Zur Therapie nach Wiener Neustadt

Im Strahlenzentrum MedAustron werden jährlich 50 bis 80 Patienten aus Israel behandelt, mehrheitlich Kinder. Praktische Hilfe und seelischen Beistand gibt ihnen und ihren Familien in dieser schwierigen Zeit in der Fremde eine Wiener jüdische FreiwilligenOrganisation, Katef

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Samuel Pollak ist erfolgreicher Geschäftsmann. Und aktiv Helfender: Er gründete Katef nach der Begegnung mit dem Vater eines an Krebs erkankten Buben. © Reinhard Engel

Die medizinische Zusammenarbeit ist längst eingespielt. Alljährlich schicken israelische Spitäler Krebspatienten nach Österreich für eine Spezialbehandlung, die im eigenen Land nicht zur Verfügung steht. Es handelt sich dabei um eine spezielle Form der Strahlentherapie, die Ionen- oder Partikeltherapie. „Damit kann man schonend Tumore ganz genau treffen und gleichzeitig das Risiko gering halten, umliegendes Gewebe zu schädigen“, erklärt der medizinische Leiter des MedAustron in Wiener Neustadt, Prof. Dr. Eugen B. Hug. Das eigne sich vor allem für Tumore im Kopf oder nahe der Wirbelsäule. Viele der Patienten sind jung, vom Babyalter bis zur Adoleszenz.

Zuletzt waren es zwischen 50 und 80 Kinder, Frauen und Männer pro Jahr, denen israelische Krankenkassen die teure Therapie in Österreich bezahlen. Früher mussten diese für die Behandlung in die USA fliegen, jetzt ist von den wenigen europäischen Zentren vor allem Wiener Neustadt die bevorzugte Destination. Das geht auf langjährige Kontakte von Eugen Hug zurück, der vor seiner Arbeit in Österreich in Zürich und an US-Kliniken einschlägig geforscht und behandelt hat. „Es ist eine Sache des Vertrauens“, weiß Hug. „Bei uns geht es um Heilung, nicht darum, Patienten in fortgeschrittenen Stadien noch zu begleiten, wenn sie bereits austherapiert sind. Daher muss ich auch manchmal bei schwierigen Entscheidungen nein sagen. Und ich sage nein, wenn ich glaube, dass eine Behandlung nicht gerechtfertigt ist.“

Die israelischen Patientinnen und Patienten, die bei MedAustron angenommen werden, müssen zwar mit einem seelisch belastenden etwa zweimonatigen Aufenthalt in der Fremde rechnen. Doch sie fallen nicht ins Nichts. Eine Wiener jüdische Freiwilligen-Organisation namens Katef – die Schulter – kümmert sich um die unterschiedlichsten Aspekte so einer Ausnahmesituation. Eugen Hug: „Ich bin sehr froh über diese Zusammenarbeit. Ich gebe Ihnen ein simples, aber drastisches Beispiel: Eine junge Mutter spricht nur Hebräisch, daher wird sie von jemandem aus Wien begleitet, hier bei der Behandlung und draußen im Alltagsleben.“

Aktive Hilfe in einem Ausnahmezustand. Gegründet hat Katef Samuel „Schmuel“ Pollak, ein Geschäftsmann, der vor allem in Deutschland mit Immobilien sein Geld verdient. „Ich habe vor einigen Jahren in der Synagoge einen Mann mit seinem Sohn getroffen. Zuerst habe ich gedacht, er ist auf Verwandtschaftsbesuch in Wien, aber er hat mir gesagt, er ist wegen einer Behandlung für den Kleinen hier: wegen ,der Krankheit‘, das Wort Krebs wollte er nicht aussprechen.“

Bei dieser Gelegenheit erkannte Pollak, wie schwer es für Menschen sein kann, mit einer derartigen Ausnahmesituation zurechtzukommen. Die israelischen Krankenkassen bezahlen zwar Therapie und Flug und darüber hinaus einen bestimmten Tagessatz für Wohnen und Essen. „Das reicht aber in Wien nicht aus“, erklärt Pollak. „Außerdem müssen die Patienten jeden Tag nach Wiener Neustadt fahren, meist zeitig in der Früh, nüchtern, so dass das mit der Bahn äußerst schwierig wird.“

Gut Situierte können sich den Mietwagen leisten oder das Taxi, aber das sind längst nicht alle. Und auch für die Miete eines Kurzzeit-Appartements und einen gefüllten Kühlschrank reicht bei einem Gutteil der Familien ihr knappes Budget nicht aus. Hier springt Katef ein.

© 2015 KÄSTENBAUER BILDER OG && ETTL Fotografie

„Es beginnt mit Willkommenspaketen: Lebensmittel und ein wenig Spielzeug für die Kinder“, erzählt Adi Uri, seit einem Jahr eine der beiden angestellten Mitarbeiterinnen des Vereins. Die studiere Ökonomin aus Israel, die unter anderem fünf Jahre bei Siemens in Österreich gearbeitet hat, bemüht sich darum, den Verein zu professionalisieren, erstellt mittelfristige Budgetpläne und organisiert Spendenabende bei wohlhabenderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. „Natürlich kostet die Betreuung Geld, und das müssen wir aus Spenden finanzieren.“

Das Rückgrat von Katef bilden aber rund 70 Freiwillige, und dabei handelt es sich oft um ganze Familien, nicht nur um einzelne Frauen und Männer, die sich die Betreuung der Patienten und deren Angehörigen aufteilen. Das reicht von der Wohnungssuche und vom Transport zur Therapie über die Versorgung mit koscheren Lebensmitteln bis zur kurzfristigen Hilfe bei neu aufgetretenen Problemen. „Da war etwa eine Frau, die eine Panikattacke bekommen hat“, erzählt Uri. „Ich habe alle meine Kontakte bei Psychologen und Psychiatern durchtelefoniert, und einer hat sich um die Frau gekümmert. Kostenlos.“

Mittlerweile sind es schon große Zahlen, um die es geht. Pollak berichtet: „Wir haben im Jahr 2022 10.000 Essensportionen ausgeteilt. Heuer dürften es 15.000 werden.“ Gefragt, wie viele Patientinnen und Patienten Katef bisher betreut hat, sagt er, er habe bei 300 aufgehört zu zählen. Laut Uri sind es zu jedem Zeitpunkt zwischen 10 und 13 Familien, um die man sich parallel kümmert.

 

Das Rückgrat von Katef bilden rund
70 Freiwillige, die sich die Betreuung der Patienten und
deren Angehörigen aufteilen.

 

Das kann eben die einsame Mutter mit dem kranken Kind sein, aber auch eine große Familie, Vater, Mutter und sieben Kinder, weil sie in Israel niemanden haben, der für die Kleinen sorgen könnte. Und es geht nicht nur um Nahrung für den Körper, sondern auch um weniger Materielles, um menschliche Kontakte, um Lesematerial, um kulturelle Angebote oder Ablenkung für die Kinder wie den Zoo oder den Prater.

Warum sich das alles in Wien abspielt und nicht gleich neben dem Strahlenzentrum MedAustron in Wiener Neustadt, erklärt Pollak so: „Erstens gibt es hier in Wien, vor allem im zweiten Bezirk, jüdisches Leben mit koscheren Geschäften, Synagogen und Vereinen. Zweitens brauchen manche Kinder zusätzlich zur Bestrahlung noch eine Chemotherapie, und die bekommen sie im St. Anna Kinderspital oder im AKH. Auch bei möglichen Notfällen kann es gut sein, in einer Großstadt zu wohnen.“ Er selbst ist übrigens ausgebildeter Sanitäter und hat schon die eine oder andere Extremsituation erlebt.

Auch wenn Pollak wie Uri zur orthodoxen Gemeinde gehören, legen sie großen Wert darauf, dass ihre Hilfe allen zugute kommt, die sie brauchen, also genauso säkularen Israelis wie auch muslimischen oder christlichen Arabern aus Israel, manchmal sogar aus dem palästinensischen Westjordanland. „Ich habe nie so viel Kontakt mit Arabern gehabt wie bei meiner Arbeit für Katef“, erzählt Uri. Und Pollak berichtet von einem Fall, bei dem er einen Vater, der außer Arabisch und Hebräisch keine weitere Sprache auch nur rudimentär beherrschte, via Handy-Kamera in der St. Anna Kinderklinik in den richtigen Behandlungsraum dirigieren konnte.

Eugen Hug von MedAustron ist mit der intensiven Zusammenarbeit mit Katef jedenfalls sehr zufrieden. Es sei ganz wichtig, dass die kleinen Patienten neben der optimalen medizinischen Behandlung auch ein stabiles familiäres Umfeld erleben. Dazu trage Katef entscheidend bei – und im Gegensatz zu professionellen Vermittlern, die es für internationale medizinische Behandlungen gibt, verlangen sie dafür kein Geld.


DIE TECHNIK HINTER DER THERAPIE

Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung MedAustron? Dabei handelt es sich um ein österreichweit einzigartiges Krebsbehandlungs- und Forschungszentrum. Vergleichbare Zentren gibt es weltweit nur sechs. Gearbeitet wird dabei zur Krebsbekämpfung mit der so genannten Ionen- oder Partikeltherapie. Die Partikeltherapie ist eine hoch präzise Form der Strahlentherapie, bei der Strahlen aus energiereichen Protonen oder Kohlenstoffionen zur Anwendung kommen. Im Gegensatz zu Röntgenstrahlen deponieren diese Teilchen das Maximum der Strahlendosis auf den letzten Millimetern ihrer Strecke und damit direkt im Tumor. Dadurch wird möglichst wenig gesundes Gewebe belastet, die Behandlung eignet sich daher besonders für heikle Körpergegenden wie den Kopf oder die Region rund um die Wirbelsäule.

Erzeugt werden die verschiedene Arten von geladenen Teilchen in einer Synchrotron-basierten Anlage. Dabei handelt es sich um eine Art von ringförmigem Teilchenbeschleuniger, der von MedAustron in enger Kooperation mit dem europäischen Forschungszentrum CERN in Genf entwickelt wurde. In einem Linearbeschleuniger erfolgt danach die erste Stufe der Beschleunigung auf etwa 12 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Im nächsten Schritt werden die Ionen im Synchrotron auf eine Kreisbahn mit einer Länge von rund 80 Metern geführt und durch starke magnetische Felder weiter schrittweise beschleunigt. Dabei kann man Geschwindigkeiten von bis zu 2/3 der Lichtgeschwindigkeit erreichen. Derzeit arbeiten bei MedAustron rund 250 hoch spezialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 20 verschiedenen Nationen und mit unterschiedlichen Qualifikationen zwischen Technik und Medizin. Etwa 50 von ihnen waren zuvor für MedAustron am europäischen Kernforschungszentrum CERN in der Schweiz tätig. Neben der Behandlung wird auch weiterhin geforscht.

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