Lea Nanikashvili liebt Wien. Sie kam 1986 in Antwerpen zur Welt und wuchs auch dort auf, aber seit sie im Alter von 18 Jahren mit ihren Eltern aus Anlass einer Feier nach Wien gereist war, wusste sie: „Ich werde auf jeden Fall eines Tages hier leben.“ Inzwischen ist sie seit zwölf Jahren hier – sie hat nach Wien geheiratet. Die Eltern des Paares kannten einander übrigens noch aus Israel. Beide Familien stammen ursprünglich aus Georgien, doch die einen landeten schließlich in Österreich, die anderen in Belgien.
Belgien gab Lea Nanikashvili auch ihre Identität. „Wenn man nicht heute fragt, was ich bin, dann sage ich zuallererst: belgisch.“ Was sie dort allerdings vermisst hat, war, Teil einer jüdischen Gemeinde zu sein. „Ich freue mich heute, Teil der Wiener jüdischen Gemeinde zu sein, weil das hat mir als Kind gefehlt. Man spürt das zwar als Kind nicht, das spürt man erst nachher. Aber genau das liebe ich an Wien. Ich liebe die Stadt, ich liebe es aber eben auch, Mitglied dieser Gemeinde zu sein.“
Noch in Belgien studierte Nanikashvili Jus und schloss das Studium mit einem Bachelor ab. „Aber eigentlich war das nie wirklich meines. Mich hat immer schon Psychologie interessiert.“ Das Kapitel Jus hat sie schon lange hinter sich gelassen. Mit ihrer Übersiedlung nach Wien stand zunächst vor allem das Deutschlernen im Vordergrund. Ganz fremd war ihr die Sprache nicht – sie hatte bereits in der Schule Deutschunterricht.
Nach der Geburt ihrer beiden Kinder, der Sohn ist inzwischen elf Jahre alt, die Tochter acht Jahre, überlegte sie, welchen Weg sie beruflich einschlagen könnte. Sie machte im JBBZ die Ausbildung zur Kindergartenassistentin und später auch zur Tagesmutter. Mehrere Jahre arbeitete sie dann im Kindergarten der ZwiPerez-Chajes-Schule. Das habe sie auch sprachlich gut vorangebracht, sagt sie heute. „Ich habe den Kindern sehr viel vorgelesen – zu Hause und im Kindergarten, und das kann ich jedem empfehlen, der eine Sprache erlernen will: Lest Kinderbücher!“
Ihr Traum ist es, eines Tages die Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin zu machen. Bis es so weit ist, koordiniert sie eben seit vergangenem September die Nachbarschaftshilfe der IKG. „Dabei geht es darum, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, Menschen, die Hilfe brauchen, und Menschen, die ein bisschen unterstützen können.“
Oft sind es Kleinigkeiten, die für den Einzelnen zum großen Problem werden können: Ich bin nicht mehr so mobil, komme zu Hause aber grundsätzlich gut zurecht – wer könnte für mich einkaufen gehen? Ich bin Alleinerzieherin – wer könnte an einem Tag in der Woche mein Kind vom Kindergarten abholen? Hier ist Nanikashvili dann Vermittlerin: Sie weiß, wer zeitliche Kapazitäten hat und helfen möchte, und stellt dann den Kontakt her. Für jene, die hier Unterstützung bekommen, ist diese kostenlos. Für jene, die helfen, ist es eine Mitzwa.
„Wem heute geholfen wird,
der kann in der Zukunft vielleicht
einmal jemand anderem helfen.“
Lea Nanikashvili
„Nachbarschaftshilfe bedeutet: Wir sind füreinander da“, betont Nanikashvili. Auch das mache eine gute Gemeinschaft aus. An jene, die Hilfe brauchen, appelliert sie: „Warten Sie nicht, bis Sie so gar nicht mehr ein oder aus wissen. Es ist immer gut, Hilfe zu holen. Ich weiß, dass es schwierig ist und oft Überwindung kostet: Aber bitte, rufen Sie an, wenn Sie nicht mehr weiterwissen!“ Und an Menschen, die vielleicht ein bisschen Zeit haben, um andere zu unterstützen, schickt sie die Botschaft: „Bitte melden Sie sich. Wir freuen uns auch, wenn Sie nur einmal die Woche ein, zwei Stunden Zeit haben. Jede Mithilfe ist wertvoll.“
Als die Nachbarschaftshilfe vor vier Jahren an den Start ging, waren es noch an die 50 Freiwillige, die sich hier aktiv engagierten. Diverse Krisen, zuletzt ist es die Teuerungswelle, haben hier jedoch ihre Spuren hinterlassen. Aktuell kann Nanikashvili auf rund 25 ehrenamtliche Helfer und Helferinnen zurückgreifen. Es wäre daher fein, wenn dieser Kreis wieder größer würde. Findet Nanikashvili auf die Schnelle in einer Akutsituation niemanden, springt sie selbst ein. „Ich arbeite außerdem auch als Freiwillige, ich gehe zum Beispiel regelmäßig für jemanden einkaufen und unterstütze mehrere Kinder beim Lernen.“ Um sich hier ehrenamtlich zu engagieren, brauche es kein spezielles Wissen und keine Vorbildung, betont Nanikashvili. „Das Einzige, was es braucht, ist ein bisschen Zeit.“
Manchmal ist es nicht einmal nötig, eine um Hilfe suchende Person oder Familie aufzusuchen. „Manches lässt sich auch gut am Telefon beantworten: etwa, wenn eine Mutter nach Ferienbetreuung für ihr Kind fragt. Dann sammle ich hier Informationen und gebe sie weiter. Bei anderen ist es mehr ein bisschen so etwas wie Telefonseelsorge. Manchmal brauchen Menschen einfach eine Person, mit der sie ein bisschen reden können“, erzählt Nanikashvili aus ihrem Alltag. Erreichbar ist sie übrigens telefonisch quasi rund um die Uhr – nur am Schabbat dreht sie ihr Smartphone ab. Eng kooperiert sie zudem mit ESRA, wenn sie sieht, dass hier ein Mehr an Hilfe – von Sozialarbeit bis zu psychotherapeutischer Unterstützung – nötig wäre.
Aktuell haben sich übrigens einige Ukrainer und Ukrainerinnen gemeldet, denen die IKG half, nach ihrer Flucht vor rund einem Jahr in Wien Fuß zu fassen. „Sie haben sich hier eingelebt, arbeiten und wollen nun etwas zurückgeben und haben ihre Hilfe angeboten. Da sieht man auch, dass sich die Rolle ändern kann. Wem heute geholfen wird, der kann in der Zukunft vielleicht einmal jemand anderem helfen – oder umgekehrt.“
NACHBARSCHAFTSHILFE DER IKG WIEN
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Bitte melden Sie sich unter: +43 664 88 20 6752 oder nachbarschaftshilfe@ikg-wien.at