Good bye, Philip Roth

Mit seinem großen Werk von über 30 Romanen, Geschichten und Essays bleibt Philip Roth ein Gigant der amerikanisch-jüdischen Literatur. Am 22. Mai ist er 85-jährig in Manhattan verstorben.

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© Richard Drew/picturedesk.com

Das Alter ist kein Kampf; das Alter ist ein Massaker“, konstatiert er im Roman Jedermann, in dem er Krankheit und Tod, geistigen und körperlichen Verfall gnadenlos schildert.

Philip Roth schreibt immer über Philip Roth, so lautet ein oft gehörtes Kritikerurteil, das Roth früher gern bekämpfte. Die Versuchung, hinter seinen verschiedenen literarischen Verkleidungen, Verwandlungen und Masken den Autor zu entdecken, war allerdings nie ganz unbegründet. Schließlich war sein langjähriges Alter Ego Nathan Zuckerman ebenso ein amerikanisch-jüdischer Schriftsteller, eine Identität, die Roth prägte wie keine andere, eine Identität, an der er sich in nahezu allen seinen Büchern mit Humor, Sarkasmus, Selbstironie, Weisheit und schließlich Melancholie bravourös abarbeitete. Die männliche Erotik, Frauen, das Amerika des 20. Jahrhunderts und „writing about Jews“ sind seine Lebensthemen, bis er in seinen späten Büchern bei den – auch – Prostataproblemen eines alten Mannes landet.

Skandalautor. Mit Portnoys Beschwerden, dem obszönen Monolog eines heranwachsenden jüdischen Jungen, betrat Philip Roth 1969 als Skandalautor die literarische Weltbühne, nachdem er bereits 1958 mit Goodbye, Columbus ein erfolgreiches Heimspiel als „Jewish-American Writer“ abgeliefert hatte. Beide trugen ihm totale Aufmerksamkeit und empörte Kritik ein – als Nestbeschmutzer und jüdischer Selbsthasser, denn sein Herkunftsmilieu, den eher kleinbürgerlichen jüdischen Mittelstand in Newark, leuchtete er schonungslos und mit unerhörter Lust an der Provokation aus.

»Ein Jude ist tot. Als wäre der Tod nicht die Konsequenz des Lebens, sondern die Konsequenz eines Lebens als Jude.«
Philip Roth

Seine Erfahrung, dass Juden damals noch keineswegs gleichberechtigt am amerikanischen Traum teilnehmen konnten, formte sein Amerikabild und schließlich auch sein lebenslanges Interesse an Israel. Schon in den frühen 60er-Jahren diskutierte er mit israelischen Intellektuellen und suchte David Ben-Gurion auf. Und in Operation Shylock treibt er als gleichzeitig fiktiver Philip Roth, angeblicher Mossad-Agent und Beobachter beim Prozess gegen den NS-Täter Ivan Demjanjuk, wiederum ein grandioses doppelbödiges Verwirrspiel.

Saul Bellow, einer der größten jüdisch-amerikanischen Schriftsteller, war sein literarischer Ziehvater, Kafka verehrte er und pilgerte auf dessen Spuren des Öfteren nach Prag.

In seinen Meisterwerken Amerikanisches Idyll und Der menschliche Makel erreichte Roth rund um die Jahrtausendwende seinen literarischen Zenit. Es sind Romane, für die man dankbar sein muss, denn sie vermitteln auf wunderbare Weise unvergessliche Einsichten in die Conditio humana. Die glasklare und wohl auch schmerzliche Erkenntnis, eben diesen Zenit überschritten zu haben, führte ihn nach seinem letzten Buch Nemesis 2012 zum Entschluss, den „Kampf mit dem Schreiben“ endgültig aufzugeben.

Ausgezeichnet mit allen großen Preisen der literarischen Welt blieb ihm nur der Nobelpreis verwehrt, womit sich die gerade zerfallene schwedische Akademie selbst disqualifizierte.

Der zweimal geschiedene Philip Roth hat keine Erben, keinen Sohn, der Kaddisch sagt, wie er es im Roman Der menschliche Makel hören lässt: „Yisgadal, v’yiskadash …
Die meisten Menschen in Amerika, unter anderem ich […], wissen nicht, was diese Worte bedeuten, doch beinahe jeder erkennt die ernüchternde Botschaft, die sie transportieren: Ein Jude ist tot. Als wäre der Tod nicht die Konsequenz des Lebens, sondern die Konsequenz eines Lebens als Jude.“ 

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