Die Kosten des Krieges

Verluste gibt es nicht nur an Menschenleben, die israelische Wirtschaft leidet an zahlreichen Stellen erheblich.

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© MENAHEM KAHANA / AFP / picturedesk.com

Eine Milliarde Schekel pro Tag. Das sind immerhin 250 Millionen Euro. So viel kostet der Krieg Israel laut Moody’s. Die internationale Ratingagentur stützt sich dabei auf Schätzungen des israelischen Finanzministeriums. „Die Schwere des Schadens für die israelische Wirtschaft hängt zu einem erheblichen Teil davon ab, wie lange der militärische Konflikt andauert, aber auch von den längerfristigen Aussichten für Israels interne Sicherheitslage“, schreibt Kathrin Muehlbronner, Senior Vice President von Moody’s in London, in einer Studie. „Die Unsicherheiten bleiben sehr hoch“, so Muehlbronner, „und wir denken, dass die Auswirkungen auf die Wirtschaft ernsthafter sein dürften als bei früheren Episoden von militärischen Konflikten und Gewalt“.

Auch die Israelische Nationalbank Bank of Israel (BOI) hat deshalb bereits ihre ökonomischen Prognosen gesenkt: von einem ursprünglich vorhergesagten Wachstum von drei Prozent für 2023 auf lediglich 2,3 Prozent. Für 2024 sehen ihre Experten ein Wachstum von 2,4 Prozent voraus. Aber auch sie wollen sich nicht wirklich festlegen, schreiben ebenfalls von „Unsicherheiten“.

Woher kommen diese aggregierten Zahlen? Die realwirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs lassen sich in den unterschiedlichsten Segmenten der israelischen Wirtschaft aufzeigen:

❱ Da sind etwa die Regionen nahe am Gazastreifen und an der Grenze zum Libanon. Dort wurden Ortschaften, Kibbuzim, landwirtschaftliche Betriebe wie Industrieunternehmen evakuiert, mehr als 200.000 Menschen zeitweise umgesiedelt. Die ökonomischen Aktivitäten in diesen Grenzgebieten gingen praktisch gegen Null.

❱ Der Tourismus, ein wichtiger Devisenbringer für Israels Volkswirtschaft, ist ebenfalls fast völlig zum Stillstand gekommen. Ausländer reisen derzeit nicht ein. Zahlreiche Airlines wie etwa die Lufthansa-Gruppe haben die Destination Tel Aviv zeitweise von ihren Flugplänen genommen. Hotels im Zentrum von Israel oder in der Fremdenverkehrshochburg Eilat dienen kurzzeitig als Ausweichquartiere für evakuierte Israelis.

❱ Ähnliches gilt für den Bau. Zeitungen berichten von zahlreichen verlassenen Baustellen quer durchs Land, darunter sind auch Prestigeprojekte wie neue Luxushotels.

❱ Aus Sicherheitsgründen wurde sogar eines der großen Gasfelder im Mittelmeer stillgelegt, es soll kein Ziel für Raketen der Hisbollah abgeben.

❱In der Landwirtschaft fehlen Tausende von Hilfskräften und Erntehelfern. Das waren bisher teilweise Palästinenser aus der Westbank und – zum geringeren Teil – aus Gaza, die momentan nicht einreisen dürfen. Eine andere große Gruppe von landwirtschaftlichen Beschäftigten hatte man in den letzten Jahren in Asien rekrutiert, etwa in Thailand. Nachdem eine Anzahl von ihnen beim Massaker vom 7. Oktober getötet oder nach Gaza verschleppt worden war, sind viele von ihnen in ihre Heimat zurückgekehrt oder wollen nur mehr im israelischen Kernland in gebührender Entfernung von den Grenzen im Süden oder Norden arbeiten.

❱Und schließlich fehlen quer durch sämtliche Wirtschaftssektoren jene 360.000 Reservistinnen und Reservisten, die nach Gaza, in den Norden oder in logistische Schaltstellen des Militärs geholt wurden. Da es sich bei ihnen um jüngere Jahrgänge handelt, sind auch jüngere Branchen überproportional betroffen, etwa die Tech- oder Start-up-Szene. Im religiösen Sektor, wo nur wenige Militärdienst leisten, halten sich die Auswirkungen in Grenzen.

Resilienz ist das Zauberwort. Dabei hat der Krieg die stark exportorientierte Hightech-Branche nicht überraschend getroffen. Diese hatte bereits 2022 und im ersten Halbjahr 2023 Rückschläge hinnehmen müssen, neue Investitionen waren schon deutlich zurückgegangen, auch die Umsätze schwächelten. Das war teils der internationalen Konjunktur geschuldet, teils der innenpolitischen Auseinandersetzung um eine von der Regierung Benjamin Netanjahus geplante Neuordnung des Justizsystems. Die Demonstrationen dagegen und für längerfristige Rechtssicherheit spiegelten sich auch bereits in Verlagerungen von Firmen oder Aktivitäten in Richtung Kalifornien. Von einem drohenden Brain Drain war die Rede.

Mit Kriegsbeginn stellte sich die Protestbewegung
schlagartig um zu einer mächtigen Bürgerhilfsorganisation.

 

Mit Kriegsbeginn stellte sich die Protestbewegung schlagartig um zu einer mächtigen Bürgerhilfsorganisation. Man sammelt Geld und Sachspenden für Vertriebene oder kurzzeitig Umgesiedelte, versorgt diese mit Lebensmitteln, gründete spontan Kindergärten oder neue Schulklassen.

Ähnliches gilt in der Landwirtschaft. Die Nöte der Bauern, denen das Gemüse in den Feldern zu verrotten drohte, wurden ebenfalls von Freiwilligen gehört. Ob Pensionisten oder Studentinnen, sie kamen zu Tausenden, um die fehlenden Erntearbeiter wenigstens teilweise zu ersetzen. Eine herausragende Rolle spielt dabei Leket Israel, die National Food Bank, die mit 130 Beschäftigten und mehr als 50.000 freiwilligen Mitarbeitern normalerweise Lebensmittel für Arme sammelt, etwa Rückläufer in Supermärkten, und an diese verteilt. Jetzt ernten ihre Aktivistinnen in den unterschiedlichsten landwirtschaftlichen Gütern Avocados, Paradeiser oder Obst.

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Die Resilienz, also das Durchhaltevermögen der israelischen Wirtschaft gilt international als sehr hoch. Schon frühere Konflikte, seien es der Golfkrieg mit seinen Bedrohungen durch Scud-Raketen Saddam Husseins oder die letzten – kürzeren – Gazakriege, stellten keine langfristigen Einschränkungen für Israels Entwicklungsarbeiten, Produktionsbetriebe oder Exporte dar. Es gab kaum umfassende Unterbrechungen, die Erholungen nach den kriegsinduzierten Schwächephasen erfolgten meist unmittelbar. Davon geht die Mehrzahl der internationalen Ökonomen auch in diesem Fall aus.

So konnte Israel etwa seine Schuldenquote, die durch die Covid-Pandemie kurzzeitig auf 70 Prozent angestiegen war, inzwischen wieder auf komfortable 60 Prozent zurückführen. Das bietet erheblichen finanziellen Spielraum, auch wenn der Krieg insgesamt bis zu 150 oder 200 Milliarden Schekel kosten könnte (37,5 bis 50 Mrd. Euro). Die Nationalbank hat genügend Devisenreserven, um den Schekel zu stützen. Und überdies können die Israelis wohl mit einem großzügigen Hilfspaket der Amerikaner rechnen. Dieses war wegen einer Verknüpfung mit kontroversen Hilfsgeldern an die Ukraine bei Redaktionsschluss noch nicht vom Kongress beschlossen.

„Die jungen CEOs werden kreative Lösungen finden müssen“, so Elisa Brezis, Ökonomieprofessorin an der Bar-IlanUniversität, in einem Interview mit der Website Medialine. „Sie wissen, wie man unter Druck arbeitet, und sie werden die Schwierigkeiten lösen.“ Gleichzeitig kritisierte Brezis die Regierung, die zuletzt nicht gerade die kompetentesten Fachleute engagiert habe, sondern hauptsächlich Parteigänger mit überschaubarer Qualität.

Schließlich müssen auch die durch den Krieg nur zeitweilig zur Seite geschobenen erheblichen innenpolitischen Konflikte gelöst werden. Mit Vehemenz tauchten diese auch in den letzten Wochen auf, als die Forderungen laut wurden, jene Fördergelder, die Premier Netanjahu seinen rechten Koalitionspartnern für religiöse Schulen oder für den Siedlungsausbau zugestanden hatte, für den Krieg oder die Beseitigung seiner Folgen rückzuwidmen. Noch ist nicht klar, wie heftig Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich dabei ihre Interessen und die ihrer Klientel verteidigen werden. Immerhin 300 israelische Ökonominnen und Ökonomen riefen die beiden Rechtspolitiker in einem öffentlichen Brief auf, „zu Sinnen zu kommen“. Es müsse „einen fundamentalen Wechsel in den nationalen Prioritäten geben, eine massive Umlenkung von Fonds in Richtung Kriegsschäden, Opferhilfe und Wiederaufbau der Wirtschaft“.

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