WINA: Sie sind international ausgebildete und gefragte Flötistin und haben einen Doktortitel als Musikwissenschaftlerin. Sie haben sich in Ihrer Arbeit künstlerisch wie wissenschaftlich schon früh auf jüdische Komponist:innen spezialisiert – erwähnt seien hier nur Ihre Werk-Interpretationen von Erwin Schulhoff, Hans Gál, Michael Graubart, Ruth Schöntal, Ursula Mamlok, Vally Weigl oder Paul Ben-Haim. Zuletzt waren sie Vizeleiterin des Exilarte-Zentrums für verfolgte Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, ehe Sie letzten März die Leitung des renommierten Arnold Schönberg Centers (ASC) übernommen haben. Wie kamen Sie zur so intensiven Auseinandersetzung mit der österreichisch-jüdischen Musikgeschichte?
Ulrike Anton: Ich habe über Richard Wagner und dessen Rezeption in Großbritannien während des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie der Zwischenkriegszeit dissertiert und bin dabei auf Namen gestoßen, die ich bis dahin überhaupt nicht kannte. Die persönlichen Schicksale dieser Künstler:innen haben mich sehr bewegt wie auch die Frage, wie die jüdischen Emigrant:innen mit dem Thema Wagner umgegangen sind. Im Zuge der Recherche bin ich immer tiefer in diesen Themenkomplex eingetaucht und habe von da an vermehrt Kompositionen der von mir wissenschaftlich bearbeiteten Musiker:innen in meine Konzertprogramme als Flötistin aufgenommen. Ich war und bin von dieser Musik sehr überzeugt. Auf diese Weise bin ich mit dem damaligen Verein exil.arte in Verbindung gekommen, für den ich in weiterer Folge sowohl künstlerisch wie auch wissenschaftlich tätig wurde. 2016 wurde der Verein exil.arte als eigenständiges Wissenschaftszentrum in die mdw integriert. Dessen Gründer und Leiter ist seit 2006 Gerold Gruber, der ursprünglich aus der Schönberg-Forschung kam. Als sich 2016 die Möglichkeit ergab, bekam ich am Exilarte-Zentrum eine Anstellung und wurde bald dessen Vizeleiterin. Ich habe diese Arbeit mit großer Leidenschaft und Freude gemacht und konnte zahlreiche Projekte initiieren und realisieren. Diese Kombination zwischen künstlerischer Tätigkeit und wissenschaftlicher Spurensuche begeistert mich bis heute. Um ein Beispiel zu nennen: Mit der Gründung des Exilarte-Zentrums war es möglich, Nachlässe vertriebener oder vom NS-Regime ermordeter Komponist:innen zu sammeln – es konnten seit 2016 über 30 Nachlässe aufgenommen werden –, zu archivieren sowie wissenschaftlich zu bearbeiten. In den meisten Fällen sind die Kompositionen nicht veröffentlicht und liegen ausschließlich als Manuskript vor. Durch die Kooperation mit dem Schirmer/Wise Verlag ist eine Publikation zahlreicher Kompositionen ermöglicht worden, die weitere Aufführungen der Werke nach sich gezogen hat. Ich war maßgeblich an diesem Projekt beteiligt, bevor ich im März 2023 die Direktion des Arnold Schönberg Centers übernommen habe. Ich bleibe dem Exilarte-Zentrum, an dem ich so viele Herzensprojekte realisieren durfte, aber weiterhin verbunden und werde, so es meine Zeit erlaubt, als Flötistin auch in Zukunft bei Konzerten mitwirken.
„[…] dass es möglich sein wird, diesen Enthusiasmus, der uns täglich hier im Center begleitet, auch an unser Publikum weitergeben zu können.“
Ulrike Anton
Im März 2023 haben Sie die Leitung des Arnold Schönberg Centers übernommen, das seit seiner Eröffnung 1998 nicht nur den Nachlass des österreichisch-jüdischen „Universalkünstlers“, wie es in der Broschüre zum Jubiläumsjahr 2024 heißt, beheimatet, sondern auch die seither weltweit wichtigste Anlaufstelle ist, wenn es um die wissenschaftliche, aber auch weit darüber hinausgehende aktuelle Auseinandersetzung mit dem 1874 in Wien geborenen Künstler geht. Eine enorme Aufgabe ist zudem die 150-Jahr-Feier, in deren Vorbereitung Sie gleich mit Beginn Ihrer Tätigkeit quasi „hineingeworfen“ wurden. Wie sind Sie an dieses Großprojekt herangegangen?
I So ein Jubiläumsjahr ist eine große Chance, bestehende Netzwerke zu intensivieren und neue zu knüpfen. Das große Plus dieses Jubiläumsjahres ist, dass sämtliche Institutionen, Häuser, Ensembles und deren Leiter:innen von Beginn an unseren Bemühungen sehr aufgeschlossen gegenüberstanden. Ich hatte sehr viele positive und produktive Termine, und die letzten Meter waren für uns alle ausgesprochen intensiv. Die Pressekonferenz am Arnold Schönberg Center anlässlich des Auftakts zum Jubiläumsjahr war für uns alle eine enorme Freude: Man hat wirklich bei allen Partner:innen, die gesprochen haben, die große Begeisterung und Freude gespürt, und deshalb glaube ich, dass es möglich sein wird, diesen Enthusiasmus, der uns täglich hier im Center begleitet, auch an unser Publikum weitergeben zu können.
INFOKASTEN
schoenberg.at
Die Website des Arnold Schönberg Centers bietet einen Überblick über Leben und Werk des Universalkünstlers sowie Einblicke in Forschungsvorhaben, Ausstellungen und Veranstaltungen des Hauses.
schoenberg150.at
Die Website zum Jubiläumsjahr bietet einen umfassenden Einblick in die weltweiten Veranstaltungen aus Anlass des 150. Geburtstags von Arnold Schönberg.
Ein wesentliches Augenmerk liegt auf den – von Ihnen bereits erwähnten – Kooperationen mit anderen großen, aber auch kleineren künstlerischen wie universitären Institutionen. Wie kann man sich diese hoch komplexe Zusammenarbeit vorstellen? Wie kommt man hier gemeinsam auf Projekte; wie geht man an diese im Verbund heran?
I Man muss dazu sagen, dass jede und jeder, die:der sich mit Schönberg beschäftigt, sich bei uns informieren kann, da wir am ASC die größtmögliche Expertise und Unterstützung anbieten können. Aber es sind nicht nur Anfragen für bereits konzipierte Veranstaltungen, die an uns herangetragen worden sind, sondern wir sind selbst aktiv auf Personen und Institutionen zugegangen, waren Ideengeberin und haben Veranstalter:innen angeregt, Schönbergs Werken in ihren Programmen mehr Raum zu geben. Dass ein Großteil des Materials auch über unsere Website leicht zugänglich ist, hat ebenfalls dazu beigetragen, dass sich sehr viele direkt an uns gewandt haben und wir von Beginn an mit vielen Beteiligten von „Schönberg150“ in regem Austausch standen. Um nur ein, zwei Beispiele zu nennen: Was das MusikTheater an der Wien betrifft, das sich ab 26. April im Reaktor unter dem Titel Freitag, der Dreizehnte mit unterschiedlichen Facetten Schönbergs beschäftigen wird, haben wir im Vorfeld mit dem Dirigenten Michael Boder intensive Gespräche geführt und Materialien zur Verfügung gestellt; im Falle der geplanten Koproduktionen mit Wien Modern haben der Festivalleiter Bernhard Günther und ich gemeinsam darüber nachgedacht, welche Projekte wir jeweils machen wollen und können. Wir waren in ständigem Austausch und sind so u. a. auf die Geschichte Die Prinzessin gekommen, die Schönberg einst für seine Kinder erfunden hatte. Unsere Sammlungsleiterin Therese Muxeneder hat die Materialien, die sich dazu am ASC befinden, aufbereitet, und so war es Bernhard Günther möglich, den Dschungel Wien für eine Neuproduktion im November 2024 zu gewinnen. Die Komponistin Margareta Ferek-Petric wird Schönbergs Prinzessin aus diesem Anlass vertonen. Bei vielen Konzerten am ASC setzen wir Schönbergs Kompositionen mit Werken anderer Komponist:innen in Verbindung; sei es, um auf Komponisten, die ihn besonders inspiriert haben, einzugehen, wie Brahms oder Mahler, oder, um Schönberg mit aktuellen Werken, darunter auch mit Uraufführungen, zu kombinieren. Denn das ist mit eine der zentralen Fragen: Wie gestaltet sich die Entwicklung in die Zukunft? Gerade die Zusammenarbeit mit Wien Modern ist da natürlich fantastisch, einem Festival, bei dem es wirklich um das Hier und Jetzt neuer Musik geht – das mit einem Jubiläumsjahr wie Schönberg150 zusammenzubringen, ist wirklich toll!
Das Jubiläumsjahr hat nicht erst Anfang Jänner begonnen – bereits im Dezember haben Sie an der Oper Bonn die Ausstellung Leben und Werk Arnold Schönbergs eröffnet, die die aktuelle Produktion des Hauses von Moses und Aron, Schönbergs Fragment gebliebener Oper, begleitet. Diese Kooperation ist nur eine von vielen internationalen, die es dieses Jahr weit über Wiens Grenzen hinaus geben wird.
I Ja, das stimmt. Speziell für das Jubiläumsjahr ist es uns natürlich wichtig, die Sichtbarkeit unseres Centers auch weltweit zu erhöhen, und das passiert unter anderem in der Form, dass wir internationale Ausstellungen vorbereiten und, falls gewünscht, auch digital bereitstellen können. Die vorbereiteten Ausstellungen können je nach Ort bzw. aufgeführtem Werk adaptiert und erweitert werden. Und so war es eine große Freude, die wirklich herausragende Produktion von Moses und Aron, die Anfang Dezember am Theater Bonn vor begeistertem Publikum stattgefunden hat und deren Premiere mit Standing Ovations vom Publikum belohnt wurde, mit einer Ausstellung des ASC zu begleiten. Diese Moses und Aron-Produktion war sozusagen der europäische Start in das Jubiläumsjahr. Unsere Ausstellung in Bonn beschäftigte sich mit der Entstehungsgeschichte des Werks, die eng mit Schönbergs intensiver Beschäftigung mit dem Judentum in Verbindung steht, sowie mit allgemeinen Fragen zu Leben und Werk des Künstlers. Weitere internationale Ausstellungen sind u. a. an den Kulturforen in London und New York fixiert, und auch weitere österreichische Vertretungsbehörden sind bereits mit uns für Projekte im Gespräch. So ist es für uns eine große Freude, dass im Dezember 2024 Zubin Mehta Schönbergs Gurre-Lieder in Los Angeles dirigieren wird. Auch dazu wird das ASC eine Ausstellung zusammenstellen. Gerade zu Los Angeles ist die historische Verbindung sehr stark, da Schönberg den Großteil seiner Exiljahre in Los Angeles verbracht hat und dort auch verstorben ist.
Sie werden also in diesem Jahr sehr viel unterwegs sein.
I Ja, und ich freue mich sehr darauf, denn ich finde es sehr wichtig, dass wir als ASC so gut es geht bei externen Veranstaltungen dabei sind, um so unsere Wertschätzung zeigen können. Dass sich so viele Veranstalter:innen um Schönberg bemühen, muss gewürdigt werden – und natürlich geht es dabei immer um eine Vernetzung für die Zukunft; denn ein Jubiläumsjahr ist eine Chance in vielerlei Hinsicht, unter anderem auch dafür, Kooperationen, die man jetzt aufbaut, zu halten, weiterzuführen und auszubauen. Doch viele bedeutende Veranstaltungen werden auch hier im Arnold Schönberg Center sein.
Ein wichtiges Element ist die unermüdliche Vermittlungsarbeit Ihres Zentrums.
I Auch das stimmt, und gerade diese Arbeit liegt Familie Schönberg selbst sehr am Herzen. Es geht dabei um junges Publikum, aber nicht nur, denn wir wollen gerade in diesem Jahr auch Erwachsene ansprechen, die vielleicht bislang noch keinen Zugang zu Schönberg gefunden haben. Die Vermittlungsprogramme, die seit Jahren schon mit Erfolg hier am Center stattfinden, werden wir daher im Jubiläumsjahr hinaustragen, und das bundesweit und in Zusammenarbeit mit der Jeunesse. Ein neues Projekt in diesem Zusammenhang, Learn to hear, haben wir wiederum gemeinsam mit der mdw über einen Wettbewerb ausgeschrieben und ein fantastisches Siegerprojekt mit dem Titel (Grenz)genial – Arnold Schönberg prämieren können. Dieses neue Vermittlungsprogramm richtet sich an Erwachsene und wird über die Wiener Volkshochschulen angeboten werden.
„Das Ohr lässt sich schulen. Und ich finde, man darf das Publikum durchaus fordern.“
Bis heute gibt es in Hinblick auf seine Vorreiterrolle in der Auseinandersetzung mit der Zwölftonmusik immer noch Vorurteile. Warum diese anhaltende Skepsis Schönberg gegenüber, und wie versuchen Sie ihr zu begegnen?
I Natürlich hat die Zwölftonmethode – wie übrigens auch die tonale Musik – eine mathematische Komponente; Schönberg hat sogar einmal vorkompositorische Versuche mit Würfeln und kalkuliertem Zufall angestellt. Bei der schöpferischen Gestaltung steht aber immer der musikalische Einfall, die Inspiration im Vordergrund, und die Zwölftonmethode ist nur ein Werkzeug, um sich auszudrücken.
Bei meiner Eröffnungsrede zu unserer Ausstellung im Theater Bonn habe ich das Publikum um eines gebeten: „Bitte vergessen Sie alles, was Sie je über die Zwölftonmusik gehört oder gelesen haben, hören Sie der Musik zu, genießen Sie Schönbergs enorme Expressivität!“ Und natürlich war er auch Theoretiker – und ein hervorragender Lehrer. Aber in seinen Kompositionen stand immer das Gefühl im Vordergrund. Seine Musik als „kopflastig“ zu bezeichnen, ist einfach nicht richtig.
Arnold Schönberg war Wegbereiter und Wegbegleiter. Ein wichtiger Lehrer, wie Sie eben schon festgehalten haben. Für viele stellt er bis heute, auch unter Musiker:innen, Komponist:innen, eine Art Zäsur dar, einen Meilenstein, den man, ja, auch „überwinden“ muss.
I An Schönberg als Universalkünstler kommt keine Komponistin, kein Komponist „einfach vorbei“, egal, ob man sich dann an ihm bzw. der „Wiener Schule“ orientiert oder eben nicht – irgendwann hat eine künstlerische Auseinandersetzung stattgefunden. So wie man eben nicht an der „Wiener Klassik“ vorbei kann. Daher wird Schönberg in meinen Augen immer modern bleiben – und er ist ein Komponist, bei dem man immer wieder Neues entdecken kann. Es gibt Zeiten, in denen man das eine oder andere Werk vielleicht zu „sperrig“ findet. Hört man es Jahre später wieder, erlebt man es völlig neu – sozusagen mit anderen Ohren. Diesen Gedanken weiterzugeben, ist bei unseren Vermittlungsprogrammen ein zentrales Element. Das Ohr lässt sich schulen. Und ich finde, man darf das Publikum durchaus fordern. Wichtig zu wissen ist, dass Schönberg selbst immer wieder seine eigenen Regeln gebrochen hat und sich als ständig „Suchenden“ sah, um Neues erschaffen zu können. Es geht daher auf keinen Fall um ein strenges, starres Regelwerk, das vom Publikum erst „verstanden“ werden muss, um der Musik auf die Spur zu kommen. Bei Schönberg stehen immer der Ausdruck und seine Expressivität im Vordergrund. Dieser Gedanke kann sicherlich helfen, einen Zugang zu seinem Werk zu finden.
Arnold Schönberg war Jude, Sohn eines ungarisch-jüdischen Schuhmachers und einer Prager Jüdin. In der Wiener Leopoldstadt, dem „jüdischen“ Bezirk dieser Stadt, geboren, wo er auch zu Schule ging, besuchte er schon früh Konzerte im nahen Augarten und Wiener Prater, wurde u. a. vom jüdischen Musiktheoretiker David Josef Bach stark geprägt – aber auch von Wagner, Brahms und Bach. Wie „assimiliert“ war Schönberg, der bereits 1898 zum evangelischen Glauben übertrat; wie stark beschäftigte er sich auch mit seinem eigenen Judentum? 1933 nahm er in Frankreich, der ersten Station seines raschen Exils, den jüdischen Glauben wieder an und schrieb dazu an Anton Webern: „Ich bin seit Langem entschlossen, Jude zu sein.“
I Das in der Musikgeschichte ausführlich beschriebene Erlebnis, das Schönberg dazu brachte, sich intensiv mit jüdischer Geschichte, Politik und Tradition – und auch seinem eigenen Judentum – zu beschäftigen, war das so genannte „Mattsee-Erlebnis“ im Jahr 1921. Man hatte ihn schon im Vorfeld gewarnt, dass in Österreich und speziell im Land Salzburg zu diesem Zeitpunkt nicht weniger als 600 Orte bereits Schilder mit der Aufschrift „Judenfrei“ angebracht hatten. Man muss sich diese Zahl vorstellen und wie massiv der Antisemitismus zu diesem Zeitpunkt bereits in ganz Österreich war. Schönberg ist aus seinem Mattseer Feriendomizil geflüchtet – und an den Traunsee weitergezogen. Es war ein für Schönberg prägendes Ereignis, sozusagen ein Schlüsselerlebnis, das eine weitere Auseinandersetzung mit der Thematik des Antisemitismus und des Judentums hervorrief. In weiterer Folge hat Schönberg ein Theaterstück geschrieben, Der biblische Weg (1926), im dem er sich mit zionistischen Fragen beschäftigt. Auch der Moses und Aron-Stoff, an dem er bereits 1923 zu arbeiten begann, begleitete ihn sein ganzes weiteres Leben. Beide Werke sind eng miteinander verbunden und stehen in Zusammenhang mit dem persönlich erlebten Antisemitismus.
Schönberg emigrierte auch nicht erst 1938, sondern bereits 1933 in die USA, wo er eine zweite große internationale Karriere als Universitätsprofessor vorlegte und sich im angesehenen Brentwood in Los Angeles ansiedelte, 1941 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und nicht mehr nach Österreich zurückkehrte. Er starb 1951 in Los Angeles.
I Tatsächlich war Schönberg zu dieser Zeit schon international sehr bekannt, sodass die New York Times über seine Ankunft in den USA berichtete; auch George Gershwin schätzte die Wiener Schule sehr, bemühte sich um Schönberg und spielte später mit ihm Tennis; schon damals sagte Gershwin: „Was für ein Verlust für Deutschland, dafür ein großer Gewinn für Amerika!“
„Bei Schönberg stehen immer der Ausdruck und seine Expressivität im Vordergrund. Dieser Gedanke kann sicherlich helfen, einen Zugang zu seinem Werk zu finden.“
Diese Chance hatten freilich bei Weitem nicht alle jüdischen Künstler:innen, die zu diesem Zeitpunkt und mehr noch in den Jahren danach nach Amerika emigrierten.
I Hier ist noch einmal explizit seine Lehrtätigkeit zu betonen – und die Liste an Namen, die zu seinen Schülern und vielfach Schülerinnen zählten, ist enorm, genannt seien hier nur John Cage (1912–1992) oder Dika Newlin (1923–2006), die sowohl eine anerkannte Musikwissenschaftlerin und Theoretikerin war, aber eben auch komponiert hat. Gerade die Schönberg-Schülerinnen liegen mir besonders am Herzen, und ich möchte besonders auf das Konzert zum internationalen Frauentag am 8. März 2024 hinweisen, bei dem wir am ASC Werke von Vilma von Webenau (1875–1953), der ersten Schülerin von Arnold Schönberg, zur Aufführung bringen werden. Moderiert wird die Veranstaltung von Irene Suchy. Webenau nahm über einen Zeitraum von zehn Jahren immer wieder Unterricht bei Schönberg; einige Briefe sind erhalten geblieben und befinden sich in unserem Archiv. Die meisten Kompositionen von Webenau sind jedoch immer noch unveröffentlicht!
Das erste Halbjahr steht mit zahlreichen Konzerten an unterschiedlichen Orten, Vorträgen, mehreren Ausstellungen und vielem mehr ganz im Zeichen des künstlerischen Schaffens Schönbergs und seiner Schüler:innen. Welche Veranstaltungen wollen Sie zum Ende unseres Gesprächs aus diesem ersten Halbjahr noch genauer vorstellen?
Ein besonderes Highlight ist das Konzert der Wiener Philharmoniker, die hier mit einem Neuarrangement von Pelleas und Melisande (1902–1903) sowie Schönbergs erster Kammersymphonie bei uns zu Gast sein werden (26.03.); ebenfalls als Gast dürfen wir zuvor schon das Arditti Quartet (14.03.) begrüßen, das bei uns sein 50. Gründungsjubiläum mit Schönbergs Streichquartett Nr. 4 op. 37 feiert. Weiters wird das Ensemble die Uraufführung eines neuen Streichquartetts spielen, das dank der vom BMKÖS ausgeschrieben Schönberg-Stipendien entstanden ist.
Am ASC werden wir zwei große Ausstellungen in diesem Jubiläumsjahr haben: Die erste hat bereits am 16. Jänner eröffnet und trägt den Titel Arnold Schönberg & Karl Kraus, denn auch Kraus feiert seinen 150. Geburtstag in diesem Jahr. Für Schönberg war der Schreib- und Vortragsstil seines Altersgenossen eine große Inspiration, was ihn sowohl als Schriftsteller wie als Komponisten sehr geprägt hat. Kraus hingegen, der Schönberg kannte und schätzte, konnte mit dessen Entwicklung nicht Schritt halten und war neuer Musik generell nicht zugänglich. Es sind diese Spannungsfelder, die in der Ausstellung beleuchtet werden, wie auch die Kreise, in denen sich die beiden Protagonisten bewegt haben. Zu diesem Thema wird es in der zweiten Jahreshälfte dann auch ein Symposion in Kooperation mit der mdw sowie der Wienbibliothek geben, die ihrerseits den Nachlass von Karl Kraus betreut. Was ich dazu noch verraten darf: Beide Totenmasken sind in unserer Ausstellung gemeinsam zu sehen.
Dazu lesen Sie auch Der Star und sein Bewunderer – Eine Ausstellung im Wiener Arnold Schönberg Center würdigt derzeit die beiden kreativen Geister Arnold Schönberg und Karl Kraus – und beleuchtet ihre nicht ganz unproblematische Beziehung.
Die zweite Ausstellung, die im Mai eröffnet, trägt den Titel Mit Schönberg Liebe hören und befasst sich mit dem bereits in unserem Gespräch angeschnittenen Thema Schönberg und die „große Emotion“, ein Aspekt, der uns ja sehr am Herzen liegt, sodass wir diese Ausstellung bis in das Jahr 2025 hinein präsentieren werden.
In beiden Ausstellungen kontextualisieren wir auch das bildnerische Werk Schönbergs. Das Kunstprojekt 12 Farbtöne – In Resonanz mit Arnold Schönberg als Maler findet in Kooperation mit dem Mödlinger Künstlerbund (mkb) im Schönberg-Haus Mödling statt und wird anlässlich unseres Open Houses am 1. Mai 2024 präsentiert werden.
Ganz besonders freue ich mich, dass es im Juni 2024 internationale Meisterklassen – sowohl hier bei uns wie auch im Schönberg-Haus in Mödling – für Gesang, Klavier solo und Kammermusik mit international renommierten Lehrenden und einem Abschlusskonzert am ASC geben wird. Wichtig ist mir, dass die Teilnehmer:innen die Möglichkeit bekommen werden, einander auch zuzuhören und sich im Rahmen dieses zehntätigen Meisterkurses künstlerisch auszutauschen.
Ein Projekt, das ich zum Abschluss noch erwähnen möchte, ist das „Virtual Reality Game“ zu Schönbergs Erwartung, welches das Staatstheater Augsburg entwickelt hat und das am ASC am 13. Februar seine Weltpremiere feiern wird. Es handelt sich um ein 3D-Videospiel, bei dem man Aufgaben lösen muss, damit die Musik bzw. die Handlung weitergeht. Zur Premiere werden hier bei uns mehrere Computer-Stationen aufgebaut, an denen das Publikum im Rahmen der Präsentation alle Funktionen des Spiels ausprobieren kann. Es wird für uns alle sehr spannend sein, wie man Schönbergs Musik in diesem speziellen „Setting“ wahrnimmt und das Werk eben nicht auf der Bühne oder im Konzertsaal erlebt. Ich halte das für eine wirkliche Innovation und bin überzeugt, dass Schönberg, würde er heute leben, diesen technischen Möglichkeiten gegenüber sehr aufgeschlossen wäre und wahrscheinlich auch der Erste gewesen wäre, der dieses Angebot für seine Musik eingesetzt hätte.