Der Hauptpreis der nun zum zweiten Mal vergebenen Auszeichnungen ging an die israelische Gedenkinitiative Sikaron BaSalon („Wohnzimmer der Erinnerung“). Im privaten Rahmen kommen dabei Menschen zusammen, hören den Erzählungen Schoa-Überlebender zu und es ergeben sich ungezwungene Gespräche. Das Konzept wird inzwischen auch in europäischen Ländern umgesetzt. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka kündigte an, man wolle diese Initiative mit dem Nationalfonds auch in Österreich übernehmen. Juryvorsitzende Katharina von Schnurbein, sie ist die Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, betonte in ihrer Würdigung, „einer der wirksamsten Impfstoffe gegen Antisemitismus sind die Zeugnisse der Überlebenden“. Sikaron BaSalon schaffe hier ein Umfeld für Zeitzeugen, in dem sie ihre Geschichte erzählen könnten. Nominiert waren für den Hauptpreis neben Sikaron BaSalon der spanische Kulturverein Mota de Judios, das österreichische Dialogprojekt LIKRAT und das Schwedische Komitee gegen Antisemitismus.
Mit dem Preis für zivilgesellschaftliches Engagement für Aufklärung über den Holocaust wurde Waltraud Barton ausgezeichnet. Mit ihrem Verein IM-MER machte sie auf die rund 10.000 in Maly Trostinec und Minsk ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden aufmerksam. Inzwischen erinnert ein Mahnmal an dem Ort, an den Menschen nur verbracht wurden, um dort sofort ermordet zu werden, an die Opfer. Die Würdigung nahm für die Jury die Zeithistorikerin Brigitte Bailer-Galanda vor – es sei Bartons Hartnäckigkeit zu verdanken, dass es inzwischen dieses Denkmal an der Stätte des Verbrechens gebe. Barton machte in ihren Dankesworten klar, dass sie auch weiterhin laut sein werde. „Wien braucht einen zentralen Vermittlungsort“, sagte sie. Dort solle über alle in der Schoa Verfolgten informiert werden, aber auch animiert werden, gegen Ungerechtigkeiten heute aufzustehen. „Ich verspreche nicht aufzuhören, bis auch das verwirklicht ist.“ Neben IM-MER waren für diese Auszeichnung auch der Verein für aktive Gedenk- und Erinnerungskultur Alpine Peace Crossing sowie die Initiative Zweitzeugen nominiert.
Der palästinensische Friedensaktivist Mohammed S. Dajani Daoudi erhielt den Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus. Mit seiner Organisation Wasatia engagiert er sich seit 2007 im Kampf gegen Antisemitismus und in der Aufklärung über den Holocaust. IKG-Präsident Oskar Deutsch bedauerte seitens der Jury, dass Daoudi auf Grund seines Engagements nicht nur seine Anstellung an der Al Quds-Universität verlor, sondern bis heute persönlichen Anfeindungen ausgesetzt sei. Die Auszeichnung würdige den Mut Daoudis. Der Geehrte betonte, es sei nicht nur richtig, gegen Antisemitismus zu kämpfen, das verlange auch die Moral. Er hoffe immer mehr Menschen zu überzeugen, „Licht wird die Dunkelheit bekämpfen, Wissen die Ignoranz“. Nominiert waren in dieser Kategorie auch der deutsche Verein DEIN – Demokratie und Information und die Europäische Janusz-Korczak-Akademie.
Für die Simon-Wiesenthal-Preise 2022 wurden über 260 Bewerbungen aus über 30 Ländern eingereicht. Bei dem Festakt wurde nicht nur Simon Wiesenthal gewürdigt (Sobotka: „Wiesenthal war sicher eine der Lichtgestalten der Zweiten Republik“), sondern auch an Karl Pfeifer erinnert, der im vergangenen Jahr geehrt worden war. Er verstarb zu Beginn dieses Jahres. Die Schauspielerin Martina Ebm las eine Passage aus einem Buch Pfeifers, in der er die Geschehnisse ab März 1938 aus der Perspektive seiner Familie schilderte.
Stichwort Familie: Anwesend war Montag Abend auch Rachel Kreisberg, die Enkelin Wiesenthals. Ihre Erzählungen über den Großvater zählten zu den emotionalen Momenten dieses Abends, ebenso wie die Erinnerungen Lucia Heilmans an ihr Überleben als Kind in einer Werkstatt in Wien, wo sie und ihre Mutter von einem Freund des Vaters versteckt wurden. „Die Angst ist die stärkste Erinnerung an diese Zeit. Jedes Klopfen an der Tür war zunächst mit Angst verbunden. Man wusste nicht, kommt jetzt die SS und holt einen ab.“ Diese Angst habe auch nach ihrer Befreiung 1945 für viele Jahre ihr Leben geprägt.
Fotos: (c) Parlamentsdirektion/Thomas Topf