Im Song Meine Roten spricht der israelische Sänger Arik Einstein über eine niemals endende Liebe. Der Künstler besang dabei seine erste rot-weiße Leidenschaft, die er als Licht seines Lebens sah. Was er aber als seine Seele und Gruppe beschrieb, war nicht die Offenbarung seines Herzens an einen geliebten Menschen, sondern an den Fußballclub Hapoel Tel Aviv, der diesen Sommer sein 100-jähriges Jubiläum feiert. Der 2013 verstorbene Liedermacher und Schauspieler widmete anlässlich des Double-Gewinns in der Saison 1999–2000 dieses Musikstück seinem Herzensverein.
„Nur einem Fußballclub kann man treu sein“, lacht Doron Ben Bassat, ExVereinsarzt von Hapoel. „Diese Liebe kann man nicht austauschen. Wäre Arik Einstein noch am Leben, hätte er ihnen ein neues Lied zum Ehrentag gewidmet.“
Dem 70-jährigen Fußballfan und mittlerweile pensionierten Orthopäden wurde die Liebe zu den „Roten“ praktisch in die Wiege gelegt. Seine Eltern waren jüdische Einwanderer aus Bulgarien, die sich in Jaffa niederließen. Er wuchs in der Nähe des Bloomfield Stadions auf, das mittlerweile mehr als 29.000 Sitzplätze bietet und wo neben Hapoel (hebräisch: der Arbeiter) auch die Stadtrivalen Maccabi und Bnei Yehuda ihre Heimspiele austragen. „Mein Vater führte die Vereinsgaststätte“, erzählt Ben Bassat. „Und meine Mutter putzte in der Sportanlage. Ich war ständig von Fußball umgeben und kickte in der Hapoel-Jugend.“ Aufgrund einer Verletzung musste er seine Sportkarriere aufgeben. Nach seinem Medizinstudium blieb er seinem Verein jedoch treu und wurde Teil des Ärzteteams. „Ich hatte immer ein rotes Herz“, sagt er. „Und ein Großteil von Tel Aviv schon seit 100 Jahren.“
Tatsächlich war Ende Juli 1923 die Geburtsstunde von Hapoel Tel Aviv F. C., der aber bald darauf aufgelöst wurde. In den Jahren 1925 und 1926 wurde er jeweils neu gegründet, doch erst die Fusion mit dem F. C. Allenby ein Jahr später gab dem Klub seine moderne Form. Der Verein spielt seit 1932 – als die höchste Spielklasse des Landes eingeführt wurde – in der „Ligat ha’Al“, von der er nur 1989 und 2017 abstieg. Allgemein gehören die Roten zu den erfolgreichsten Fußballteams Israels, mit 13 Meisterschaften – und 16 Pokalsiegen. Während sie 1967 sogar die asiatische Champions League gewinnen konnten, erreichte Hapoel in der Saison 2010–2011 die Gruppenphase der UEFA Champions League, wo sie den letzten Platz belegten.
„Im Fußball geht es nämlich nicht um
Leben oder Tod, sondern um viel mehr.“
Ben Bassat
Der Klub hat seine Ursprünge in der zionistischen Arbeiterbewegung und ist Teil des Hapoel-Sportverbands, der in Kombination mit dem roten Hammerund-Sichel-Abzeichen die Verbundenheit zum Sozialismus darstellt. Er war 70 Jahre im Besitz der Histadrut, des israelischen Gewerkschaftsdachverbands, weshalb seine Anhänger oft als Kommunisten bezeichnet wurden. „Er war der letzte Verein, der formelle Verbindungen zur Politik abbrach“, erklärt David Marciano, langjähriger Sprecher der Hapoel-Ultras. „Trotzdem stehen unsere meisten Fans der israelischen Linken nahe. Der Verein setzte sich stets gegen Rassismus und für eine jüdisch-arabische Koexistenz ein.“
Der 62-jährige Taxifahrer wuchs in den Armenvierteln von Tel Aviv auf, wo es viele Anhänger von Hapoel gab. Während er sich als Jugendlicher zu Beginn noch Straßenschlachten mit arabischen Gleichaltrigen lieferte, kam es aufgrund der Unterstützung der Roten in beiden Lagern irgendwann zur Verbrüderung. Und so schwenken sie gemeinsam Flaggen mit den Gesichtern von Che Guevara und Karl Marx sowie Banner mit dem Slogan „Arbeiter aller Länder, vereint euch!“ Die Ultras pflegen Freundschaften mit vielen anderen antifaschistischen Fanszenen, wie z. B. dem FC St. Pauli. TV-Umfragen beweisen, dass Hapoel Tel Aviv nach Maccabi Haifa die zweitbeliebteste Fußballmannschaft unter den israelischen Arabern ist. „Fußball ist in Israel nicht nur Sport, sondern auch Politik“, sagt Marciano. „Maccabi gegen Hapoel Tel Aviv ist das wichtigste Spiel des Jahres. Ich gewinne lieber das Derby und steige ab, als Meister zu werden und es zu verlieren.“
Die Rivalität beider Vereine – die die größten Vertreter der einflussreichsten Strömungen im israelischen Fußball sind – besteht seit 100 Jahren. Während Hapoel aus der Arbeiterklasse entstand, wurde Maccabi 1906 als zionistische Sportbewegung gegründet, deren Ziel es war, jüdischen Sport zu fördern. Bei ihnen stand die Verbindung von physischer Fitness und Nationalismus im Vordergrund. Es ging um Stolz und Wettbewerb. Der erfolgreichste Klub Israels ist für Hapoel-Fans ein rotes Tuch, seine Anhänger werden von ihnen als „Deutsche“ und „Nazis“ beschimpft.
„Fußball ist das Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt Rifaat Turk, legendärer Spieler von Hapoel Tel Aviv. „Von der politischen Dimension ist das Spiel gegen Beitar Jerusalem sogar wichtiger. Ein Sieg gegen den Klub der Rechtsnationalen ist eine Genugtuung für uns.“
Der heute 68-Jährige war der erste Araber, der für die israelische Nationalmannschaft spielte und das Land bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal vertrat. Während er aufgrund seiner Herkunft von gegnerischen Fans und Spielern angefeindet wurde, wurde er im Laufe der Jahre zu einem überaus beliebten Sportler und setzte sich für ein harmonischeres Zusammenleben von Juden und Arabern in Israel ein. Als Mitglied der linksgerichteten Meretz-Partei wurde er nach seiner Karriere 2003 zum stellvertretenden Bürgermeister Tel Avivs gewählt.
„Es ist heute schwieriger geworden, den israelischen Fußball bestimmten Parteien zuzuordnen“, erklärt er. „Wie die Gesellschaft, so sind auch die Fans diverser geworden. Zwar existiert die sozialistische Idee bei Hapoel nicht mehr, aber das Underdog-Gefühl ist präsent.“
Auch wenn die Roten sich immer noch als idealistischer Verein geben, werden sie heute privat geführt. Zwar besingen ihn seine Fans als liebenswerten Verlierer – wie der Sänger Arik Einstein in seinem Lied Fahr langsam –, doch auch bei Hapoel geht es um Triumphe und Geld.
„Seit den 1970er-Jahren balanciert der Klub zwischen erfolgreich und authentisch sein“, erzählt Doron Ben Bassat, der Ex-Arzt der Roten. „Alle paar Jahre steht auch Hapoel vor dem Scheideweg, der über seine sportliche Zukunft entscheidet.“
Das Vereinsmotto war stets: Bringt uns um, wir sind schon hinüber. Ben Bassat hofft, dass seine große Leidenschaft weiterbestehen wird, trotz des inneren Widerspruchs: „Im Fußball geht es nämlich nicht um Leben oder Tod, sondern um viel mehr.“