Das Erbe des David Josef Grün

Ben-Gurions Bedeutung ist unumstritten. Doch das, was sein Erbe für heutige Generationen bedeutet, variiert zunehmend.

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Es ist nicht sicher, ob David Ben-Gurion den Bau eines Luxushotels auf dem Gelände seines Kibbuzes für gut geheißen hätte. Aber da steht es nun stolz, am Eingang von Sde Boker – ein sandfarbener Bau im orientalischen Stil, gut passend zur Wüstenlandschaft. Die Gäste können im Schwimmbad chillen, danach wunderbar essen, lokalen Wein probieren und mit einem Experten zur Nachtsafari aufbrechen. Dabei geht es mit dem Jeep durch den Negev, auf den Spuren von Füchsen, Hasen, Stachelschweinen, Skorpionen und Spinnen. Letztere lassen sich mit Hilfe von Ultraviolettlampen gut sichtbar machen. Sie bauen sich im Sand winzige Höhlen, samt perfekt gezimmertem Deckel, der sich auf und zuklappen lässt. Eine ganz eigene Welt liegt da verborgen.

Auf der Suche nach Lebewesen, die besonders in der Dunkelheit aktiv sind, geht es auch durch Felder, auf denen massenweise Kale angebaut wird. Schon lange gibt es keinen Markt mehr in Tel Aviv ohne dieses Superfood. Aber es war der Gegenentwurf zur Großstadt, den unser junger Guide hier gesucht hat, als er vor einem Jahr aus Haifa hierher gezogen ist. Sein Wissen stammt aus der Zusammenarbeit mit einem Zoologen, viel mehr aber noch durch genaue Beobachtung. Er kennt die Gegend wie seine Westentasche.

Diese Oase mag sich zwar weit ab von allem befinden,
sie symbolisiert aber trotzdem das Herz des Zionismus.

 

Junge Leute, die in den Süden gezogen sind, um ihre Lebenserfahrung zu erweitern, gibt es noch mehr. Das Hotelmanagement hat einen Deal mit dem Kibbuz geschlossen. Soldaten, die nach dem Pflichtdienst entlassen wurden, können sich hier in einem mehrmonatigen Programm in der Branche ausbilden lassen. Die beiden jungen Frauen, die gerade an der Bar bedienen, gehören dazu. Sie wohnen während der Zeit im Kibbuz.

Diese Oase mag sich zwar weit ab von allem befinden, sie symbolisiert aber trotzdem das Herz des Zionismus. Denn direkt neben der Hoteleinfahrt steht David Ben-Gurions berühmte „Hütte“. Israelische und ausländische Besucher kommen hierher, um sich anzusehen, wo der damals frisch zurückgetretene Ministerpräsident ab 1953 mit seiner Frau Paula bis zu seinem Tod gelebt hat (bis auf eine längere Unterbrechung, als er in die Politik zurückgerufen wurde). Der schlichte Containerbau ist damals eigens für das Paar errichtet worden. Alles ist genauso geblieben, wie Ben-Gurion es verlassen hatte, als er 1973 verstarb. Dies war sein Wunsch, so stand es in seinem Testament.

Seine Aufnahme in den Kibbuz im Jahr 1952 war damals keine Selbstverständlichkeit. In einem Brief hatte Ben-Gurion die Mitglieder schriftlich darum gebeten. Ihn hatte der Pioniergeist der Gründer fasziniert, als er bei einem Besuch in der Gegend deren Anfangsbemühungen sah. Niemals habe er „jemand anderen, die Eigenschaften eines anderen oder das Eigentum eines anderen beneidet“, hieß es in seinem Brief. „Aber als ich Sde Boker besuchte, konnte ich nicht anders, als eifersüchtig und neidisch zu sein. Warum sollte ich es nicht verdient haben, Teil einer solchen Gemeinschaft zu sein?“

Seine Stimme ertönt seit Monaten bei den samstäglichen Großdemonstrationen gegen die Justizreform:
Man hört, wie er die Unabhängigkeitserklärung verliest.

 

 

Im Kibbuz wurde ausführlich über diese Bitte diskutiert: Ben-Gurions Prominenz, abgewogen gegenüber der Tatsache, dass er bereits ein älterer Mann war. Die Abstimmung ging knapp aus, eine Mehrheit mit nur einer Stimme war dafür. Am Ende durften er und seine Frau dazustoßen.

Die bescheidene „Hütte“ mit Arbeitsraum, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche ist heute ein Museum. Alles ist tatsächlich so geblieben wie damals, einschließlich der Hausschuhe und des Geschirrs in der Küche. Ringsherum aber hat sich der Kibbuz erweitert, heute lebt er von einer Klebebandfabrik, Tourismus, Weinanbau. Es gibt ein Café namens Paula, in dem auch Olivenöl verkauft wird, und eine Hundepension. Durchreisende nach Eilat lassen gerne im Urlaub ihre Haustiere hier. Auf dem Weg zur „Hütte“ gibt es neuere Bauten. Sie beherbergen das Archiv BenGurions. Dort wird auch in Filmen seine persönliche Geschichte erzählt, die unweigerlich mit der Geschichte des Staates verbunden ist. Schüler- und Soldatengruppen kommen oft hierher.

Gerade wartet eine Gruppe von etwa zwanzig Rekrutinnen darauf, dass die Videoshow beginnt, Sie beginnt damit, wie ein gewisser David Grün sich 1906 in Polen im Alter von zwanzig Jahren aufmacht, nach Eretz Israel einzuwandern; vier Jahre später veröffentlicht der künftige Staatsgründer seinen ersten Artikel in HaAchdut, der Zeitung der zionistischen Arbeiterbewegung, unter seinem neuen Namen: Ben-Gurion.

Seine Bedeutung ist unumstritten, was sein Erbe für heute bedeutet, schon weniger. In Tel Aviv jedenfalls war und ist Ben-Gurion gerade präsenter denn je. Da gibt es seine einstige Wohnung, heute ebenfalls ein Museum. Nicht weit davon, am Frishman Beach, steht die bunte Skulptur, die David Ben-Gurion bei seinem legendären Kopfstand zeigt. Seine Stimme ertönt seit Monaten bei den samstäglichen Großdemonstrationen gegen die Justizreform: Man hört, wie er die Unabhängigkeitserklärung verliest. Dabei laufen seine Worte in großen Lettern über eine Hausfassade zu Beginn der Kaplan-Straße. Und neuerdings sieht man in der Menge neben den unzähligen israelischen Flaggen immer öfters auch einen selbstgebastelten hellen Wuschelkopf.

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