Steaks OHNE KÜHE

Israelische Unternehmen zählen zu den globalen Innovatoren, was die Entwicklung von künstlichem Fleisch betrifft. Darunter sind zahlreiche kreative Start-ups sowie bereits erste industrielle Produzenten.

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Da hat doch jemand richtig Angst. „Diese größte Investition bedeutet die Massenproduktion von künstlichem Fleisch“, las man im Jänner in der Fachzeitung Poultry World der amerikanischen Hühnerzüchter. Und tatsächlich war sowohl die Summe außergewöhnlich wie auch der Status der Kapitalgeber. Mit 347 Mio. US-Dollar gelang es dem israelischen Produzenten von künstlichem Hühnerfleisch, Future Meat Technologies, das bisher größte Investment in dieser jungen Branche für sich zu sichern. Fast noch wichtiger als der schiere Umfang des Risikokapitals für ein Unternehmen, das gerade einmal drei Jahre alt ist, scheint die Bonität und einschlägige Erfahrung der Investoren. Denn unter den Firmen, die sich diese Summe teilen, sind nicht nur die üblichen Pensionsfonds, sondern global aktive amerikanische Branchengrößen wie der börsennotierte Lebensmittelkonzern ADM oder Tyson, der ebenfalls an der Börse handelbare weltweit größte Vermarkter von Hähnchen-, Rinder- und Schweinefleisch. Damit geht es nun bereits um knapp kalkulierte großindustrielle Produktion, nicht mehr bloß um exorbitant teure innovative Testhäppchen im Labor. Wer ist Future Meat? Gegründet wurde es 2018 gemeinsam mit anderen von Yaakov Nahmias, einem Professor für Biotechnologie an der Hebrew Universität von Jerusalem. Er ist auch heute Chief Technology Officer des Unternehmens. Im zweiten Jahr gelang es dem Start-up bereits, 14 Mio. Dollar für eine Testproduktionslinie im Labor aufzustellen, dann ging es – für derart komplexe Technologien – rasend schnell. Schon 2021 wurde eine erste Fleischfabrik in Israel eröffnet, die immerhin 500 Kilo gramm Hühnerfleisch pro Tag erzeugen kann. Mit der aktuellen großen Finanzierungsrunde wird Future Meat in den USA mehrere große Fabriken bauen, so Professor Nahmias stolz. Future Meat setzt für die Produktion Fermentierbehälter aus rostfreiem Stahl ein, nicht unähnlich Tanks in Kosmetikwerken oder großen Weingütern. Basis für die gezüchteten Hühnerbrüste sind Zellen, die lebenden Tieren entnommen werden. Dies ist – vereinfacht gesagt – eine der beiden Varianten, wie künstliches Fleisch (In-vitro-Fleisch, Laborfleisch, Cultured Meat) erzeugt wird. Tierische Stammzellen, ob vom Huhn, vom Rind, vom Schaf oder vom Schwein, kommen in eine Nährlösung, wo diese Zellen dann unter Zufuhr von Energie wachsen, ohne dass dazu ein ganzes Tier nötig wäre. Die zweite Möglichkeit besteht darin, ausschließlich pflanzliche Vorprodukte zu verwenden. Unter Einsatz von 3D-Druckern werden verschiedene Schichten dichteren und lockeren Materials mit mehr und weniger Fett aufeinander gepackt, so dass der Eindruck von Muskelstrukturen entsteht. Mit dieser Spezialität der Lebensmittelbranche gehört Israel weltweit zu den führenden Ländern, neben Kalifornien, den Niederlanden und Singapur. Eine bunte Palette von Start-ups hat sich in den letzten Jahren des Themas angenommen, es gibt zwei einschlägige staatliche Inkubatoren, die jungen Unternehmen erste Laborund Büroplätze anbieten. Und einige Firmen sind – wie Future Meat – bereits dabei, den Sprung aus den Forschungsräumen in die Industriehallen zu schaffen. Zu den bekanntesten gehört etwa Aleph Farms in Rehovot, gegründet vom französischen Agrar- und Lebensmittelwissenschaftler Didier Toubia. Vor Aleph Farms hatte er bereits zwei Unternehmen im Bereich Medizintechnik ins Leben gerufen und dann erfolgreich verkauft. Und auch was PR betrifft, muss er sich nicht verstecken, berichtet ein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, der das Unternehmen besucht hat: Immerhin gab es im Jahr 2020 einen Aufsehen erregenden Probelauf mit 3D-Druck im All, auf der Raumstation ISS. An Aleph Farms sind unter anderem beteiligt: die israelische Lebensmittelgruppe Strauss, bekannt für Milchprodukte, Kaffee, Eis und Snacks, die Biotechnik-Fakultät des Technion in Haifa und einzelne wohlhabende Persönlichkeiten, etwa der amerikanische Schauspieler Leonardo Di Caprio.

„In Israel gibt es derzeit über 100
Unternehmen in der Branche alternative Proteine.“
Aviv Oren

50 Dollar pro Steak. Aleph Farms hat sich auf Rinder-Steaks spezialisiert, ebenfalls auf Basis von In-vitro-Zellwachstum. Technisch funktioniert die Sache bereits, bei den Kosten liegt das Unternehmen einstweilen noch zu hoch, laut Presseberichten bei etwa 50 Dollar pro Steak. Das ist zwar schon eine gewaltige Verbilligung gegenüber den ersten extrem teuren Laborfleischstücken vor wenigen Jahren, aber die Hühnerproduzenten von Future Meat werben inzwischen mit einem Signalpreis von unter fünf Dollar pro Portion. Supermeat ist ein weiterer Erzeuger von künstlichem Hühnerfleisch, der bereits in die Produktionsphase eingetreten ist. Hier hat sich unter anderem einer der größten deutschen Hähnchenfleisch-Anbieter beteiligt, PHW, bekannt für seine Marke Wiesenhof. Auch an Redefine Meat konnte sich PHW Anteile sichern. Redefine Meat geht allerdings einen anderen Weg: Hier entstehen am 3DDrucker fleischähnliche Stücke, die nicht einmal eine einzige Tierzelle enthalten. Hier kommen ausschließlich pflanzliche Rohstoffe und Vorprodukte zum Einsatz.

Rabbiner Joseph Pardess:
„Die Voraussetzung dafür ist
allerdings ein koscherer Prozess.“

Angeboten wird das Druckersteak in einigen Restaurants in Tel Aviv und Haifa, als „coming soon“ kündigt der Britische Fernsehkoch Marco Pierre White den Einsatz in seiner Steakhouse-Kette an. „In Israel gibt es derzeit über 100 Unternehmen in der Branche alternative Proteine“, erklärt Aviv Oren vom Good Food Institute Israel, einer wissenschaftlichen Non-Profit-Organisation, die sich auf Forschung in diesem speziellen Bereich konzentriert. Dabei werden längst nicht mehr nur Steaks oder Brüste von vier- oder zweibeinigen Tieren im Labor gezüchtet. Eine Reihe von Start-ups hat die zunehmend leer gefischten Meere als ökologischen Problemfall ausgemacht und widmet sich dem Fischfilet. Die Firmen heißen etwa Sea2Cell, Plantish, Wanda Fish oder ForSea. Auch hier gibt es wieder – analog zum Festlandfleisch – zwei Spielarten: die Zucht aus Fischzellen und das Meeresfilet aus Gemüse.


Koscheres aus dem Drucker?


Über die religiösen Regeln der neuen Fleischproduktion sind sich die Rabbiner noch uneins.
„Natürlich kann man auf diese Art auch koscheres Fleisch herstellen“, sagt der Wiener Rabbiner Joseph Pardess. „Die Voraussetzung dafür ist allerdings ein koscherer Prozess.“ Er meint damit, dass die Zelle für das Fleischwachstum keinem lebenden Tier entnommen werden darf, sondern dass dieses geschächtet sein muss. Und natürlich kommen für diese Erzeugung nur Tiere in Frage, die auch koscher sind, also Kühe, Schafe oder Ziegen.
An der nächsten Frage, ob es sich dann auch um Fleisch handelt, scheiden sich die Geister. Das ist deshalb für religiöse Juden von Bedeutung, denn wenn es nicht fleischig, sondern parve wäre, dürfte man es in der Küche viel umfangreicher einsetzen. Kurz zusammengefasst gibt es unter den Rabbinern zwei Argumentationsstränge. Der eine, der zum Schluss kommt, dass das künstliche Fleisch parve, also neutral ist, sieht in der überwiegenden Menge von Nährlösung, die das Endprodukt bestimmt, das nicht-tierische Element dominieren. Die andere, strengere Auffassung, die den Parve-Status ablehnt, sagt, egal, wie viel zusätzliche Materie hinzukommt, ohne die tierische Zelle am Beginn des Prozesses wäre die ganze Herstellung nicht möglich. Also bleibe das Endergebnis fleischig.
Pardess verfolgt die Diskussion unter den israelischen Rabbinern, er rechnet auch mit einer Entscheidung, den Zeitraum kann er nicht nennen. Aber er gibt auch ein Beispiel, wie sich innerhalb weniger Jahre religiöse Vorschriften ändern können. „Man sollte auch kein künstliches Fleisch auf Pflanzenbasis gemeinsam mit Käse essen. Denn es darf nicht einmal den Anschein geben, dass man die Speisegesetze bricht.“ Ähnlich argumentierten die israelischen Rabbiner, als die ersten Würste auf Soja-Basis auf den Markt kamen. Pardess: „Damals waren diese neu, und die Kombination mit milchigen Speisen hätten viele nicht verstanden. Heute kennt man Soja-Wurst schon allgemein und weiß, dass sie kein Fleisch enthält. Jetzt darf man sie auch mit Käse kombinieren.“

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