Die Makkabäer Wiens

Die Vereinsfarben sind Blau und Weiß, das Wappen zeigt den Davidstern. Jede Woche sind mehr als hundert Kinder und Erwachsene für den SC Maccabi Wien im Einsatz. Der einzige jüdische Fußballverein der Stadt steht vor einem Spagat zwischen sportlichem Ehrgeiz und Tradition.

5271
© Daniel Shaked

Während sich die Spieler aufwärmen, werden im Umkreis Segel gesetzt und Motoren gestartet. An einem spätsommerlichen Sonntag ist die Alte Donau vor allem bei Seglern und Motorbootfahrern beliebt. Doch auf der von Wasser umgebenen Polizeisportanlage, am Dampfschiffhaufen 2, wird heute auch Fußball gespielt. Hier trägt der SC Maccabi Wien, der einzige jüdische Fußballverein der Stadt, seine Heimspiele aus. In der Oberliga B empfängt Maccabi den SZ Marswiese. Beim Anstoß um 16 Uhr sind hauptsächlich Jugendspieler und Angehörige der Spieler unter den wenigen Zuschauern zu finden. Hannes Winkelbauer sticht nicht nur aufgrund der gelben Warnweste, die er über seiner Jacke trägt, heraus. Winkelbauer leidet mit jedem Fehlpass mit, und doch versucht er, sich im Zaum zu halten. Die gelbe Weste trägt Winkelbauer, weil er als Ordner im Einsatz ist, und als solcher sollte man sich unauffällig verhalten. Vor allem aber ist Winkelbauer seit vier Jahren Obmann von Maccabi Wien.

Wiener Makkabäer: Zeno Druml und Jakob Stapf sind Teil der SC-Maccabi-Wien-Familie, die nicht nur im Fußball, sondern auch in puncto Toleranz und Miteinander große Erfolge feiert. © Daniel Shaked

Der Verein wurde 1995 neugegründet. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, hat damals den entscheidenden Impuls gegeben, als die Idee eines jüdischen Fußballvereins konkreter wurde. Nachdem in den 50er-Jahren die Fußballsektion der Hakoah nicht mehr fortgeführt werden konnte, gab es schon bald Bemühun­gen, einen jüdischen Fußballverein zu etablieren. In den 70er-Jahren konnte sich die damalige Maccabi-Mannschaft im Wiener Unterhaus halten, bis sie nach einer Fusionierung von der Bildfläche verschwand. „Es war damals kein einziger jüdischer Funktionär für den Verein tätig, was den Untergang des Vereins zur Folge hatte“, erzählt Michael Margules, der seit 2003 als Sektionsleiter bei Maccabi Wien tätig ist. Abgesehen davon hätten die Spieler gefehlt, wie Winkelbauer meint: „Es gab keine zwanzig jüdischen Fußballer.“ Nachdem der Verein wiederbelebt wurde, bestritt Maccabi Wien 1996 ihr erstes Spiel. Seither spielt der Verein im Wiener Unterhaus, aktuell in der sechsthöchsten Spielklasse.

Hannes Winkelbauer leidet mit jedem Fehlpass und leitet Maccabi Wien seit Jahren mit viel Leidenschaft. © Daniel Shaked

Zwischen Öffnung und Identitätspflege. Maccabi versteht sich als „internationaler Fußballverein“ – alleine im Nachwuchsbereich sind Spieler aus rund 20 Ländern dabei. „Wir sind ein Schmelztiegel. Bei uns fließen verschiedene Kulturen zusammen“, erzählt Winkelbauer. Das war nicht immer so: Jahrelang war in den Statuten festgelegt, dass nur jüdische Fußballer bei Maccabi spielen dürfen. Dies wurde 2010 aufgrund des Mangels an Spielern geändert. „So viele jüdische Kinder, die Fußball spielen, gibt es in Wien nicht“, erklärt Winkelbauer. Der Initiator dieser Veränderung war Margules. „Diese Trennung hat meiner Auffassung von Fußball als idealer Plattform von Integration nicht entsprochen. Heute haben wir bei Maccabi Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Sieben-Tages-Adventisten und Atheisten. Gestritten wird natürlich auch bei uns, aber nie aufgrund religiöser Zugehörigkeit“, erläutert Margules.

»Wir sind ein Schmelztiegel der Kulturen.«
Hannes Winkelbauer

Ungeachtet dessen werden die Regeln des jüdischen Glaubens hochgehalten. „Es gibt am Schabbat keine Maccabi-Aktivitäten“, erzählt Winkelbauer. Freitagabends und samstags finden keine Matches statt, gespielt wird nur an Sonntagen. „Wir sind auf das Entgegenkommen der anderen Vereine angewiesen. Ich bin unseren Gegnern dafür sehr dankbar“, meint Robert Weber, der die Kampfmannschaft trainiert und auch für den Nachwuchsbereich als sportlicher Leiter verantwortlich ist.

Severino Nowikovsky: Es ist nicht entscheidend, ob elf Juden am Platz stehen. Aber es soll jeder Spieler wissen, warum wir am
Freitag kein Match haben. © Daniel Shaked

In der Jugend liegt die Kraft. Die Förderung des eigenen Nachwuchses ist bei Maccabi von größter Bedeutung. „Wir haben 2003 in einem Turnsaal mit fünf bis zehn Kinder angefangen“, erinnert sich Margules. Heute sind es mehr als 120 Kinder und Jugendliche, die regelmäßig zum Training kommen. Für die meisten der acht Nachwuchsteams stehen jeweils zwei Betreuer bereit. Umso wünschenswerter wäre es, wenn möglichst viele Spieler den Sprung in die erste Mannschaft schaffen. „Das gelingt leider noch zu wenig“, sagt Margules. „Die Kinder sollen vor allem Spaß haben. Es ist auch ein sehr günstiger Sport. Im Schnitt zahlt man zirka einen Euro für eine Betreuungsstunde“, ergänzt Winkelbauer, der, wie alle Funktionäre, ehrenamtlich arbeitet. Die Mitgliedschaft kostet 450 Euro jährlich. „Die Kinder lernen bei uns Disziplin und Höflichkeit. Wenn einer foult, muss er sich entschuldigen“, erklärt er. „Später sollen sie sagen können, dass sie die Zeit bei Maccabi persönlich bereichert hat.“
Das soll auch dadurch erreicht werden, dass die Spieler „verstehen, dass sie für einen jüdischen Fußballklub spielen“, wie Winkelbauer betont. „Wir versuchen, die jüdische Kultur erlebbar zu machen.“ In diesem Zusammenhang spielt auch der Vereinsname eine wichtige Rolle, der in Erinnerung an Judas Makkabäus gewählt wurde. Dieser hatte 167 bis 164 vor Christus (3594 bis 3597 in der jüdischen Zeitrechnung) den Aufstand der Juden angeführt, bei dem die Makkabäer den Tempel in Jerusalem verteidigt hatten. „Beim Lichterweihfest erinnern wir uns gemeinsam an die Makkabäer und entzünden den Chanukka-Leuchter in der Synagoge“, sagt Winkelbauer. Auf diese Weise würden alle Kinder und Eltern das Judentum kennenlernen. „Ich habe in den letzten Jahren erlebt, dass das die Kinder weltoffener werden lässt. Das Prinzip, dass alle gleich sind, egal, ob jüdisch oder nicht, wird von allen vorgelebt“, sagt der Obmann.

»Man muss die Verantwortlichen fragen,
ob ihnen nicht wichtig ist,
einen jüdischen Fußballverein in der Stadt zu haben.«
Michael Margules

© Daniel Shaked

Beleidigungen und Bewusstseinsbildung. Doch nicht überall stößt dieser Gleichheitsgrundsatz auf vergleichbare Gedanken. Vereinzelt sehen sich die Spieler von Maccabi antisemitischen Beschimpfungen ausgesetzt. „Es gibt Fußballplätze, da wissen wir schon vor dem Spiel, dass das unschön wird“, sagt Winkelbauer und erzählt von einem Vorfall, als ein Gegenspieler seine Schützlinge als „Judenschweine“ bezeichnet hat. Er habe den Trainer des Gegners zu einer Reaktion aufgefordert. „Der hat nur gemeint, er könne nichts dagegen machen, weil das sein bester Spieler ist“, so der Maccabi-Obmann. Severino Nowikovsky spielt seit vier Jahren für Maccabi. Mittlerweile ist er einer der wenigen Juden in der ersten Mannschaft. Auch er berichtet von Beschimpfungen. „Ich glaube aber, dass meistens nur versucht wird, uns zu provozieren“, meint Nowikovsky. Antisemitische Beleidigungen seien zwar mehr die Ausnahme als die Regel, „aber es ist immer wieder schockierend“, meint er. Dass Maccabi ein jüdischer Verein ist, sei ein „Extrazuckerl“, wichtiger aber das gemeinsame Fußballspielen. „Es ist nicht entscheidend, ob elf Juden am Platz stehen. Aber es soll jeder Spieler wissen, warum wir am Freitag kein Match haben. Jeder soll einen Bezug zum Judentum haben“, sagt Nowikovsky. Vor den Spielen legt er in der Kabine israelische Musik auf.

»Gestritten wird natürlich auch bei uns,
aber nie aufgrund religiöser Zugehörigkeit.«

Michael Margules

Der Traum vom eigenen Zuhause. Neben dem Ziel, als Verein bekannter zu werden, hat Winkelbauer einen großen Wunsch: eine eigene Heimstätte für Maccabi. „Wir sind geografisch nicht verankert. Wir brauchen unbedingt einen eigenen Platz, zu dem die Leute gerne hinkommen“, erklärt er. In dieser Hinsicht sehen die Maccabi-Funktionäre die Stadt Wien gefragt. „Man muss die Verantwortlichen fragen, ob ihnen nicht wichtig ist, einen jüdischen Fußballverein in der Stadt zu haben“, sagt Margules.
Als der Schiedsrichter das Spiel gegen SZ Marswiese abpfeift, ist Winkelbauer die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Maccabi hat den 1:0-Vorsprung über die Zeit gerettet. Es ist der erste Sieg im vierten Spiel der Saison, Maccabi verlässt damit die Abstiegsränge. Wenn in der Zukunft Heimsiege am eigenen Fußballplatz gefeiert werden könnten, wären Wiens Makkabäer noch ein Stück zufriedener.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here