Vom Schlüsselkind zum Erfolgstrainer

Isaak Kosashvili hatte in seinem Leben bereits bittere Lektionen zu lernen. Heute ist der 39-jährige Boxtrainer nicht nur Vorbild für seine beiden Söhne, sondern auch für die vielen Jugendlichen, die er nicht nur trainiert, sondern für die er auch Vertrauensperson und Freund ist. Der prominenteste von ihnen ist Mansur Elsaev. Der aus Tschetschenien stammende Profiboxer ist in seiner Gewichtsklasse (Halbschwergewicht) Nummer 17 der Welt.

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Boxtrainer Isaak Kosashvili (li.) mit Profiboxer und Freund Mansur Elsaev. © Daniel Shaked

„Ich bin im Park aufgewachsen“, erzählt Isaak Kosashvili. Seine Eltern kamen beide als junge Erwachsene aus Georgien nach Österreich, der Vater und dessen Familie über Israel, die Mutter und ihre Verwandten wanderten direkt nach Wien aus. Hier lernten sich die beiden kennen, heirateten, bekamen zwei Kinder – Isaak und seine Schwester. Die Mutter fasste in der neuen Heimat beruflich rasch Fuß, erzählt der Sohn heute, sie war ausgebildete Näherin und Kürschnerin und konnte so schnell einen guten Job bei einem Wiener Pelzsalon finden. Der Vater wiederum tat sich zu Beginn etwas schwerer, konnte dann aber als Lkw-Fahrer reüssieren. Doch als Isaak Kosashvili fünf Jahr war, verstarb der Vater bei einem Autounfall. Der Bub wurde eingeschult, aber rasch in die Vorschule zurückgestuft. „Ich war zu kindisch und immer in Bewegung“, erzählt er. „Im Rückblick glaube ich, ich hatte ADHS, aber das wurde damals nicht diagnostiziert.“

Danach fiel ihm die Schule aber grundsätzlich nicht mehr schwer. Sein Vierte-Klasse-Zeugnis der Volksschule hätte ihm einen Wechsel an ein Gymnasium ermöglicht, was auch sein Wunsch gewesen wäre. „Ich war ein guter Schüler. Aber meine Mutter war nach dem, was passiert ist, sehr ängstlich, und meinte, lieber nicht. Geh lieber in die Mittelschule, dort musst du dich nicht quälen.“ Kosashvili erinnert sich, dass er als Schlüsselkind aufgewachsen ist und auch durch den frühen Tod des Vaters „ohne Führung“, in bescheidenen, aber „sehr warmen Verhältnissen. Wir waren eine große Familie, alle haben mich geliebt, und es war trotz allem eine schöne Zeit.“

Ein Onkel brachte ihn im Alter von sechs Jahren zum Judo, ein Sport, in dem er sich sehr bewährte – er wurde sogar österreichischer Juniorenmeister –, den er aber nicht wirklich mochte. Er hatte das Gefühl, die Wut, die Aggression, diesen inneren Stau hier nicht abbauen zu können. „Ich war sehr wild“, erzählt Kosashvili, das wusste man im Bacherpark im fünften Bezirk, das wusste man aber auch in der Mittelschule. „Im Judo gibt es aber kein Schlagen. Wenn mir jemand auf die Nerven gegangen ist, habe ich ihn werfen müssen.“

„Wir werden einmal alle in derselben Erde liegen.
Macht
doch Gutes, auch wenn Schlechtes zurückkommt.

Macht weiter.“
Isaak Kosashvili

 

Er sah sich daher nach einer anderen Sportart um – und wurde fündig. Im Alter von zwölf Jahren wechselte er zum Boxen. „Ab da verlief mein Parkleben parallel zu meinem Gym-Leben, und so war das dann okay.“ Wobei er sich auch erinnert, dass ihn das Boxen zu Beginn im Park noch gefährlicher gemacht habe. „Da hast du gewusst, wie das funktioniert, und da darf dir keiner mehr deppert kommen. Nur dann kam die erste Straftat, die zweite Straftat, und ich habe meine Mama so oft weinen gesehen und habe es nicht verstanden.“

Doch der Reihe nach. Nach der Mittelschule, die er mit nur einem Zweier und sonst lauter Einsern abschloss – „ich war immer sehr strebsam“ –, wechselte er an eine HTL für Elektrotechnik. Zwei Klassen meisterte er gut und entschied sich dann dennoch abzubrechen, denn er wollte vor allem eines: selbst Geld verdienen. Eine Werkzeugmacher-Lehre sollte es werden, auch diese schloss er positiv ab, sah sich allerdings schon bald nach einem anderen Berufsfeld um. Bei den ÖBB ließ er sich zum Lokführer ausbilden. In diesem Job arbeitete er zweieinhalb Jahre. Es zog ihn allerdings zu einer kommunikativeren Tätigkeit – und so wurde er Schaffner. Das gefiel ihm, aber nicht seiner Frau, die er zwischenzeitlich kennengelernt hatte. „Da war sie noch Prinzessin und meinte, ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Mann zwei, drei Tage in der Woche woanders schläft.“

Seiner Frau streut Kosashvili Rosen um Rosen. Ohne sie hätte er sich nicht zu dem entwickelt, der er heute sei, betont er. Ärger geht er ihr, aber auch seinen beiden zwölfjährigen Söhnen zu Liebe inzwischen tunlichst aus dem Weg. „Ich meide große Menschenmengen, und Alkohol trinke ich nur mit Menschen, die ich zu 100 Prozent kenne und mag. Wenn mich jemand blöd anredet, nehme ich das ernster, als es ist, und daher ist es besser, solche Situationen zu vermeiden.“ In der Disco ist er daher heute nicht zu finden. In der Stadt ist er nicht öffentlich, sondern im eigenen Auto unterwegs.

Isaak Kosashvili hat viel erlebt. Seine Kraft, nie aufzugeben, gut zu sein, gibt er heute an Jugendliche weiter. © Daniel Shaked

Das kommt nicht von ungefähr. Wenn Kosashvili von den zwei Tiefpunkten in seinem Leben erzählt, geht ihm das sichtlich nahe. Im Alter von 20 Jahren ist er mit einem Freund abends unterwegs. Er selbst ist zu der Zeit Mitglied des Nationalteams, der Freund boxt ebenfalls. Beim Ausgehen treffen sie auf einen Betrunkenen, der sie in einer Tour anstänkert. Es kommt zu einem Raufhandel, der ein tragisches Ende nimmt – der Kontrahent stirbt schließlich an seinen Verletzungen. Der Freund erhält eine dreijährige Haftstrafe, Kosashvili selbst wird frei gesprochen. Doch das Erlebte brennt sich bei ihm ein.

Er zieht seine Lehren daraus, bemüht sich, Ärger wie diesem aus dem Weg zu gehen. Doch mit 24 kommt es erneut zu einem folgenschweren Vorfall. Nun ist er abends mit seinem Cousin öffentlich unterwegs, die beiden sitzen in einem Bus, die einzigen anderen Fahrgäste sind zwei Skinheads, die schon im Bus pöbeln. Alle vier Männer steigen schließlich nach Mitternacht beim Südtiroler Platz aus. Kosashvili redet noch auf seinen Cousin ein, sich nicht provozieren zu lassen, da gehen die beiden Skins, die die beiden Georgier als Türken beschimpfen, auf sie los, schildert Kosashvili im Rückblick. Er setzt einen Verteidigungsschlag, doch in diesem Moment öffnet der Skinhead, der ihn angegriffen hat, seinen Mund. „Zwei Zähne blieben in meiner Hand stecken. Ich war damals als Heeressportler beim Bundesheer und musste daher ins Heeresspital fahren. Dort habe ich natürlich gelogen, habe gesagt, ich habe in eine Glasscheibe geschlagen. Sie haben daher kein Röntgen gemacht, haben die Wunde gesäubert und genäht.“

„Ich will meine Kinder nicht das Leben führen lassen,
das
ich geführt habe.“
Isaak Kosashvili

 

Zwei Tage später fieberte er hoch. Im Spital stellte sich heraus, dass zwei weitere Zähne bis in ein Fingergelenk vorgedrungen waren und sich eine Sepsis entwickelt hatte. Es folgten mehrere Operationen, doch die Hand sollte nicht mehr werden, wie sie gewesen war. Kosashvili musste sich vom Leistungssport verabschieden, „genau zu dem Zeitpunkt, wo es eigentlich für mich losgegangen ist“. Zwei Mal war er da bereits Wiener Meister geworden und hatte in Polen das Turnier um den schwarzen Diamanten gewonnen.

Heute ist Kosashvili Boxtrainer. Auch hier hat er zahlreiche Ausbildungen absolviert: zum Instruktor, zum Lehrwart, zum Ringrichter. Nachdem seine Frau ihn bat, seinen Job bei den ÖBB an den Nagel zu hängen, eröffnete er mit Freunden das Gym Iron Fist auf der Schönbrunner Straße. „Das war mein Traum.“ Leider begannen die Partner zu streiten, der Traum fand nach eineinhalb Jahren ein Ende.

Es folgten Stellen als Cheftrainer in mehreren Boxclubs. Seit Ende 2022 ist Kosashvili im neuen Club HIRO in Liesing anzutreffen. Multikulturalität wird hier groß geschrieben, trainiert werden können verschiedenste Kampfsportarten wie Boxen, Brazilian Jiu Jitsu, Ringen, Thaiboxen und MMA – also Mixed Martial Arts. Angeboten werden hier auch Frauenklassen.

Kosashvili trainiert 60 Boxer (nur Männer), sechs davon sind Profis. Einer von ihnen setzt sich beim Interview im Café-Bereich des Clubs zu uns an den Tisch: Es ist Mansur Elsaev. Er errang zuletzt 2021 den WBC (World Boxing Council) Asia Titel, konnte ihn 2022 allerdings auf Grund seiner russischen Staatsbürgerschaft nicht verteidigen. Nach dem Angriff des russischen Präsidenten Waldimir Putin auf die Ukraine durften russische Sportler nicht mehr in Wettbewerben wie diesem antreten. Trainer wie Sportler hoffen nun, dass sich die politische Lage in absehbarer Zeit ändert. Rund 700 Mitglieder zählt der Club bisher, man werde aber noch ordentlich wachsen, ist Kosashvili überzeugt. Hier trainieren Hobbysportler ebenso wie Profis, wobei es eine der Aufgaben des Trainers ist, die Talente herauszufiltern und zu fördern. Hier gibt es auch SponsoringVerträge, sodass einige der Sportler sich ganz auf das Training und Wettkämpfe konzentrieren können. Die Jugendlichen, die bei Kosashvili trainieren, verabschieden sich respektvoll von ihm, wenn sie das Gym verlassen. Man spürt: Hier sitzt eine Autorität am Tisch.

Ein gutes Leben. Die wilden Zeiten hat Kosashvili hinter sich gelassen, heute ist er Vorbild. Das betrifft auch sein Verhältnis zu Muslimen und Arabern. „Wir sind Menschen, und auf dieser Ebene treffen wir einander.“ Wenn allerdings jemand zu ihm sage, „Bruder, du bist der beste Jude, den ich kenne“, dann antworte er: „Du bist ein Volltrottel! Wie viele Juden kennst du? Nur mich!“ Das finde er andererseits aber auch traurig. An andere Juden appelliert er „hinauszugehen. Ich bin nicht so aufgewachsen wie andere, ich war in nichtjüdischen Schulen. Natürlich habe ich im Dschungel überleben müssen, aber wenn ich es geschafft habe, schaffen das andere auch. Also lasst euch blicken. Wir sind nicht umsonst das auserwählte Volk. Jeder spürt das. Woher kommt dieser Hass gegen uns? Weil sie wissen, wir sind etwas Besonderes.“

Wie er dieses Besondere definieren würde? „Die Juden sind auf der Welt, um den Leuten zu zeigen, wie man lebt, wie man freundlich miteinander umgeht. Wir werden einmal alle in derselben Erde liegen. Macht doch Gutes, auch wenn Schlechtes zurückkommt. Macht weiter.“ Und was bedeutet es in seinem heutigen Leben, Gutes zu tun? „Ich versuche zuerst, das Gute in mir zu finden. Du kannst nicht das Weiße predigen, wenn du selbst schwarz bist. Dann hast du positive Energie. Wenn heute Burschen zu mir kommen und mir Dinge anvertrauen, über die sie nicht einmal mit ihren eigenen Vätern sprechen, dann denke ich, mir ist etwas gelungen.“

Ob er sich heute auch ein bisschen in der Rolle eines Sozialarbeiters sehe? „Ja. Ich bin Sozialarbeiter, Mama, Papa, Freund, Bruder. Du musst mir tausendprozentig vertrauen, weil du bist dort ganz allein im Ring. Und ich bin das Back-up.“ Wobei der Trainer auch betont, dass die Jugendlichen ganz unterschiedliche Dinge benötigen. „Manche brauchen das Autoritäre, manche eine Streicheleinheit, andere müssen belehrt werden.“ Das könne auch bedeuten, Burschen, wenn sie streiten, gegeneinander in den Ring zu schicken. „Es ist sehr altertümlich, ja. Aber es funktioniert.“

Seine beiden Söhne will Kosashvili allerdings nicht als Profis im Ring sehen. Dafür würde er sich freuen, wenn sie eines Tages Jüdinnen heiraten. Das Leben werde zeigen, ob dieser Wunsch erfüllt wird. „Die Liebe zu ihnen wird in jedem Fall bestehen bleiben.“ Das Judentum ist ihm wichtig, seine Frau, sie ist Bucharin, führt auch einen koscheren Haushalt. Wichtig ist ihm vor allem, für seine Kinder da zu sein, sie gut durchs Leben zu führen. In den Park dürfen sie zum Beispiel nur gehen, um Fußball zu spielen, nicht aber, um dort nur abzuhängen. „Ich will meine Kinder nicht das Leben führen lassen, das ich geführt habe. Es geht uns gut. Aber sie sollen wissen, nichts ist selbstverständlich.“ Seine Frau und seine Kinder seien heute das Wichtigste in seinem Leben. Ihnen zuliebe hat er sein altes Leben hinter sich gelassen. Ihnen verdanke er damit aber auch sein heutiges gutes Leben, ist Kosashvili überzeugt.

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