Ein orientalischer Fabulierer und literarischer Meister

Sein etwas jüngerer Freund Amos Oz ist ihm bereits vor wenigen Jahren vorausgegangen. Nun ist mit Abraham Gabriel Yehoshua auch der letzte große Erzähler der Gründergeneration Israels verstorben.

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Ein alter Mann blickt zurück. Auf sein Leben, auf sein Schaffen, auf seine Beziehungen, auf sein Land. Bereits 2013 hat Abraham B. Yehoshua mit dem Roman Spanische Barmherzigkeit ein Alterswerk im wahrsten Wortsinn vorgelegt. 2019 folgte Der Tunnel, ein Hohelied auf die eheliche Liebe, gewidmet seiner 2016 verstorbenen Frau Ika. Und gleichzeitig ein berührendes Zeugnis der Angst vor dem Verlust der Geisteskräfte, vor einer beginnenden Demenz. Erzählt mit leiser Selbstironie, deren Meister Jehoshua seit jeher war.

Israelische Autoren sind, wenn eine solche Generalisierung zulässig ist, zumeist Geschichtenerzähler. Verknappung, Lakonie, Erzählökonomie findet man sogar bei Autor:innen der jüngeren Generation höchst selten.

Als Sepharde, dessen Vater Orientalist und Übersetzer aus dem Arabischen war – die Familie ist seit mehreren Generationen in Jerusalem ansässig –, war A. B. Jehoshua überdies in der Tradition des orientalischen Erzählens verwurzelt. Ausufernd, abschweifend, in reichen Arabesken fabulierend, mäandert er in scheinbar unendlichen Nebenflüssen, die, kunstvoll die Spannung wahrend, letztlich in einem breiten Strom münden. Ein Könner eben.

Mit seinem Generationenroman Die Manis, in der er auch seine eigene Familiengeschichte bis ins Griechenland des Jahres 1848 vielstimmig in historischen Rückblenden fiktionalisiert, hat er früh seine Meisterschaft bewiesen. Romane wie Der Liebhaber, Späte Scheidung oder Die fünf Jahreszeichen des Molcho beleuchten individuelle Schicksale, die, stets ins Geschehen des Landes eingebettet, von Israel und seiner Geschichte nicht weggedacht werden können. Genauso wenig wie die Traditionen des biblischen, talmudischen Judentums, aus welcher der säkulare Autor ebenso schöpft wie sein bester Schriftstellerfreund Amos Oz.

Zusammen mit Amos Oz, der ihm über
Jahrzehnte ein enger Freund war, und
David Grossmann bildete Yehoshua ein
literarisches Trio, das weit über Israel
hinausstrahlte.
Peter Münch, SZ*

Im Familienroman Freundesfeuer erfährt ein Mann während der Chanukka-Woche unter anderem, dass sein greiser Vater einst für seine heimliche Geliebte in Jerusalem einen eigenen kleinen Lift auf ihr Dachgeschoß hat einbauen lassen und sein Neffe nicht durch Feindeshand gefallen war.

Die Nachricht vom Tod seines einzigen Sohnes in einem Gefecht im Jordantal erhält ein einsamer alter Mann in der erschütternden Erzählung Frühsommer 1970.

Liebe und Tod, die großen Themen der Literatur schlechthin, hat Jehoshua in seinen insgesamt elf Romanen, mehreren Erzählungen und Stücken vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund seiner Heimat in unterschiedlichsten Handlungsentwürfen empathisch variiert.

Dafür ist er mit allen literarischen Preisen, die Israel zu vergeben hat, ausgezeichnet worden. Politisch war der Autor als Angehöriger linker Parteien lange in der Friedensbewegung und der Idee einer Zwei-Staaten-Lösung engagiert, bevor er Letztere 2016 für tot erklärte und eine pragmatischere Form des Zusammenlebens beider Völker propagierte. Seine öffentliche Äußerung, dass ein volles jüdisches Leben nur in Israel möglich sein könne, sorgte, als Abwertung der Diaspora verstanden, vor allem in Amerika für Befremden.

Am 14. Juni ist A. B. Yehoshua 85-jährig in Tel Aviv seinem Krebsleiden erlegen.

„Sein Werk reflektierte uns in einem genauen, scharfen, liebevollen und manchmal schmerzlichen Spiegelbild“, würdigte ihn Israels Präsident Jitzchak Herzog.

*www.sueddeutsche.de/kultur/abraham-b-yehoshua-nachrufisrael-hebraeische-literatur-1.5603017

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