Zwei Brüder mit Swing

Im Frühjahr 1921 arbeiteten die Brüder George und Ira Gershwin erstmals zusammen – und produzierten einen Flop. Doch bald wurden sie zu einem der erfolgreichsten Teams der Musical-Branche.

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Geniales Duo. Das Klavier wurde eigentlich für Ira angeschafft, der schrieb aber lieber Songtexte, während George bereits mit 15 Jahren sein erstes Geld mit Musik verdiente. © ullstein bild/Ullstein Bild/picturedesk.com

Viele große Karrieren beginnen mit einem veritablen Misserfolg. A Dangerous Maid hieß das Musical von Chat B. Well, für das die beiden Brüder George und Ira acht Songs beisteuerten, George die Kompositionen, Ira – noch unter dem Pseudonym Arthur Francis – die Texte. Lang sollte sich die leichte Komödie vom ehemaligen Showgirl, das sich einen reichen jungen Mann angelt, nicht auf den Bühnenbrettern halten. Zwischen der Premiere in Atlantic City und der letzten Aufführung in Pittsburgh lag im Frühling 1921 nicht einmal ein Monat. Jahre später feierte das Musical unter dem Titel Elsie eine Wiedergeburt, freilich mit Liedern aus anderen Federn. Nur einige wenige der Original-Songs sahen später noch einmal das Scheinwerferlicht, etwa in den späten 1950er-Jahren mit Ella Fitzgerald.
Die beiden Brüder ließen sich freilich nicht entmutigen, und einige Jahre später begannen sie, erste Erfolge einzufahren: Lady, Be Good sollte 1924 am Broadway einschlagen, darauf folgte eine fruchtbare Zusammenarbeit bei mehr als zwei Dutzend Produktionen für die Bühne und für Hollywood. Strike up the Band, Let Them Eat Cake oder die Oper Porgy and Bess gehörten dazu und zahlreiche unvergessliche Melodien, die weltweit gespielt wurden: Summertime, The Man I Love, I Got Rhythm und viele mehr.

Man importierte kaum mehr Operettennoten, setzte dagegen auf amerikanische Ware und auf die Suche nach einem eigenen nationalen Ton.

Die beiden wurden bereits in Amerika geboren, Ira 1896 und George, eigentlich Jacob, 1898. Sein Name sollte an Jakov Gershowitz erinnern, den Großvater. Dieser kam aus einem ukrainischen Schtetl und arbeitete als Mechaniker für die zaristische russische Armee. Das erlaubte ihm dann auch als Jude, nach dem Abrüsten seinen Wohnort zu wählen, und er zog in die Nähe der Hauptstadt St. Petersburg. Sein Sohn Moishe, ein Zuschneider für Damenschuhe, verliebte sich in ein jüdisches Mädchen aus Vilnius, Roza Bruskina. Vor der immer wiederkehrenden Bedrohung antijüdischer Pogrome wanderte sie mit ihrer Familie nach Amerika aus, Moishe folgte wenig später, nicht zuletzt auch, weil ihm die Einberufung in der Armee drohte. Die beiden heirateten 1895 New York, Gershowitz änderte seinen Namen erst in Morris Gershwine, dann in Gershwin, und aus Roza wurde Rose.
Morris hatte die unterschiedlichsten Geschäftsideen und zog mit seiner Familie deshalb quer durch die New Yorker Boroughs. Sie begannen in Brooklyn, lebten dann in Harlem, um schließlich auf der Lower East Side im jüdischen Theaterdistrikt zu bleiben. Dort betrieb Morris ein türkisches Bad, Ira sollte eine Zeitlang bei ihm arbeiten.

Song Plugger. Entscheidend für die Zukunft der Söhne sollte einen Anschaffung werden, die ursprünglich für Ira gedacht war: ein Klavier. Doch schnell hatte es der jüngere George für sich okkupiert, nahm auch ernsthaft Unterricht. Er verließ die Schule mit 15 und verdiente sein erstes Geld bereits mit Musik, als so genannter Song Plugger. Dabei ging es darum, Noten zu verkaufen, indem man den prospektiven Kunden die Stücke vorspielte und sie eventuell auch für unterschiedliche Stimmen tonartmäßig versetzte.
Eine weitere Einnahmequelle erschloss sich George, indem er Walzen für automatische Klaviere aufnahm. Darunter war nun schon die eine oder andere eigene Komposition, freilich unter Phantasienamen. Und er begleitete Sängerinnen auf der Bühne bei leichten Vaudeville-Programmen. 1919 schrieb er seinen ersten Hit, Swanee, kassierte erstmals Tantiemen. Und auch das Komponieren fürs Musical begann in diesen Jahren.

So soll Ravel die Bitte Gershwins, ihn zu unterrichten, mit den Worten abgelehnt haben, er solle kein zweitklassiger Ravel werden, wenn er doch schon ein erstklassiger Gershwin sei.

Obwohl Ira der Ältere war, begann er später mit seiner Arbeit für die Unterhaltungsbranche. Er hatte wohl einen Schulabschluss, das College aber geschmissen und dann bei seinem Vater mitgearbeitet. Doch auch er konnte sich der Faszination des Yiddish Theater District nicht entziehen. Sein Talent für das Textschreiben wurde Anfang der 1920er-Jahre erkannt, als sein Bruder bereits am Weg nach oben war. Und um diesem nicht in die Quere zu kommen, lieferte Ira seine ersten Songtexte unter Pseudonym ab, eben als Arthur Francis. Doch ab dem großen Erfolg von Lady, Be Good brauchte er sich nicht mehr zu verstecken und wurde mit seinem Bruder zum kongenialen Dream Team der Musicalbühne.
Der Erfolg der beiden war sicher ihren außergewöhnlichen Talenten geschuldet, so Amy C. Baumgartner. Sie analysierte in ihrer Master-Arbeit an der University of Virginia den Aufstieg der Gershwins etwas umfassender. Was die musikalische Seite anging, so integrierte George erfolgreich Jazz-Elemente, die wohl in Städten wie New Orleans oder Chicago bereits Mainstream waren, New York hinkte aber noch etwas hinterher. Die internationale Politik spielte ebenfalls eine Rolle: Die USA hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg in eine selbstgewählte Isolation zurückgezogen, und diese betraf auch die kulturelle Produktion. Man importierte kaum mehr Operettennoten, setzte dagegen auf amerikanische Ware und auf die Suche nach einem eigenen nationalen Ton.
Diesem spürte George Gershwin auch abseits der Musical-Bühnen nach, eine Etage höher auf der Prestigeskala, zwischen Unterhaltungsmusik und so genannter ernster Musik. Schon 1924 komponierte er sein erstes klassisches Stück, die Rhapsody in Blue, beeinflusst von zeitgenössischen französischen Komponisten wie Maurice Ravel oder Claude Debussy, aber schon mit genuin amerikanischem Schwung und voller Elemente von Jazz und Blues. Das Werk machte ihn nun auch in der „seriösen“ Musikwelt bekannt. Und er verfolgte diesen Weg weiter, parallel zu neuen, wieder erfolgreichen Musicals. Bei einem Aufenthalt in Paris Mitte der 1920er-Jahre entstand An American in Paris.
Dort traf er auch auf Ravel, und von diesen Begegnungen gibt es mehrere – nicht ganz seriös belegte – Zitate. So soll Ravel die Bitte Gershwins, ihn zu unterrichten, mit den Worten abgelehnt haben, er solle kein zweitklassiger Ravel werden, wenn er doch schon ein erstklassiger Gershwin sei. Und bei einem anderen Gespräch soll Ravel gefragt haben, was Gershwin mit seiner Musik in den USA verdiene. Als er hörte, wie viel das sei, soll er gesagte habe, dann müsse eigentlich er bei Gershwin Unterricht nehmen.
1935 wurde die moderne amerikanische Oper Porgy and Bess in Boston uraufgeführt, unmittelbar darauf am Broadway. Das Libretto hatten DuBose Heyward und Ira Gershwin verfasst. Fürs Kino schrieben die Gershwins dann noch Shall We Dance mit Ginger Rogers und Fred Astaire. Doch bald darauf begann George, über Kopfschmerzen und Gleichgewichtsstörungen zu klagen, bei ihm wurde ein Hirntumor diagnostiziert, an dem er im Sommer 1937 starb.
Ira konnte drei Jahre lang nicht arbeiten, so sehr bedrückte ihn der Tod des Bruders. Doch dann nahm er einen neuen Anlauf und schrieb für Komponisten wie Jerome Kern, Kurt Weill oder Harold Arlen wieder Songtexte, war damit weiter erfolgreich auf den Bühnen und auf der Filmleinwand, etwa mit Billy Wilder. Und auch für Judy Garlands Film A Star is Born lieferte er die Texte. Ira Gershwin starb 1983 in Beverly Hills 86-jährig.

„Porgy and Bess“: Die Schöpfer des Musicals, der Komponist George Gershwin, der Librettist DuBose Heyward und der Autor der Songs, Ira Gershwin. © akg-images/picturedesk.com

Gershwin in Wien
Der Andrang für die Werkeinführung war so groß, dass diese vom Palais Pálffy in den Schubert Saal des Konzerthauses verlegt werden musste. Das war 1965, und Marcel Prawy stellte als Chefdramaturg der Wiener Volksoper das Ensemble von Porgy und Bess dem begeisterten Publikum vor – unter anderem Olive Moorefield und William Warfield. Bereits Anfang der 1950er-Jahre hatte es in Wien eine gefeierte Tourneevorstellung der amerikanischen Everyman Opera Company mit Leontyne Price und ebenfalls William Warfield gegeben.
Porgy und Bess sollte in Wien auch bis in die jüngste Zeit populär bleiben. Zuletzt präsentierte etwa die Volksoper 2019 eine konzertante Aufführung, das Theater an der Wien trotz Corona-Widrigkeiten im Herbst 2020 eine moderne mit Flüchtlingsthemen angereicherte Bühnenversion.
Doch Gershwin hatte in Wien schon vor der NS-Zeit und dem Krieg seine Fans. Bereits 1924 brachte das Neue Wiener Journal einen Korrespondentenbericht aus New York mit dem Titel Wie der Jazz in New York die Konzertsäle erobert. In den Zeitungen der Zwischenkriegszeit liest man immer wieder in den Radioprogrammen den Namen Gershwin, etwa 1937 in der Kleinen Volkszeitung erst am Nachmittag das klassische Stück Ein Amerikaner in Paris, dann am Abend unter „Tanzmusik“ They Can’t Take That Away from Me.
Wirklich Bewegung kam in die Gershwin-Rezeption allerdings erst nach dem Krieg, unter anderem mit den US-Soldaten. 1945 konnte man schon im Rex (Stadttheater), dem „Theater für die amerikanischen Truppen“, die Rhapsody in Blue hören. 1950 berichtet die Weltpresse von zwei weihnachtlichen Gershwin-Konzerten im Konzerthaus, in denen neben der Rhapsody auch Ein Amerikaner in Paris und das Klavierkonzert in F-Dur gespielt wurden. Ab 1954 bot Marcel Party, zunächst noch unter der Patronanz der Amerikaner, im Kosmostheater Musical-Programme an. An der Volksoper sollte er dann für ein wahres Feuerwerk an Premieren sorgen.
George Gershwin besuchte übrigens im Jahr 1928 Wien. Er hatte ein größere Europareise unternommen und in Paris bereits Komponisten-Kollegen wie Maurice Ravel und Igor Strawinsky gesehen. In Wien sprach er mit Alban Berg, Arnold Schönberg und Emmerich Kálmán, und er ließ es sich auch nicht nehmen, die Witwe des Walzerkönigs Johann Strauss, Adele, zu treffen.

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