Ich musste in der Yefet Straße im Slalom an den brennenden Mistkübeln, die immer wieder explodiert sind, vorbeifahren, um nachhause zu kommen. Es waren ja schon öfters Unruhen in Jaffa, aber diesmal hatte ich wirklich Angst“, erzählt Emmi S., die schon seit zehn Jahren in der Hafenstadt wohnt: „Junge arabische Männer waren in Gruppen auf der Straße versammelt und konnten ihren Augen nicht trauen, als sie uns zwei Frauen allein im Auto vorbeifahren sahen.“ Es war der 14. Mai, der zweite Tag der letzten Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas in Gaza. Nicht nur der Süden des Landes, sondern auch Tel Aviv standen unter heftigem Raketenbeschuss. Die Ex-Wienerin hatte ihre Tochter von ihrer Tel Aviver Wohnung abgeholt, weil es dort keinen Bunker im Haus gibt, in den sie beim ständigen Raketenalarm hätte flüchten können.

Und alle haben gleich viel Angst gehabt, Araber, Juden und Christen. Meine Nachbarin ist Muslimin und traute sich nicht auf die Straße. S. aus Ajami

Am Tag darauf sperrte die Polizei die Yefet Straße ab, und nach 17 Uhr war in dem sonst so pulsierenden Viertel alles wie ausgestorben, niemand traute sich mehr aus dem Haus. Auseinandersetzungen gäbe es immer wieder einmal, jedes Mal aus einem anderen Grund, der Hass sei ja immer da, aber so schlimm sei es noch nie gewesen, meint S., die in Ajami, einem alten jüdisch-arabischen Viertel von Jaffa, lebt: „Es gab sogar Leute in meinem Haus, die weggefahren sind, das kam noch nie vor!“ Sie glaubt, dass außer einigen Radikalen vor allem junge Araber für die Unruhen verantwortlich gewesen wären, aber auch jüdische Extremisten waren beteiligt: „Und alle haben gleich viel Angst gehabt, Araber, Juden und Christen. Meine Nachbarin ist Muslimin und traute sich nicht auf die Straße.“ Ihre arabischen Nachbarn, die die Nachrichten auf Arabisch hören, wussten auch von jüdischen Angriffen zu berichten. Es wurden arabische Häuser gekennzeichnet und Autos von arabischen Bewohnern angezündet. Großen Aufruhr verursachte der arabische Junge, der durch einen Molotov-Cocktail schwere Brandwunden erlitt. Die Täter, zwei arabische Jugendliche, die die Flasche wohl „irrtümlich“ in eines der Häuser geworfen hatten, wurden gefasst. Einer von ihnen ist der Sohn eines Restaurantbesitzers am Hafen von Jaffo, ein einst sehr beliebter Treffpunkt, der seit damals kaum noch besucht wird.
Ansonsten hat sich das Leben inzwischen beinahe wieder normalisiert. Nur zum Einkaufen kommen derzeit etwas weniger Menschen nach Ajami. S. ist für alle weiterhin die „Nachbarin“ und hat gute Beziehungen mit den arabischen Bewohnern ihres Viertels. Sie sieht die „Settler“ als eines der Probleme. Als Settler werden die religiösen Gruppierungen bezeichnet, die in Jaffo, in Lod und in anderen jüdisch-arabisch gemischten Städten Immobilien aufkaufen, um dort die jüdische Bevölkerung zu stärken. Das wird von vielen Arabern als Provokation gesehen, die dann oft jeden religiösen Juden in ihrem Viertel als Feind betrachten.

Spannungen und Zwischenfälle gab es immer wieder, aber ich hätte nicht gedacht,
dass alles so explodiert, wir haben die Stadt brennen gesehen.
Meni Huly

Auch in Lod ist nach den Unruhen im Mai das Leben nicht völlig zur Normalität zurückgekehrt, es gibt immer wieder Zwischenfälle, Steine werden auf Autos geworfen, manche Schulen und Kindergärten werden jetzt rund um die Uhr bewacht, ein gewisser Argwohn ist geblieben. Hier waren die Zusammenstöße am brutalsten; unzählige Autos, Geschäfte und Wohnungen wurden angezündet, ein Museum und ein Gebäude der Stadtverwaltung beschädigt und drei Synagogen in Brand gesetzt. Es gab mehrere Verletzte, ein jüdischer und ein arabischer Bewohner der rund 80.000 Einwohner zählenden Stadt wurden bei den Ausschreitungen getötet. Das gesellschaftliche Gewebe ist hier noch um einiges komplexer als jenes in Jaffa und der Gewaltpegel ständig höher. Es geht nicht nur um die Gegensätze zwischen Juden und Muslimen, sondern auch um innerarabische Konflikte und um die sozioökonomische Kluft der unterschiedlichen Wohnviertel.

Verfall der alten Wohnviertel. Ein Großteil der ursprünglichen jüdischen Bewohner zog nach und nach weg, als arabische Kollaborateure des israelischen Geheimdienstes und äthiopische Einwanderer in der Stadt angesiedelt wurden. Wohnungspreise verfielen und mit ihnen viele der alten Wohnviertel. Der Anteil der arabischen Bevölkerung, der Mitte der 1980er-Jahre nur 12 Prozent betrug, kletterte auf 26 Prozent. Es wurden staatliche Initiativen, wie etwa die Vergabe von Stipendien, gesetzt, um Studenten und junge Leute nach Lod zu bringen. Um die jüdische Präsenz in der Stadt und ihre Verbindung zur Religion zu stärken, kauften „Settler“-Gruppen, wie Lehava oder HaGarin HaTorani, Wohnungen in Lod, was wiederum zu weiteren Spannungen führte. Da brauchte es nur einen Funken, um das Feuer von Hass und Gewalt zu entzünden.

Anstoß zur Besserung könnten Budgets zur Schaffung von neuen Wohnmöglichkeiten im Zentrum und weitere politische Maßnahmen bieten, um einen Prozess der Erneuerung und des Miteinanders einzuleiten.

Meni Huly gehört zu den „alteingesessenen“ Bewohnern der Stadt, seine Eltern kamen in den 1950er-Jahren aus der Türkei und leben seit damals in Lod. Er sieht die Schwäche oder Untätigkeit der Polizei, die Korruption in der Stadtverwaltung und die Settler-Bewegungen, aber auch die Kluft zwischen den privilegierten und unterprivilegierten Bevölkerungsschichten als Gründe für die momentane Lage. „Es war hier nie ganz ruhig, Spannungen und Zwischenfälle gab es immer wieder, aber ich hätte nicht gedacht, dass alles so explodiert. Wir haben die Stadt brennen gesehen“, erzählt der sozial sehr engagierte Elektroingenieur und gibt zu, sich bei den jüngsten Unruhen wirklich gefürchtet zu haben. Schließlich flüchtete er mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn nach Ra’anana zu seinen Schwiegereltern.
Als Anstoß zur Besserung wünscht sich der junge Familienvater für Lod vorrangig einen arabischen Bürgermeister oder Vizebürgermeister, Budgets zur Schaffung von neuen Wohnmöglichkeiten im Zentrum und weitere politische Maßnahmen, um einen Prozess der Erneuerung und des Miteinanders einzuleiten. Er gibt zu, dass das Leben in seiner Heimatstadt schwierig ist und er sich ab und zu die Frage stellt, ob er seinen Sohn dort einschulen und aufziehen will: „Ich liebe diese Stadt. Ich würde mir wünschen, dass Lod sich ändert und wir hierbleiben können.“ Inzwischen hat er mit Freunden eine arabisch-jüdische WhatsApp-Gruppe gegründet, um die Verständigung wieder zu verbessern.
Auch Emmi S. antwortet auf die Frage von Freunden, warum sie denn nicht aus Jaffa wegzieht, meist: „Die westliche Mentalität kann das alles gar nicht begreifen. Aber insgesamt funktioniert es hier. Mein Leben hat sich nicht verändert. Ich bin gerne hier.“

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