Wer darf zur Party, wer nicht?

Rund um die Auswahl des Liedes October Rain, interpretiert von der 20-jährigen israelischen Sängerin Eden Golan, hat sich ein Streit entwickelt, der die Frage, was Politik und Kunst verbindet, weit aufrollt.

851

Drei Monate lief die Talentshow Hakochav Haba (Der nächste Star). So lange dauerte es, bis Jury und Publikum gemeinsam entschieden hatten, wer das Land beim Eurovision Contest in Malmö vertreten soll. Die Sendung hatte mit Verzögerung begonnen, denn es stellte sich die Frage, ob man das überhaupt darf: ein Unterhaltungsprogramm in solchen Zeiten? Am Ende entschied man sich dann doch dafür.

Hakochav Haba war dann einer der raren Lichtblicke für die Zuschauer, die sonst im Fernsehen vor allem mit Terror, Krieg und Trauer in Endlosschleife konfrontiert sind. Aber selbst da drang die bittere Realität von außen hinein: Einer der Teilnehmer, Shaul Greenglick, hatte auf der Fernsehbühne das Lied Blind Bat von Hanan Ben Ari gesungen. Dann zog er sich aus dem Wettbewerb zurück, um in die Uniform zu schlüpfen. Ende Dezember fiel er – als Soldat der Reserve – bei den Kämpfen in Gaza.

Im Finale einigte man sich schließlich auf die 20-jährige gebürtige Israelin Eden Golan. In Israel war sie eine Unbekannte, nicht in Russland, wo sie einige Jahre mit ihren Eltern gelebt hat. Dort kannte man sie als Kinderstar, die unter anderem bei The Voice Kids aufgetreten war. Dass die Wahl auf sie fiel, war unumstritten.

Über die Frage, was Israel jetzt tun sollte, streiten sich die Geister. Manche plädieren dafür, dem Song Contest einfach fernzubleiben. Nicht als Belohnung für die Hamas, sondern weil das Politische unvermeidlich geworden sei.

Jetzt kann es sein, dass sie vielleicht gar nicht nach Malmö fährt. Denn es gibt Probleme mit dem Lied, das sie singen sollte. Es heißt October Rain, und schon der Titel erinnert zu sehr an das jüngste Geschehen. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) als Organisator hält den Text deshalb nicht für kompatibel mit den Richtlinien.

Der weltweit größte Live-Musikwettbewerb gibt sich als unpolitische Veranstaltung. Es gelte deshalb sicherzustellen, dass er „in keinem Fall politisiert und oder instrumentalisiert“ werde. Israels öffentliche Sendeanstalt Kan, die Golan ins Rennen schicken wollte, befindet sich „im Dialog“ mit der EBU. Offen ist, ob es doch noch zu einem Umschreiben des Textes kommt oder ein anderen Song eingereicht wird. Zeit dafür wäre noch bis zum 11. März.

Inzwischen haben sich Präsident Herzog und Kulturminister Miki Zohar in der Sache gemeldet. Letzterer war allein schon empört über das Prüfungsverfahren. October Rain sei nicht politisch, postete er auf X, sondern ein „bewegendes Lied, das die Gefühle der Menschen und des Landes in diesen Tagen ausdrückt“. Er hoffe, dass die EBU weiterhin „professionell und neutral“ handle und „die Kunst nicht von Politik beeinflussen“ lasse. Damit spielt er auf die Boykottaufrufe in mehreren Ländern gegen eine Teilnahme Israels an.

Gleich nach dem 7. Oktober befand sich Israel auf Platz 1, ohne dass man gewusst hätte, wer überhaupt singen würde oder was. Nun ist es auf Platz 13 abgerutscht.

Besonders laut sind sie in Skandinavien. Künstler und Politiker fordern seit Wochen das Verbot von Israels Teilnahme wegen angeblicher Kriegsverbrechen im Gazakrieg. In Schweden schloss sich ihnen auch die Mutter der Klimaaktivistin Greta Thunberg an, die 2009 selbst einmal an einem ESC teilgenommen hatte.

Island droht sogar mit Rückzug vom Song Contest, sollte Israel teilnehmen. Darüber will man aber erst entscheiden, wenn die Kandidatin oder der Kandidat feststeht. Als Favorit gilt der aus dem Ostteil Jerusalems stammende Palästinenser Bashar Murad. Der Popstar war schon einmal dabei, 2019, als der Wettbewerb in Tel Aviv ausgetragen wurde – als Teil des Trios Hatari. Während dem Finale rollten sie palästinensische Flaggen aus. Auch das verstieß gegen die Regeln.

Andere Künstler sprechen sich für Israel aus. 400 Prominente aus der Unterhaltungsbranche riefen dazu auf, die Musik als einigende Kraft zu sehen. Künstler sollten nicht diskriminiert werden wegen dem, was sie sind, wen sie lieben oder wo sie geboren sind.

Wie sehr der diesjährige Song Contest aber von den aktuellen Ereignissen beeinflusst ist, zeigt die Wetten der Buchmacher. Gleich nach dem 7. Oktober befand sich Israel auf Platz 1, ohne dass man gewusst hätte, wer überhaupt singen würde oder was. Nun ist es auf Platz 13 abgerutscht. Und auch vor zwei Jahren war es wohl nicht nur der tolle Song, der ausgerechnet die Ukraine hat gewinnen lassen, sondern die Solidarität Europas mit dem von Russland überfallenen Land. Noel Curran, der Direktor der EBU, erklärte das der israelischen Zeitung Haaretz wie folgt: Die vielen Punkte für die Ukraine seien keine politische Deklaration gewesen, sondern ein Ausdruck menschlicher Emotion angesichts dessen, was in der Welt passiert. Ein spezifisches Ereignis könne beim Song Contest im Hintergrund sein, das sei sogar unvermeidlich, ohne dass dies politisch wäre.

Im alten Europa ist der ESC für viele nicht mehr als eine unterhaltende Lachnummer, aber auch eine Riesenparty der Diversität. Ländern, die neu in die EU gestoßen sind oder eher zur geografischen Peripherie gehören, ist der Anlass aber wichtig. Newcomer in der EU oder Staaten, die aufgenommen werden möchten, nutzen die Bühne, um sich zu präsentieren. Die Abstimmung ist ein Indikator für Akzeptanz und Sympathie in Europa. „Für diese Außenseiter gilt: Wir zeigen es ihnen, wie gut wir singen können“, sagt der israelische Soziologe Chen Ozeri, der über den Songwettbewerb forscht.

Israel zählt zu jenen, die auch gerne dazugehören würden. Hier weiß jedes Kind, was „Douze Points“ bedeutet. Seit 1973 nimmt das Land am Contest teil, vier Mal hat es ihn gewonnen, zweimal war es Gastgeber. Die Zuschauerraten waren immer hoch, manchmal mehr als fünfzig Prozent.

Über diesen Hype haben sich auch Israelis selbst schon früh lustig gemacht. Der erste Sieg 1979 – mit dem Song Halleluja – traf mit dem bahnbrechenden Friedensabkommen mit Ägypten zusammen. Die Stimmung war in jeder Hinsicht euphorisch. Der Rundfunk erlaubte sich einen Aprilscherz und erklärte, dass von nun an Halleluja die Nationalhymne Hatikwa ersetzen würde. Man sei gerade dabei, das Lied ins Arabische zu übersetzen. So würde Ägypten den Regierungschef Menachem Begin bei seinem historischen Besuch ein paar Tage später angemessen empfangen können. Es hagelte daraufhin empörte Schreiben an das Erziehungsministerium. Keiner hatte den Wahrheitsgehalt der Meldung in Zweifel gezogen.

In der Geschichte des ESC wurden schon einige Teilnehmer wegen politischer Inhalte ausgeschlossen. Auch wenn die Organisatoren nicht sehr strikt mit ihren eigenen Regeln umgehen. 2005 wurde etwa ein Song der Ukraine verboten, der auf die Orange Revolution Bezug nahm. 2016 wurde indes ein Beitrag aus demselben Land zugelassen, besungen wurde die Deportation der Krimtartaren durch Stalin. Das Lied gewann den Wettbewerb.

Über die Frage, was Israel jetzt tun sollte, streiten sich die Geister. Manche plädieren dafür, dem Song Contest einfach fernzubleiben. Nicht als Belohnung für die Hamas, sondern weil das Politische unvermeidlich geworden sei. Und auch, um die junge Künstlerin Golan zu schützen, da der Trubel rund um diesen Musikkarneval schon Wochen davor beginnt. „In Malmö, wo viele Muslime leben, gibt es im besten Fall palästinensische Flaggen, im schlimmsten Fall stört man die Show.“ Sicher ist nur, dass es im Augenblick dringendere und schwerwiegendere Probleme gibt.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here