrett zum mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien, der größten Volkswirtschaft im arabischen Raum – israelische Geschäftsleute könnten sich in Manama mit saudischen Partnern treffen und den freien Handel zwischen Bahrain und Saudi-Arabien nützen. Im Dezember knüpfte schon eine 40-köpfige bahrainische Wirtschaftsdelegation Kontakte in Tel Aviv.
Wieder ganz anders ist es mit dem Sudan, der sich im Oktober zu einem Abkommen mit Israel bewegen ließ. Niemand braucht zu erwarten, dass israelische Touristen jetzt Khartum überschwemmen, wirtschaftlich hat man einander nicht viel zu bieten, und die Herzlichkeit hält sich in Grenzen. Das Hauptmotiv für den neuen Premierminister Abdalla Hamdok war, dass die USA sein Land von der Liste der Terrorsponsoren strichen, was Geldkanäle zur Erleichterung der Schuldenlast öffnet. Doch anders als bei den anderen Normalisierungspartnern ist Israels Abkommen mit dem Sudan ein echter Friedensvertrag, denn 1948 und 1967 haben sudanesische Soldaten gegen Israel gekämpft, und die beiden Länder standen bis zuletzt formal im Kriegszustand. Hier wurde wirklich ein Bann gebrochen, auch deswegen, weil „Khartum“ im israelischen Bewusstsein für die berüchtigten „Drei Neins“ steht, mit denen die Arabische Liga 1967 in der sudanesischen Hauptstadt jedes Arrangement mit dem jüdischen Staat abgelehnt hat.
Mit Marokko, das als bisher letzter arabischer Staat dem Israel-Fan-Club beitrat, ist wiederum alles ganz entspannt. Schon bisher haben sich Jahr für Jahr Zehntausende Israelis das westlichste Maghreb-Land angeschaut. Weil die alten jüdischen Synagogen und Friedhöfe eben auch eine Touristenattraktion sind, wurden sie im strikten Auftrag des Königs gepflegt und gehütet, und Marokkaner haben den israelischen Gästen schon immer treuherzig versichert, es wäre ihnen am liebsten, wenn alle Juden, die nach Israel geflohen sind, wieder zurückkehrten. Die wichtigste praktische Veränderung für die Israelis ist, dass sie bald keinen Umweg über Madrid oder Frankfurt machen, sondern direkt von Tel Aviv nach Marrakesch fliegen werden.
Als nächste Kandidaten für die „Normalisierung“ gelten das Sultanat Oman und Indonesien, das Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung. Durch den Machtwechsel in Washington, von wo bisher viel Druck kam, könnte sich das Tempo verringern. Ein „Neuer Naher Osten“, in dem „Barrieren fallen“ – solche Ausdrücke klingen pathetisch, aber anscheinend hat wirklich ein historischer Umbruch begonnen. Tore öffnen sich, und Menschen, die Israel bisher feindlich gesinnt waren, lernen israelische Menschen kennen. Israel scheint jetzt ein Teil der Region zu werden, in der es seit seiner Gründung ein Fremdkörper war.

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