Editorial

„Menschen, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind diejenigen, die es auch tun.“ Steve Jobs

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© yuliaff/123rf

Frühling ist Pessach. Und Pessach das Fest der Freiheit, des Auszugs aus Mizrajim. Mizrajim meint nicht nur Ägypten, sondern wörtlich übersetzt auch Grenzen oder Einschränkungen. Es ist nicht nur der physische Auszug aus der Sklaverei, den jede Jüdin und jeder Jude seit Jahrtausenden jährlich selbst erfährt. Es ist vor allem auch ein Symbol für das Bestreben, innere Grenzen zu überschreiten, die Dunkelheit des Winters zurückzulassen und in der wieder erblühten Natur in das Licht zu treten. Frei zu sein.
„Jeder hat das Recht auf [die] Freiheit der Person“, heißt es. Doch wir merken nicht immer, wie privilegiert wir sind, wie wenig dieses Grundrecht in großen Teilen der Welt zählt und wie unterschiedlich es in der Entfernung, aber auch in unserer nächsten Nähe definiert wird. Und wir merken vielleicht auch nicht, wie rasch die Freiheit des Menschen ökonomischen und (geo)politischen Interessen geopfert wird. Nicht nur die dramatischen Ereignisse unserer Zeit – Kriege, Flüchtlingswellen und grausame Autokratien – zeugen davon, auch im Kleinen, im Unscheinbaren zeigt sich die Einschränkung der Freiheit: Gesteuerte Fake News, durch Algorithmen gelenkte Social Media, politisch beeinflusste Medienkonzerne und Einschränkungen der Meinungsäußerung durch Copyright-Bestimmungen – ob unsere (Meinungs)freiheit tatsächlich noch frei ist, mag man immer mehr bezweifeln.
Doch auch wir selbst schränken unsere Freiheit ein, wie es vielleicht kein Despot und keine Wirtschaftsmacht schafft: Wir stellen uns die Schranken der Zeit selbst und machen uns zu ihrer Sklaven – Abgabetermine, Prüfungstermine, Verabredungen … Wir eilen durch das Leben wie der Märzhase im Wunder­land und merken dabei nicht, dass wir die Freiheit opfern, unser eigenes Dasein so zu gestalten, das es der für uns beste aller möglichen Lebensentwürfe sein kann. Nicht fremdbestimmt, nicht eingeengt, nicht rastlos, sondern achtsam, wertvoll und nachhaltig.
Zu Pessach brechen wir die Schranken der Zeit auf. Erzählen und erleben den Auszug, die Befreiung von Generation zu Generation, von Jahr zu Jahr immer wieder neu. Diese kollektive Erfahrung gibt uns eine mögliche Antwort auch auf die aktuelle Frage, wie wir unser Leben in Freiheit gestalten können. Und wir müssen unsere Antworten so achtsam und liebevoll gestalten, dass sie ihrerseits auch für unsere Kinder, für kommende Generationen als Halt dienen, um die ihnen gestellten Aufgaben einst in ihrem Sinne lösen zu können. So wie es unsere Vorfahren taten, als sie in die Freiheit auszogen. Eine Verantwortung, die nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine Chance ist.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein fröhliches und frühlingshaftes koscheres Pessach und viel Freude beim Lesen!

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