Wina: Sie haben das Kochbuch zum Überleben von Szilvia Czingel dramatisiert und am Golem Theater inszeniert. Doch Sie beschränken das Stück nicht nur auf die Zeit im Zwangsarbeitslager, sondern thematisieren auch die Lebensumstände in Ungarn nach der Schoah?
András Borgula: Ja, wir haben noch andere Überlebende des Lagers und auch Töchter der Inhaftierten getroffen. Um das Drama reichhaltiger zu machen, wurden auch Fragmente anderer Schicksale eingeflochten. Und weil die Geschichte so emotional ist, haben wir versucht, die Tragik mit – manchmal sehr bösem – Witz zu brechen.
Hédi Weisz und ihre Freundinnen haben danach auch genug Entbehrungen erfahren?
❙ Hédis imaginierte Kochkünste beginnen zwar im Lager Lichtenwörth, aber den Jahren des NS-Terrors folgte der Stalinismus mit seinem allgegenwärtigen Mangel an allem, mit seinen Rationierungen und Lebensmittelmarken. Auch der viel gepriesene „Gulaschkommunismus“ brachte noch immer sehr beschränkten Zugang zu wichtigen Zutaten, auch für bodenständige Speisen. Die Fassung unseres „Kochbuchs“ zeigt mit einiger Raffinesse noch einmal die Verlogenheit, Fadesse und biedermeierliche Zurückgezogenheit der Kádár-Zeit auf.
»Man kann sich morgens nur in den Spiegel schauen, wenn man kein Geld von dieser Regierung annimmt.«
András Borgula
Sie sind 1995 auf Alija nach Israel gegangen. Waren Sie Zionist?
❙ Nein, das war eher einem Zufall geschuldet. Ich hatte das Madách-Gymnasium in Budapest beendet und wollte auf die Schauspielakademie, wurde aber nicht aufgenommen. In dieser Zeit bat mich ein Freund, der gerade Alija machte, ihn zur Sochnut zu begleiten, nur so, weil er alleine war. Im Büro fragte mich dann der Repräsentant wie beiläufig, ob ich jüdisch sei. Ich sagte ja, das wäre aber nicht der Grund, warum ich hier sei. Er zeigte auf meine – damals – langen blonden Haare und blaue Augen und meinte, es würden viele tolle israelische Mädchen auf mich warten. Ich hätte dort sicher großen Erfolg. Das hat sich gut angehört und angefühlt. So bin ich nach Israel eingewandert, habe den Ulpan (Ivrit-Sprachkurs) gemacht, absolvierte meinen dreijährigen Militärdienst und studierte Schauspiel und Regie an der Tel Aviv University.
Warum sind Sie 2005 wieder nach Budapest zurückgekehrt?
❙ Bei einem Familienbesuch in Budapest habe ich mich in eine junge Frau verliebt. Sie ging zwar mit mir nach Israel, aber hielt es nicht lange dort aus. Wir kehrten nach Budapest zurück – und ließen uns bald darauf scheiden.
Wollten Sie nicht wieder nach Israel?
❙ Ich denke ständig daran, aber in Israel ist es jetzt auch nicht einfach. Ich höre laufend Nachrichten in Hebräisch, aber diese Regierung macht mir die Entscheidung nicht leichter. Die Situation der Theater ist schwierig, sie kämpfen laufend mit finanziellen Problemen.
Ist es in Ungarn heute leichter?
❙ Sicher nicht, auch hier stehe ich in Opposition zur Regierung. Aber es ist eine große Herausforderung, jüdisches Theater in Budapest zu machen. Wir haben es in unser Gründungspapier geschrieben, dass wir sowohl jüdisches wie auch israelisches Theater fördern wollen. Das Golem Theater schafft drei bis vier Produktionen im Jahr. Wir haben kein fixes Haus, sondern mieten jeweils Veranstaltungsorte. Unsere Aufführungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie wichtige Themen, die uns alle betreffen, behandeln, wie Liebe, Rache, Betrug, Freundschaft, Familie, Tod und Politik. Das Jüdische daran ist vielleicht, dass wir diese Fragestellungen durch die besondere Brille der jüdischen Religion, Tradition, Geschichte und Kultur betrachten.
Wie finanziert sich das Golem Theater?
❙ Nur durch den Kartenverkauf und private Sponsoren, denn weder der ungarische Gemeindebund MAZSIHISZ noch die Regierung gibt uns Mittel. Im Gegenteil: Eine Steuererleichterung, die es für Theater gegeben hat, wird 2019 abgeschafft. Im Holocaust-Gedenkjahr 2014 hat die Regierung ein Budget für spezifische Projekte aufgestellt. Wir haben damals eine Produktion eingereicht und auch Geld dafür erhalten. Zwei Wochen danach hat Orbán das umstrittene Monument zur Erinnerung an die deutsche Besetzung 1944 am Freiheitsplatz aufstellen lassen. Das ist eine grobe Geschichtsfälschung, denn dieses Denkmal zementiert den ungarischen Opfermythos und vertuscht gleichzeitig jegliche Mitverantwortung Ungarns an der Schoah. Wir haben das Geld zurückerstattet. Man kann sich morgens nur in den Spiegel schauen, wenn man kein Geld von dieser Regierung annimmt.
Lese auch Kochbuch zum Überleben: Wie man im Lager Lichtenwörth überleben konnte, hat man bei einem berührenden Gastspiel des Golem Theaters aus Budapest im Volkstheater erfahren.