Von der Gewalt

Sprechen wir von Gewalt, wird die Unzulänglichkeit der Möglichkeit der Versprachlichung offenbar. Das Unerträgliche, Spezifische und Unfassbare der Gewalt scheint sich der Sprache fortwährend zu entziehen.

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Jo Frank: Gewalt. Edition Atelier 2023, 160 S., € 20

„He was just to be loved / He fell
down like a dry leave / He will be
always lying now.“ Oksana Lemishka*

Die Auseinandersetzung mit Gewalt, die Thematisierung ihrer Präsenz, liegt zumeist unter Schichten der Abstraktion verborgen, begraben unter der individuellen und allgemeinen Distanzierung von Körperlichkeit und Leid. Die Verwendung des Wortes in Alltag und medialer Manifestation, die Setzung von das Wort begleitenden, mantraartigen Sprachbildern und stereotypen Phrasen erfolgt zumeist konsensual und wenig differenziert.

Der Berliner Autor Jo Frank widmet sich nun in seinem kürzlich erschienenen Buch Gewalt dem titelgebenden, zumeist schematisierten Begriff: Es geht um Macht, Missbrauch, Angst, Schmerz und Scham. Sein bildkräftiges, verstörendes Erinnern und Nachvollziehbarmachen traumatischer (Kindheits-)Erfahrung ist geprägt von synaptischen Suchbewegungen, die von Instabilität, vom Mäandern und vom Scheitern der Sprache angesichts von Gewalt erzählen.

Und da macht Sprache etwas, das sie hier nicht soll: spielt, beruhigt, lenkt ab. Dabei soll Sprache hier Ordnung, soll Sprache hier doch aufräumen, soll Sprache hier doch kalt.

Frank tastet sich in seinen irritierenden Notationen an die Beschreibung konkreter Gewalterfahrungen heran, vermittelt sie auf eindrucksvolle und unorthodoxe, sinnliche Weise. Er begeht mit seinem präzise gezeichneten Textkörper eine literarische Vermittlungsebene, die sich mittels persönlicher Erinnerungsfragmente und vielschichtiger, Resonanz evozierender Assoziationen wortgewaltig sezierend an das Phänomen herantastet. Die knirschende Syntax lotet die Grenzen der Versprachlichung aus, ertastet die Dimensionen der prägenden Attacken, die den Organismus verletzt zurückgelassen haben, in rhythmischen Wellen. Er klopft die Sprache auf ihre Tauglichkeit ab, das Unsagbare zum Ausdruck zu bringen; er deutet an, setzt Verweise, bricht ab, holt erneut aus und illustriert die geballte Kraft widersprüchlicher Beziehungsmuster und Emotionen, die in ihm weiterleben. Das Mapping von Gewalt in einer Sprache, die der Autor „Vatersprache“ nennt – es ist die Sprache des Täters („Seine Gewalt erzählt ihn als Opfer“) –, berührt, verstört, wirft Fragen auf und die Leser:innen auf sich selbst zurück.

Tränen bis heute kaum möglich, und wenn, dann immer gebunden an Erinnerung, macht Trauer unmöglich, selbst dieser Raum ist eingenommen durch seine Gewalt.

Wir wollen und können, als Individuen und auch als Gesellschaft, wie Jo Frank kürzlich bei einem Gespräch im Literaturhaus Berlin festgestellt hat, nicht gerne oder nur schwer über Gewalt sprechen, wollen Detaillierteres, Differenzierteres mitunter gar nicht näher wissen, verhalten uns ihr gegenüber oftmals apathisch.

Spreche Kaddish. Lauter als sonst, dabei dränge Erinnerungen zurück.

Geht es bei Frank um traumatische Erfahrungen und ganz spezifische Situationen, um Zeug:innenschaft, das Schweigen und die Wunden der Gewalterfahrungen, die sich mit multiplen Traumaverästelungen in den Körper eingeschrieben haben, so sind wir aktuell alle stille Zeug:innen entfesselter Gewalt – medial gefiltert, auf Distanz. Der Krieg in der Ukraine ist Tag für Tag, Nacht für Nacht erschütternde Realität, das unvorstellbare Ausmaß von Tod, Zerstörung, Leid und Traumatisierung übersteigt das Vorstellungs- und Fassungsvermögen.

[…] wo sind Lichtveränderungen und Einschlag und Ohnmacht, wo sind Blut und Luftlosigkeit und Betteln und Tränen und wortloses Schreien, wo ist das alles in meine, in seine? Maybe it’s everywhere.
Also auffalten.
Jetzt

 


* Winds from the Steppe, Sitscher Schützenmarsch, transformiert zum Schlaflied von Oksana Lemishka, Album GodMother, 2020

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