„Worüber reden eigentlich Gojim?“

Wie arriviert Schriftsteller:innen sind, lässt sich an den Auszeichnungen ablesen, die sie für ihr Werk erhalten. Zum Ritual der Verleihungen gehört es, möglichst geschliffene Dankesreden mit einem Bezug zum Preisstifter oder zum Namensgeber der Auszeichnung zu halten, oft bereits selbst literarische Petitessen. Unverschämt jüdisch heißt aus gutem Grund der Band, in dem Barbara Honigmann ihre bisherigen Preisreden versammelt.

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Barbara Honigmann: Unverschämt jüdisch. Hanser 2021, 155 S., € 20,60

Es ist der Klassiker. Auf einem Langstreckenflug erkennen einander zwei Sitznachbarn als jüdisch und haben nun reichlich Gesprächsstoff bis New York. „Worüber reden eigentlich Gojim?“, fragen sie sich beim Abschied.Passenderweise gibt Barbara Honigmann dieses eigene Erlebnis in New York beim Koret Jewish Book Award zum Besten, aber auch bei allen anderen Preisgelegenheiten ist sie meist ohne Umschweife beim ihrem Thema: der vielzitierten jüdischen Identität, um die auch ihre meist autofiktionalen Bücher kreisen. Als Tochter eines durchaus schillernden jüdisch-kommunistischen Elternpaares, das aus der englischen Emigration nach dem Krieg in die DDR zurückkehrte, 1949 in Ost-Berlin geboren und in den künstlerischen Kreisen eines elitären kommunistischen „ Adels“ privilegiert aufgewachsen, erzählte sie ihren Familienroman in mehreren „Staffeln“. Ihrer Wiener Mutter, in erster Ehe mit dem Doppelspion Kim Philby verheiratet, widmet sie ein Buch, ihrem charismatischen Vater, dem Journalisten und Womanizer „Georg“ zwei, sich selbst in verschiedenen Beziehungen gleich mehrere. Nach dem Tod des Vaters findet sie 1984 in Straßburg mit ihrer Familie in einer „modern orthodoxen“ Gemeinde eine neue Heimat. Ihr fortan praktiziertes Judentum „unverschämt“, d. h. ohne Scham zu leben, vor allem aber davon zu erzählen und zu schreiben, darum ringt sie, wie sie im Vorwort des neuen Bandes bekennt, seit ihrer Jugend und findet dieses Ringen in verschiedenen Varianten auch bei einigen anderen bedeutenden jüdischen Autoren wieder. Bei Jakob Wassermann, der „jüdische Themen und jüdische Problematik in die deutsche Literatur hineinschrieb“, am offensichtlichsten, hintergründiger bei Franz Kafka und Marcel Proust, in deren Biografien und Werken, Meilensteinen der Weltliteratur, sie ganz erstaunliche Parallelen, frappante Gemeinsamkeiten aufdeckt. Beide kränkelnde, unverheiratete Söhne jüdischer Mütter und starker Väter, wobei Kafka besonders gegen seinen jüdischen Vater revoltierte, erleben sie als Zeitgenossen die Dreyfus-Affäre und die antisemitische Propaganda, Erfahrungen, die sie allerdings auf verschiedene Weise rezipieren.

„[…] eine der letzten deutschen Juden, immer noch deutsch und immer noch jüdisch.“
Barbara Honigmann 

Das Dilemma der deutsch schreibenden Juden von Heine bis Kafka belegt Honigmann eindrucksvoll zitatenreich, gebildet und belesen, von der Bibel bis zu den großen jüdischen Denkern und Philosophen. Ein Dilemma, das sie inspiriert und ohne das sie sich wohl selbst nicht denken kann. „Ich gefalle mir manchmal in der Rolle als eine der letzten deutschen Juden, immer noch deutsch und immer noch jüdisch.“ Privates, Biografisches, Persönliches ordnet sie oft mit einem humorvollen Sidestep dieser Erfahrung unter. So erinnert sie sich in Bremen, dem Ort der Stadtmusikanten, an ihr Märchenbuch der Brüder Grimm, nicht ohne festzustellen, dass diese „die Juden nicht mehr als normal“ hassten. Als sie den Elisabeth-Langgässer-Preis entgegennimmt, outet sich gleich eingangs: „Ich bin also Jüdin“, damit es also heraus ist. Auch das „Unverschämte“ hat sie also offenbar erst trainieren müssen.

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