Twitter, also eigentlich vormals Twitter und nunmehr ein Halbwertszeitzerfall namens X, hat in den letzten Wochen neben den üblichen Verdächtigen – das allseits bekannte Hufeisen aus radikalen Rechten, radikalen Linken, garniert mit verirrten Expolitikerinnen und Expolitikern, Verhaltensoriginellen und Moreof-the-same-Hassenden, ernannten und selbsternannten Opfern und dann jenen, die noch tapfer versuchen, eine Art Gegenwelt zu all dem Irrsinn zu bilden – auch eine neue Metaebene bezogen. Jewish Twitter wird aktuell von Gegnern und Fans von Deborah Feldman befeuert; Feldman hingegen positioniert sich derzeit fleißig als Jewish Inquisition, und bei der Häufigkeit und der Intensität, mit der sie dies tut, muss man schon ein wenig an Monty Python denken. Und daran, dass ihre Abnabelung, die sie in ihrem Buch Unorthodox beschreibt, im Großen und Ganzen ziemlich misslungen ist, wofür nun alle anderen Juden, die ohne ihre Erlaubnis jüdisch sein wollen, quasi den Preis zahlen müssen. Hier und heute wird erbittert darum gestritten, wer denn jetzt die wahreren und die jüdischeren Juden sind, als gäbe es kein Morgen. Es fliegen die Hackln und akribisch recherchierte, öffentlich preisgegebene Biografien missliebiger Menschen. Es dreschen sich linke Juden und rechte Juden mit einer Verve den Schädel ein, wie es einfachen Antisemiten nie gelungen wäre.
Da hatte schon Meister Yoda Recht:
Die dunkle Seite der Macht lauert hier besonders.
Es ist leider – und gerade in Zeiten wie diesen – sehr zermürbend, ein wenig lächerlich und ziemlich traurig, abseits von Monty Python. Ich bin quasi ungefragt ebenfalls ins Geschehen gezogen worden, denn auch ich bin eine durch Feldman Entjudete, die Amerikanerin hat kurzerhand sämtliche Juden aus der Ex-UdSSR zu Fake Jews erklärt, die es nur – man kann es eigentlich kaum glauben, dass sie selbst diese klassischen Stereotype bedient! – auf Macht und Geld abgesehen hätten. Kurzerhand so zu einer Art Wiener Weisen von Zion erklärt, kann ich nicht abstreiten, dass ein gewisser Zorn in mir hochstieg, ein Zorn übrigens, den ich mit dem ebenso von Feldman ins Judenlose gestanzten Virtuosen Igor Levit teile. Von diesem Zorn getrieben, machte ich also das ehemalige Twitter, nun X auf, was karmatechnisch zugegebenerweise immer die schlechteste Variante des X-Einstiegs darstellt. Da hatte schon Meister Yoda Recht: Die dunkle Seite der Macht lauert hier besonders nahe. Auf der Suche nach meinem Jüdischsein führte aber definitiv kein Weg an dem X-Orkus vorbei. Ich habe es also dennoch gewagt und mich in den gefährlichen Maelstrom gestürzt, um mich ein wenig einzulesen – kurz, bündig und grandios, eigentlich in totaler Perfektion zusammengefasst hat diese ganze Angelegenheit jedenfalls schon Autor Ruben Gerczikow, sodass mir leider nichts mehr übrigbleibt, als ihn zu zitieren: „Wenn Menschen das Stereotyp von klugen Jüdinnen*Juden haben, dann zeige ich ihnen einfach Jewish Twitter der letzten Tage.“
Man möchte trotzdem hineinrufen: Mögen es nicht die letzten Tage sein! Bitte.