Auch Staatsmänner haben Spaß Joe Biden trifft Yair Lapid in Israel. Lapid gilt als Architekt der aktuellen Koalition. © ATEF SAFADI / AFP / picturedesk.com

Ein Jahr und eine Woche hat das gesellschaftlich und politisch womöglich interessanteste Experiment in der westlichen Welt angehalten, dann haben die beiden Verantwortlichen das Handtuch geworfen. Premierminister Naftali Bennett und Außenminister Yair Lapid sahen zuletzt keinen vernünftigen Weg mehr, mit ihrer Acht-Parteien-Koalition effektiv weiter zu regieren. Diese wird aber trotzdem in die Geschichte eingehen. Allein schon ihre Existenz bedeutet ein neues Kapitel, denn sie hat ideologisch völlig unterschiedliche Gruppen zur pragmatischen Zusammenarbeit veranlasst. Bis dahin hätte das wahrscheinlich niemand überhaupt für möglich gehalten.

Über die Bilanz lässt sich streiten. Von Anfang an war klar gewesen, dass der Spielraum beschränkt sein würde. Denn der gemeinsame Nenner hieß: Hauptsache nicht mehr Bibi. Aber immerhin war so erstmals nach drei Jahren ein Haushalt verabschiedet worden, konnten überfällige Entscheidungen getroffen werden. Die Minister und Ministerinnen haben die Hemdsärmel hinaufgekrempelt und sich im Rahmen des Möglichen ans Werk gemacht, in einem erfrischend umgänglichen Ton. Inhalte waren wichtiger als die Diskreditierung des Gegners. Das gab es so lange nicht. Bennett und Lapid, der jetzt als Übergangspremier die Geschäfte übernommen hat, standen für ein neues Politikverständnis. Wenigstens eine Weile.

Von Anfang an war klar gewesen, dass der Spielraum beschränkt sein würde. Denn der  gemeinsame Nenner hieß:
Hauptsache nicht mehr Bibi.

Jetzt aber ist erneut Wahlkampf. Gewählt wird am 1. November – zum fünften Mal in weniger als vier Jahren. Um das Amt des Premiers streiten sich Lapid, Verteidigungsminister Benny Gantz und Oppositionschef Benjamin Netanjahu. Nichts aber garantiert, dass sich die Machtverhältnisse verändern werden. Denn was die bisherige Regierung zusammengebracht hat, war die Abneigung gegen Netanjahu, der wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht. Bibi ist in einem Paradox gefangen. Solange er da ist, werden viele sich einer Koalition mit seiner Partei verweigern. Das könnte bedeuten, dass er – wie zuletzt schon drei Mal hintereinander – auch beim nächsten Versuch wieder scheitern könnte, eine Regierung zu bilden. Würde er hingegen abtreten, stünde einer großen, stabilen Koalition nichts im Weg.

Sein Comeback ist möglich, es bräuchte nur wenige Abtrünnige, seine Kandidatur könnte aber auch das Land weiter in die Unregierbarkeit treiben. Zwar ist eine knappe Mehrheit der Israelis (51 Prozent) durchaus dafür, Neuwahlen abzuhalten, aber 57,7 Prozent gehen nicht davon aus, dass danach eine stabile Regierung entstehen wird.

Jetzt aber verspricht der Ex-Premier auf den sozialen Medien erst einmal billigere Preise. Auf TikTok steht er mit einer Milchflasche in der Hand vor der Kamera in einem Supermarkt und sagt, dass unter ihm alles sowieso viel besser werden würde. Die vielen positiven Reaktionen werden einzeln prompt beantwortet. Jede Stimme zählt. Es gibt aber auch solche, die an die hohen Benzinpreise von 2012 erinnern, als Bibi als Regierungschef fest im Sattel saß. Seine Fans lässt das kalt.

Netanjahus Likud-Partei bringt es in den Umfragen auf 34 von 120 Mandate, so viel wie derzeit keine andere. Fraglich ist, ob sich seine Anhänger von den jüngsten Zeugenaussagen abschrecken lassen, die beschreiben, wie das regierende Ehepaar Netanjahu von dem Hollywood-Produzenten Arnon Milchan über die Jahre einen steten Zufluss an Champagner, Zigarren und Schmuck als selbstverständliche Geschenke eingefordert hat. Im Gegenzug arrangierte Bibi für seinen reichen „Freund“ eine Verlängerung dessen US-Visums. Demgegenüber versucht sich Lapid, der eigentliche Architekt der bisherigen Koalition, in seiner neuen Rolle zu profilieren. Er präsentiert sich als würdiger Staatsmann, trifft sich mit Joe Biden und Emmanuel Macron. Noch bastelt er an der Liste seiner Zukunftspartei. Dabei soll erstmal auch ein arabischer Kandidat auf einen aussichtreichen Platz gesetzt werden. Damit will Lapid signalisieren, dass die Zeit der jüdisch-arabischen Kooperation – wie sie in der bisherigen Regierung mit der Vereinten Arabischen Liste von Mansour Abbas möglich war – keine Eintagsfliege war.

Demgegenüber versucht sich Lapid, der eigentliche Architekt der bisherigen Koalition, in seiner neuen Rolle zu profilieren.

Offen ist auch die Frage nach Neuzugängen, mit denen sich punkten lässt. Zu Letzteren gehört der ehemalige Generalstabschef Gadi Eisenkot, der wie viele seiner Vorgänger nach dem Ausscheiden aus der Armee in der Politik als ein großes Plus gehandelt wird. Der Israeli mit orientalischen Wurzeln ist zudem populär und ein Kind der Arbeiterklasse. Gleich mehrere Parteien werben um ihn. Die größten Chancen rechnet sich Lapids Zukunftspartei aus. Um Eisenkot aber wirbt auch Benny Gantz, der mittlerweile auch erneut Interesse am Posten des Premiers signalisiert hat. Dazu hat sich sein Blau-Bündnis mit Gideon Sa’ars Partei der neuen Hoffnung zusammengetan.

Darüber hinaus werden bis zur Wahl auch noch andere neue Allianzen erwartet. Denn einige Parteien könnten es im Alleingang nicht über die 3,25-Prozent-Hürde schaffen, dazu gehören auch Yamina, die künftig statt von Naftali Bennett (der sich aus der Politik erst einmal zurückgezogen hat) von Ayelet Shaked angeführt wird, Meretz und die Vereinte Arabische Liste von Mansour Abbas. Die Rede ist davon, dass sich die Arbeitspartei mit Meretz zusammentun könnte. Alles andere wird sich in den nächsten Monaten finden. So oder so wird es ein heißer Sommer werden.

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