Von Aufstieg und Abstieg

Mitglieder der einst in Hohenems ansässigen Familie Brunner haben dem Jüdischen Museum Hohenems Familienporträts, Fotos und jede Menge Dokumente und Objekte überlassen. Kurator Hannes Sulzenbacher hob den Schatz und goss die Geschichte und Geschichten der Brunners nun auch in Buchform. Heute leben die Familienmitglieder in aller Welt verstreut, und der einstige Glanz und der ganz große Wohlstand sind nicht mehr – aber man ist stolz auf das, was gewesen ist.

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Hannes Sulzenbacher: Die Familie Brunner. Eine europäischjüdische Geschichte Hohenems – Triest – Wien. Bucher 2021, 240 S., € 19,95

Man könnte auch sagen: Obwohl jede Familiengeschichte einzigartig ist, ist auch die der Brunners typisch für die einer jüdischen Familie. Die europäische Geschichte schrieb sich durch Brüche durch Verfolgung, Kriege und zunehmenden Nationalismus in das Leben der einzelnen Familienmitglieder ein. Andererseits waren die Brunners eben auch Europäer – die Familie lebte auf mehrere Länder verstreut und war dennoch immer verbunden. Eine europäisch-jüdische Geschichte. Hohenems – Triest – Wien wählte so Sulzenbacher auch als Untertitel für seinen Band Die Familie Brunner.
Je mehr Freiheiten es in Bezug auf berufliche Möglichkeiten durch die Herrschenden – vor allem seitens der Habsburger – gab, desto größer wurde der Handlungsspielraum, desto wirtschaftlich erfolgreicher wurden die Brunners. Die Ahnen verdienten in Hohenems – beziehungsweise im nicht weit entfernten Sulz, als in Hohenems Juden und Jüdinnen wieder einmal nicht erwünscht waren – vorerst als Fleischhauer und Viehhändler den Lebensunterhalt, später waren sie im Handel mit Waren verschiedenster Art, im Bankenbereich, aber auch – vor allem in Italien – in der dann größer gedachten Landwirtschaft tätig.

»Von da an mussten sie sich erst daran gewöhnen,
mehr eine Art modernes Netzwerk von kleinen
Familieneinheiten
zu sein,
die in normalen Wohnungen lebten […].«
Ariel Brunner

Hohenems blieb zwar Heimat, lange war die Anzahl der Familien, die dort leben duften, jedoch beschränkt – daher heirateten Töchter und Söhne in andere Orte und Länder, und zunehmend etablierte sich dabei ein Familienzweig in Triest.
Sulzenbacher schildert anhand der erhaltenen Dokumente und verschriftlichten Erinnerungen bereits verstorbener Familienmitglieder, wie einerseits das Verheiraten von Töchtern dazu genutzt wurde, das Familienimperium zu stärken, und wie andererseits die religiöse Observanz immer mehr abnahm. Es gab zwar weiterhin eine starke jüdische Identität, diese äußerte sich aber vor allem in der Unterstützung von Projekten für die jeweilige jüdische Gemeinde.
Der Nationalsozialismus bedeutete für die Brunners den größten Einschnitt: Es konnten sich zwar fast alle Familienmitglieder retten – teils auch durch Kindertransporte –, nun lebten sie aber in aller Welt verstreut, manche von ihnen zum Beispiel in Israel, andere in den USA. Ein Anwesen in der Toskana wurde 1969 verkauft und war, wie sich Ariel Brunner erinnert, „ein wenig wie der letzte Akt des langen Niedergangs der Familie, der in diesem riesigen Wirtschafsimperium begann und dann das furchtbare 20. Jahrhundert vom Ersten Weltkrieg, dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs und der Krise von 1929, den Rassengesetzen und dem Zweiten Weltkrieg durchleben musste“.
Relativ zeitgleich starb auch Ariel Brunners Großvater Leone, dieser sei so etwas „wie der letzte physische Grundpfeiler einer vormodernen Familie“ gewesen, in der zu bestimmten Zeiten dutzende oder hunderte Menschen zusammenkamen. „Von da an mussten sie sich erst daran gewöhnen, mehr eine Art modernes Netzwerk von kleinen Familieneinheiten zu sein, die in normalen Wohnungen lebten und sich nur noch zu Hochzeiten und Beerdigungen und solchen Anlässen trafen“, so Ariel Brunner.
Es ist eine Familiensaga, die nicht der Phantasie eines Literaten entspringt, sondern die das Leben genauso schrieb. Wenn sich hier jemand fände, der daraus ein Drehbuch verfasste, wäre das wunderbarer Filmstoff.

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