Wenden wir uns lieber der Zukunft zu

Auf Reisen verläuft nicht immer alles wie geplant. Das muss aber nicht immer negativ sein.

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Der zweite Pandemie-Sommer erlaubte ein entspannteres Reisen als der erste. So konnte ich mit meiner Tochter diesen August wieder nach Venedig – unser beider Sehnsuchtsort – reisen. Mehrmals waren wir in den vergangenen Jahren dabei bereits zu Besuch im Jüdischen Museum. Heuer hatten wir uns allerdings auch einen Besuch der Synagogen vorgenommen.
Manches Mal sollen Dinge aber nicht sein. Das Jüdische Museum ist derzeit in einem Ausweichquartier untergebracht. Die Anzahl der Führungen ist gegenüber früheren Jahren offenbar beschränkt, und so hieß es, als wir an einem Donnerstagmittag ankamen: Heute gibt es leider keine Synagogentour mehr, bitte morgen wiederkommen. Eine Reservierung für den folgenden Tag war allerdings nicht möglich, man solle es doch einfach wieder probieren, hieß es. Eine mehr als unbefriedigende Auskunft.
Wir ließen uns aber nicht verdrießen, ich kaufte mal wieder in einem der Judaika-Shops einen netten MagenDavid-Kettenanhänger – „und den wirst du wieder nicht tragen, weil du nie Ketten trägst“, sagte meine Tochter ganz richtig, aber ich weiß nicht warum, in Venedig ist die Anziehungskraft solcher Schmuckstücke immer kraftvoll –, und dann aßen wir im Gam Gam zu Mittag. Die Speiseauswahl meiner Tochter führte uns von Pessach (Vorspeise: Matzeknödelsuppe) bis zu Chanukka (Hauptspeise: Latkes mit Apfelmus), ich machte einen kulinarischen Ausflug nach Israel (Hummus mit Champignons). Am Ende beschlossen wir, am nächsten Tag nicht mehr ins Ghetto zurückzukehren, sondern stattdessen die diesjährige ArchitekturBiennale zu besuchen.

Die Frage „How will we live together?“ darf nicht mehr nur an
kulturelitären Orten wie einer Architektur-Biennale gestellt werden.

 

Verhandelt wird dort heuer die Frage „How will we live together?“. Statt wieder einmal in die Vergangenheit einzutauchen, wandten wir uns also der Zukunft zu. Wie funktioniert der Wasserkreislauf in Städten (dänischer Pavillon)? Wie ordnet der Zugang zum Internet Teilhabe neu (österreichischer Pavillon)? Wie sieht eine moderne Landwirtschaft aus (israelischer Pavillon)?
Da schwingen viele ethische und moralische Fragen mit. Da geht es um den Umgang des Menschen mit dem Planeten Erde und seinen Ressourcen, da geht es aber eben auch ganz stark um den Umgang der Menschen mit anderen Menschen, die Verteilung zwischen Nord und Süd – und omnipräsent ist das Thema Klimawandel.
Und all das sind tatsächlich Fragen, auf die rasch Antworten gefunden werden müssen, sonst werden wir als Menschheit zwar eine Vergangenheit, aber keine Zukunft mehr haben. Und ja, manchmal würde ich mir wünschen, dass sich auch die Religionen mehr mit den Themen Erderwärmung, Umweltschutz, Ressourcenverteilung lautstark und hörbar auseinandersetzen. Das muss in den nächsten Jahren die eine beherrschende Aufgabe werden, der sich global alle widmen – Parteien und Regierungen, Schulen und Universitäten, Wirtschaft, Landwirtschaft und Industrie sowie die Zivilgesellschaft und damit jeder Einzelne.
Viel zu lange wurde bereits der „Fünf vor Zwölf“-Slogan bemüht. Jahr für Jahr sterben weitere Tierarten aus, leiden Menschen unter der zunehmenden Hitze, mehren sich die Naturkatastrophen. Die Frage „How will we live together?“ darf nicht mehr nur an kulturelitären Orten wie einer Architektur-Biennale gestellt werden. Und die Antworten darauf müssen rasch mehr als Ideen und Debattenbeiträge sein. Globales gemeinsames Handeln ist gefragt. Unser Mittagessen im Gastgarten des Gam Gam sollte übrigens ein etwas nasses werden. Denn kaum fuhr ein Boot vorbei, schwappte Wasser auf den Gehsteig und damit auf unsere Schuhe, wir stellten die Füße schließlich auf die Beine des Tisches. Seit Jahren ist Venedig vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Die Vergänglichkeit der Vergangenheit ist hier so plakativ und so stark greifbar wie kaum an einem anderen Ort. Und trotzdem hoffe ich, mir eines Tages wieder die alten Synagogen im Ghetto ansehen zu können.

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