Manchmal glaubt man zu wissen, was geschehen wird, aber wenn es dann geschieht, will man es nicht wahrhaben. Am Samstag, dem 7. Oktober, weckt mich mein Mann mit den Worten: „Erschrick’ nicht, aber es ist Krieg. Sei bereit, in den Bunker zu gehen, wenn Alarm ist.“ Ich schließe die Augen und denke: „Ich schlafe einfach weiter“, aber die Information sickert langsam ein. Verschlafen drehe ich das Radio an, um Nachrichten zu hören. Der Nachrichtensprecher hat keine Chance, auch nur einen Satz fertigzusprechen, nach wenigen Worten wird er jedes Mal von den Warnungen unterbrochen: „Alarm in Süd-Tel-Aviv, Raketen auf Holon, auf Giv’atajim, Bat Jam, Ramat Gan, Aschkelon, Be’er Scheva …“ Die Liste enthält auch eine Reihe von Siedlungen im Süden des Landes und ist schlicht endlos. Mittlerweile sitze ich kerzengerade im Bett und habe verstanden, dass meine Kinder ja in Tel Aviv und Jaffo und daher schon seit sechs Uhr früh immer wieder in den Sicherheitsräumen sind. Und dann höre ich auch das Krachen von Einschlägen oder Anti-Missile-Raketen, das mich schon vorher, noch im Halbschlaf, begleitet hat.

Damit beginnt die Kriegsroutine, die ich leider schon gut kenne: Ich versuche, Platz in unserem Schutzraum zu schaffen, wo sich immer viel Gerümpel ansammelt, und frage nach jedem Alarm bei unseren Töchtern nach, ob alles ok ist. Die Raketenangriffe dauern dieses Mal drei Stunden, und die Sekunden zwischen meinem Nachfragen und der Antwort scheinen jedes Mal wie eine Ewigkeit. Tausende Raketen werden in diesen ersten Stunden auf Israel abgefeuert. Das Abwehrsystem „Iron Dome“ ist überlastet, und es gibt auch einige Einschläge. Und erst später verstehe ich, wie läppisch meine Sorge sind im Vergleich zu dem Albtraum, der zur selben Zeit in den Kibbuzim und Moshavot an der Grenze zu Gaza abläuft.

„Hunderte wissen noch
immer nicht, wo ihre Angehörigen sind
– versteckt, verschleppt, verwundet oder tot.“

 

Mindestens zwölf der landwirtschaftlichen Siedlungen sind von Hamas-Terroristen besetzt worden, die dort durch die Straßen laufen oder fahren, Menschen abschlachten und versuchen, in die Häuser einzudringen. Sie haben den Sicherheitszaun durchbrochen und sind teils mit Fahrzeugen, teils auf Motorrädern auf israelisches Gebiet eingedrungen. Die Sicherheitselektronik scheint ausgeschaltet worden zu sein, die Soldaten der Grenzposten werden überwältigt. Zurzeit ist noch immer unklar, wie das alles vorstatten gehen konnte. Anscheinend waren es über tausend HamasAktivisten, die auf diese Weise und teilweise auch mit Paraglidern den Sicherheitszaun zu den Grenzsiedlungen überquerten. Versuche, über das Meer nach Israel zu gelangen, scheinen von der israelischen Marine verhindert worden zu sein.

Die Fernsehnachrichten sind unerträglich: Mütter, die mit kleinen Kindern in den Sicherheitsräumen verschanzt sind, hören vor der Tür die Hamas-Terroristen, die in ihr Haus eindringen, und flehen um Hilfe, dann schnappt das Telefon ab. Kinder rufen an und müssen ins Telefon flüstern, um nicht von den Terroristen entdeckt zu werden. Der Nachrichtensprecher wetzt unruhig auf seinem Sessel hin und her und scheint mit den Tränen zu kämpfen.

DAS GANZE AUSMASS Erst am nächsten Tag beginnen wir das Ausmaß der Tragödien, die dort abliefen, zu verstehen: Eltern suchen verzweifelt nach ihren Kindern, Kinder nach ihren Eltern. Ganze Familien wurden einfach ausgelöscht, zwei Babys waren über 14 Stunden allein im Bunker eingeschlossen, ihre Eltern ermordet. Die Hamas massakriert Babys, Kinder, Frauen, Männer, alte Menschen oder nimmt sie als Geiseln, misshandelt sie und paradiert mit ihnen auf den Straßen Gazas. Man hört von Familienvätern, die allein gegen die Hamas kämpften. Das Eintreffen der Armee wurde verzögert, weil alle Funkverbindungen unterbrochen wurden. Eine Mutter mit drei Kindern erzählt, dass sie nach 30 Stunden ohne Strom im Maamad befreit wurden. Sie forderte von ihren Kindern, die Augen fest zu schließen, während sie an dem vielen Blut und den verstümmelten Leichen vorbei zum Armeeauto gingen. Hunderte junge Menschen, die die Nacht davor auf einer großen Party in einer Siedlung im Süden tanzten, laufen in den Morgenstunden des 7. Oktober um ihr Leben, verstecken sich in Sträuchern und auf Bäumen. Sie werden stundenlang gejagt, erschossen und/oder an den Füßen aus ihren Verstecken gezerrt und verschleppt. „Es ist ein Wunder, dass wir aus dieser Hölle lebend herausgekommen sind“, sagt eine traumatisierte Überlebende. 250 Tote wurden dort bisher gefunden. Niemand weiß genau, wie viele der jungen Party-Gäste als Geiseln genommen wurden.

Hunderte wissen noch immer nicht, wo ihre Angehörigen sind – versteckt, verschleppt, verwundet oder tot. Drei junge Mädchen erzählen in den Nachrichten, wie sie sich versteckt und neun Stunden unter einem Berg von Leichen überlebt haben, bis der Vater der einen sie abholte.

Der nächste Morgen beginnt mit den Listen der Gefallenen und endet mit noch längeren Namenslisten von getöteten Soldaten und Polizisten, ermordeten Zivilisten. Man weiß bisher von über 900 Toten, über 2.600 Verwundeten und etwa 150 Verschleppten. Die Krankenhäuser im Süden sind überfüllt. Es herrscht ein Gefühl von Chaos. Angehörige von Vermissten durchsuchen Spitäler und Listen. Übermüdete Eltern mit aschgrauen Gesichtern geben eine Pressekonferenz und fordern Information über ihre verschleppten Babys, Kleinkinder oder Jugendliche, über die sie nach 36 Stunden noch immer nichts wissen. Sie bezeichnen die Geschehnisse als Kriegsverbrechen. Einige können ihre Liebsten auf den haarsträubenden Videos der Hamas erkennen. Die meisten Siedlungen an der Grenze zu Gaza sind verwüstet und verbrannt. Die Geschichten sind unerträglich, und ich will sie hier nicht wiederholen. „Es ist schwer, das alles zu erleben, wenn man erst neun ist“, sagt ein Bub, der überlebt hat, im Radio. ist“, sagt ein Bub, der überlebt hat, im Radio.

„Ein Gefühl von verlorener Sicherheit
wird immer wieder verbalisiert. Und
die Frage: „Wo ist die Regierung?“

 

VERLORENE SICHERHEIT, GEMEINSCHAFTLICHE HILFE An einigen Punkten gibt es noch Kämpfe mit Hamas-Terroristen, einige von ihnen sind bis in das Städtchen Sderot gekommen, und es ist nicht klar, ob und wo sie sich noch verstecken. Ein Gefühl von verlorener Sicherheit wird immer wieder verbalisiert. Und die Frage: „Wo ist die Regierung? Warum bekommen wir keine Informationen?“ Dann kommen auch die vielen Geschichten von Helden auf, die auf eigene Faust in den Süden gefahren sind, um ihre Familie oder einfach nur die Menschen vor Ort zu retten. Ein über 60-jähriger Ex-General rettet auf eigene Faust seine Tochter und Enkelkinder und erschießt am Weg fünf der Terroristen.

Die Gruppen, die vorher über WhatsApp zu den Demos aufgerufen haben, organisieren psychologische Hilfe, Spenden, Blutkonserven, Shelter für aus dem Süden geflüchtete Familien, Babysitter für die Kinder der überforderten Ärzte, Nahrungsmittel und vieles mehr. Man spricht von der Bildung einer Einheitsregierung. Menschen im ganzen Land stehen um neun Uhr abends auf den Terrassen oder vor den Häusern und singen gemeinsam die HaTikwa-Hymne. Hunderte junge Menschen kommen aus dem Ausland zurück, um zu kämpfen.

WÄHREND ICH SCHREIBE, FALLEN WIEDER RAKETEN „It takes a nightmare to unite the nation.“ – Ein Albtraum war nötig, um die Nation zu einen, lautet eine Überschrift in der Tageszeitung Jerusalem Post am Tag nach diesem horrenden Überraschungsangriff der Hamas – traurig und wahr.

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