Über jene, die halfen

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) zeichnet in einem nun erschienenen Band nach, wie es manchen Menschen gelang, trotz aller Widrigkeiten in einem Unrechtsstaat verfolgten Juden und Jüdinnen zu helfen. Wir hätten es nicht ausgehalten, dass die Leute neben uns umgebracht werden nennt sich das Buch, in dem ein Team von Historikern und Historikerinnen nun jene vor den Vorhang bittet, die sich durch ihr Helfen selbst gefährdeten, sich aber dennoch nicht davon abhalten ließen, menschlich zu agieren.

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Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Wir hätten es nicht ausgehalten, dass die Leute neben uns umgebracht werden. Hilfe für verfolgte Juden in Österreich 1938–1945. Lukas Verlag 2023, 444 S., € 26,50

Zurechtgerückt werden hier aber auch die Perspektiven: Bis 2020 wurden 112 Österreicher und Österreicherinnen von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Insgesamt wurden seit 1963 knapp 28.000 Menschen als „Gerechte“ geehrt, darunter etwa an die 7.100 Polen und Polinnen und mehr als 4.100 Franzosen und Französinnen. Es gab zwar auch in Österreich sicher mehr Helfer und Helferinnen als die 112 Ausgezeichneten – dennoch waren es im hier zu Lande „zu wenig Gerechte“, wie die Zeithistorikerin Erika Weinzierl schon 1969 festhielt.

„Es sind nicht so sehr die rohen Gewalttaten der österreichischen Nazis, die ich selber gesehen oder von denen ich durch ihre Opfer gehört habe, die mir das Bild, das ich mir von Wien gemacht hatte, verderben. Es sind vielmehr die herzlosen, grinsenden Menschen im Alltagsgewand auf dem Graben und der Kärntner Straße, die Typen des ‚Herrn Maier‘ und der feschen blonden Mizzi, die sich stießen und drängten, um sich den erhebenden Anblick nicht entgehen zu lassen, wie ein jüdischer Chirurg mit aschgrauem Gesicht auf Händen und Knien auf dem Boden lag, von einem halben Dutzend junger Lümmel mit Hakenkreuzbinden und Hundepeitschen umgeben, seine schlanken Finger, die mit raschen und sicheren Bewegungen wohl vielen Wienern das Leben gerettet hatten, eine Ausreibbürste umklammernd. Ein SA-Mann goss ätzende Lauge über die Bürste – und seine Finger. Ein zweiter goss Wasser aus einem Kübel auf das Pflaster und bemühte sich dabei, die gestreiften Hosen des Arztes möglichst arg zu durchnässen“, berichtete der britische Auslandskorrespondent George Eric Rowe über die Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden im März 1938.

 

Die Wissenschafter und Wissenschafterinnen
zeigen
in dem Band vor allem eines auf:
wie viele
Gesichter Hilfe haben konnte.

 

Es gab aber doch auch die anderen – auf ihre Spuren heften sich in dem vom DÖW herausgegebenen Band die Historiker und Historikerinnen Manfred Mugrauer, Gabriele Anderl, Brigitte UngarKlein, Stephan Roth, Winfried R. Garscha, Elisabeth Holzinger, Claudia Kuretsidis-Haider, Edith Hessenberger, Michael Kasper und Eleonore Lappin-Eppel. Lappin-Eppel beispielsweise schildert die Rettung ungarischer Jüdinnen und Juden in St. Peter in der Au. Bewohner dieses niederösterreichischen Dorfs brachten die als Zwangsarbeiter zugewiesenen Juden besser unter, als dies sonst gehandhabt wurde, versorgten sie mit Essen, behandelten sie freundlich. Sie beschäftigten landwirtschaftlich eingesetzte Kräfte auch nach der Saison und bewahrten sie damit vor einem Weitertransport. In der Schlussphase des Krieges wurde zudem von einigen Dorfbewohnern ein Versteck gebaut, um einen Abtransport von Juden zu verhindern. Schließlich konnten so 23 Personen gerettet werden, die andernfalls kurz vor Kriegsende noch ermordet worden wären. „Freilich war es lebensgefährlich, was wir da getan haben. Aber wir hätten es nicht ausgehalten, dass die Leute neben uns umgebracht werden“, erinnerte sich eine der an der Rettungsaktion beteiligten Dorfbewohnerinnen, Anna Schmid, später in einem Interview.

Die Wissenschafter und Wissenschafterinnen zeigen in dem Band aber vor allem eines auf: wie viele Gesichter Hilfe haben konnte. Hessenberger und Kasper spüren etwa den Fluchthelfern entlang der Gebirgsgrenze zwischen Österreich und der Schweiz nach, Roth schildert das Überleben des Bernhard Golstein (oder Goldstein) in Baden. Kuretsidis-Haider erzählt über Hermine Riss, die in der Leopoldstadt drei Juden und Jüdinnen rettete. Ungar-Klein porträtiert die Ärztin und Widerstandskämpferin Ella Lingens und erzählt die Geschichte von Dorothea Neff und Lilli Wolff, Mugrauer jene des katholischen Priesters Balthasar Linsinger aus Salzburg, der drei Kinder schützen konnte.

In diesem Buch werden die Geschichten des „anderen Österreich“ erzählt, gleichzeitig aber auch klar gemacht, wie gefährlich das Helfen auch für die Helfenden war. Dennoch machen diese Menschen, die das Menschsein niemals aus den Augen verloren, Mut: Sie zeigen, dass auch ein Einzelner viel bewegen kann. Manches Mal rettet er oder sie so auch Menschenleben.

 

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