Verbotene Liebe als Waffe gegen den Tod

Die israelische Regisseurin Maya Sarfaty verfilmte das irreale Verhältnis einer jungen Jüdin zu einem SS-Mann im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau umsichtig und spannend. Die Beurteilung überlässt sie dem Zuschauer.

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Obwohl der Film als „Documentary“ kategorisiert ist, vergisst man das nach wenigen Minuten – und folgt gebannt einem spannenden Thriller. Denn nicht nur der Inhalt per se, sondern die cinematografische Umsetzung schafft den dramaturgisch mitreißenden Bogen eines Spielfilms, der einen sogartig in diese abnorme, aber wahre Geschichte hineinzieht. Der erste Gedanke dabei: gut erdachtes Skript. Doch genau das ist es nicht. Diesen Stoff hat der Überlebenswille einer 20-jährigen jüdischen Frau in Auschwitz diktiert.
Liebe war es nie nennt die 38-jährige israelische Regisseurin Maya Sarfaty ihren 80-minütigen Dokumentarfilm, der die Beziehung zwischen dem brutalen SS-Offizier Franz Wunsch aus Drasenhofen in Niederösterreich und der slowakischen Jüdin Helena Citron beinhaltet. Die Kantorentochter wurde mit Anfang 20 im März 1942 in einem der ersten Transportzüge aus der Slowakei in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und arbeitete im „Effektenlager Kanada“: Dort wurde das Hab und Gut der Häftlinge aufbewahrt beziehungsweise jenes der Ermordeten weiterverwertet. Bereits an Helenas erstem Arbeitstag in der Kanada-Abteilung verliebt sich der gleichaltrige SS-Unterscharführer in die schöne Frau, als sie ihm auf Befehl ein Geburtstagsständchen singen muss. Helena wählt das Lied zweier jüdischer Künstler – der Budapester Alfréd Márkus (Fred Markush) und der Wiener Textdichter Fritz Rotter brachten es 1931 heraus. Der Titel: Liebe war es nie.
Von da an versucht Wunsch, mit gewissen Erleichterungen Helenas Aufmerksamkeit und Liebe zu gewinnen. Als sie an Typhus erkrankt, bewahrt sie der SS-Offizier vor der Ermordung. Erst nach längerer Zeit und größtem emotionalen Widerstand erwidert Helena schließlich seine Liebe – angeblich erst, nachdem dieser auf ihr Bitten und Drängen ihre Schwester Rosa unmittelbar nach deren Ankunft in Auschwitz vor dem sicheren Tod in der Gaskammer rettet. Das spätere Leben der beiden Schwestern in Israel wurde dennoch schwer belastet, weil Rosas beide Kleinkinder ermordet wurden und Helena ihrer Schwester diese Wahrheit lange verschwieg.
Doch nicht nur die Geschwister „profitierten“ von der Verliebtheit des sonst als äußerst brutaler Schläger gefürchteten SS-Schergen, sondern auch die meisten Frauen, die die enge Baracke und die Entbehrungen miteinander teilten. Diese berichteten auch, dass Helena Wunsch mehrere Male für seine cholerischen Übergriffe an Häftlingen gemaßregelt habe.
„Nach mühsamer Recherche ist es mir gelungen, noch acht lebende Zeuginnen, also Mithäftlinge von Helena zu finden“, freut sich Drehbuchautorin und Regisseurin Sarfaty. Diese gepflegten alten Damen schildern in aller Offenheit mit ihren slowakischen, ungarischen, polnischen und jiddischen Sprachfärbungen ihre vielfältigen Erinnerungen an das „Liebespaar“: Vielschichtige Emotionen blitzen hier durch, sie reichen von Neid bis Bewunderung, von gewissem Verständnis bis zu kaltem Pragmatismus.
„Er brachte uns immer mehr Essen, vor allem hatten wir keine Angst, wenn er kam“, so eine Interviewte, „aber zu den Männern war Wunsch brutal!“
Die Beziehung der beiden dauerte zweieinhalb Jahre. Sarfaty hat die Erzählung auch ästhetisch neuartig umgesetzt: Sie eignet sich die Manie des SS-Mannes an und führt sie fort: Im Bestreben, sich in eine andere Realität zu versetzen, schneidet er aus einem im KZ aufgenommenen Foto seiner jungen Geliebten deren Kopf aus und setzt diesen in Bilder mit anderem Hintergrund ein – man sieht Helena vor Bergen, Seen etc.; Maya Sarfaty macht es ihm nach und konstruiert Szenarien und Dioramenszenen, die beide zusammen in einer anderen Welt zeigen.
Helena Citron selbst reflektierte sehr wohl die vielen Widersprüche und Gefahren, die diese Annäherung im Lager, aber auch später mit sich brachte. Denn als NS-Kollaborateurin gebrandmarkt zu werden, war das Letzte, was man einer KZ-Überlebenden wünschen konnte. 1972 stellte sie sich dieser Vergangenheit, als Franz Wunsch als letzter KZ-Aufseher in Wien vor Gericht gestellt wurde. Frau Wunsch gelang es nämlich, Helenas neuen Namen und Adresse in Israel auszuforschen. Sie bat die ihr unbekannte Frau, das ehemalige Opfer, bei dem Prozess für den Täter auszusagen. Mehr wollen wir hier nicht verraten.

»Liebe war es nie, denn du hast leider doch kein Herz. Liebe war es nie, es war ein Scherz, denn ein Liebesschwur gehört zum Küssen schon dazu.
Liebe war es nie, das weißt auch du.«

Aus dem Film

Die Zufälle hinter dem Film. Doch wie kam die 1982 geborene Absolventin der Filmakademie der Universität Tel Aviv auf die Spur dieser außergewöhnlichen Geschichte?
„Meine erste Schauspiellehrerin hat mir sehr früh die Leidensgeschichte ihrer Mutter Rosa und jene von Helena in Auschwitz anvertraut. Das hat mich alles ungemein bewegt“, erzählt Sarfaty. Über ihre ersten Recherchen fand sie die Tochter von Franz Wunsch in England. „Dagmar hat mir dann Dokumente und Tagebücherauszüge ihres Vaters geschickt. Ihr Mann hatte schon zuvor für die Familie die Ereignisse aus dem Krieg in Buchform pub-liziert.“ Im Sommer 2015 drehte Maya in Israel den TV-Kurzfilm The Beautiful Woman über das Zusammentreffen der zweiten Generation, also von Dagmar und der Tochter von Rosa. Dieser wurde in Los Angeles ausgezeichnet. Doch die Ambivalenz dieser sogenannten „Romanze“ zwischen Helena und Franz, die vielschichtigen Fragen nach den Grauschattierungen der Moral und dem freien Willen in einem Todeslager ließen Sarfaty nicht los. Deshalb entstand dieser faszinierende Film. Da Helena Citron 2007 verstorben war, griff die junge Filmemacherin auf Material der Spielberg Foundation, von Yad Vashem und anderen Archiven zurück. „Die Zeuginnen in Israel waren nur teilweise bereit zu sprechen, manche waren sehr offenherzig, andere verweigerten sich der Erinnerung an jene schreckliche Zeit.“ Von Franz Wunsch fand sich eine private Videoaufnahme, in der er seinen Kindern über seine damalige Liebe berichtete. „Maya Sarfaty hat mich im Frühjahr 2017 angerufen, als Sohn von Hermann Langbein“, berichtet Kurt Langbein, vielbeschäftigter Sachbuchautor. „Im Zuge ihrer Recherchen stieß sie auf meinen Vater, der gemeinsam mit Simon Wiesenthal den SS-Unterschafführer Franz Wunsch aufgespürt und 1972 vor Gericht gebracht hat. Sie wollte den Film von Anfang an mit Österreich koproduzieren. Als sie erfuhr, dass ich Filmproduzent bin, war ihr Staunen groß und ihr Glück perfekt.“

Maya Sarfaty: Liebe war es nie. Dokumentarfilm, Österreich/Israel 2020, 80 Min. Filmstart Österreich: 23.10.2020

Langbeins Firma und die Biografin seines Vaters, Brigitte Halbmayr, übernahmen die Recherchen in Österreich. Gleichzeitig konnten der ORF und der SWR als Mitproduzenten gewonnen werden. Sarfatys Ehemann, Nir Sa’ar, ist der israelische Produzent. „Ich finde, dass Österreich mit gutem Grund auch finanziell hier beteiligt sein soll“, so Langbein. „Maya ist es gut gelungen, in dieser Vielschichtigkeit mit dem umzugehen, was wir oft Wahrheit und Moral nennen und eigentlich gar nicht wissen, was das ist.“
Alle direkt Beteiligten sind mittlerweile seit über zehn Jahren tot. Der Film, der als israelischer Beitrag für den Auslandsoscar eingereicht wurde, hat schon zuvor den Frank Lowy Award als bester Dokumentarfilm am DocAviv Festival 2020 gewonnen. Der ORF wird Liebe war es nie Ende Dezember zum Holocaust-Gedenktag ausstrahlen. Dass Maya Sarfaty diese doppelte Verbindung zu Kurt Langbein fand, quittierte sie mit dem Ausruf: „Das ist mehr als schicksalhaft!“

 

1 KOMMENTAR

  1. Man muss doch einfach sagen: „Wer kann sich zum Richter über Menschen in einem KZ aufschwingen?“ so viele Berichte und Filme – sie erlauben uns keine Einsicht. Daher: wahrnehmen, sehen, jedoch niemals urteilen!

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