Die jüdische Schullandschaft wächst

Jugendlichen, die ein jüdisches Leben mit dem Schulbesuch vereinbaren möchten, steht nun in Wien eine neue Ausbildungsoption offen: eine Handelsakademie. Betrieben wird sie seit diesem Schuljahr als Expositur der Vienna Business School des Vereins der Wiener Kaufmannschaft in der Unteren Augartenstraße in Kooperation mit dem Lauder Chabad Campus im Augarten.

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Gemeinsam für eine kaufmännische Ausbildung mit jüdischem Background: Chanan Babacsayv, Michael Abramov, Rafael Pomeranz, Alexander Zirkler und Rabbiner Israel Wolosow (v. l. n. r.). © Daniel Shaked

Im Sommer wurde auf der Baustelle am Rand des neuen NordwestbahnViertels noch intensiv gewerkt. Ein früheres Gebäude der Post, bereits vor Jahren von der Lauder Foundation erworben und schräg gegenüber vom Lauder Chabad Campus situiert, wurde großteils entkernt und in ein Schulhaus umgebaut. Hier haben nun diesen Herbst auch die Handelsschule und das Oberstufenrealgymnasium vom Lauder Chabad Campus eine neue Heimat gefunden, nachdem der Campus zuvor schon aus allen Nähten geplatzt war. Im vergangenen Schuljahr musste die Schulleitung bereits Container auf dem Schulareal im Augarten aufstellen lassen.

Wie aber kam es zur Gründung einer jüdischen HAK? Immer mehr jüdische Jugendliche, teils auch aus orthodoxen und traditionell lebenden Familien, besuchten zuletzt die HAK in der Unteren Augartenstraße. Chanan Babacsayv, selbst Absolvent dieser Schule, ist auch Vater eines Sohnes, der derzeit die Handelsakademie in der Leopoldstadt besucht. Rund 20 jüdische Schüler und Schülerinnen zähle der Schulstandort heute. Die Direktion bemühe sich sehr, den Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht zu werden. Wenn aber dann zum Beispiel Pessach in Israel verbracht werde, komme es zu Schwierigkeiten: Auslandsaufenthalte außerhalb offizieller Ferien seien nicht erlaubt, und entschuldigt sei man nur an offiziellen Feiertagen.

Babacsayv suchte daher vor etwa eineinhalb Jahren das Gespräch mit Rabbiner Jacob Biderman. „Und er hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Thema anzugehen. Er hat Gespräche mit dem Verein der Wiener Kaufmannschaft gestartet und uns dann alle sehr überrascht, als er uns kontaktiert und gefragt hat, ob ich als Ambassador für das neue Schulprojekt aktiv werden möchte.“

Nicht nur Babacsayv fungiert nun als Boschafter für die neue jüdische HAK. Dutzende andere ehemalige jüdische Absolventen und Absolventinnen einer Wiener HAK tun dies auch und tragen seit Monaten die Botschaft in die Community. Zu ihnen gehören auch Diana Hayat, Marina Plistiev, der heutige Immobilienentwickler Michael Abramov und der Influencer Rafael Pomeranz. Alle fünf sind selbst Absolventen und Absolventinnen der HAK Vienna Business School.

Diesen September starten trotz kurzer Vorlaufzeit bereits 13 Schüler und Schülerinnen am neuen HAK-Standort.

Als WINA einige der Ambassadors zum Gespräch trifft, stehen wir noch in der Baustelle, auf einer lichtdurchfluteten Fläche, die seit diesem Herbst als Fitnessraum für die Schüler und Schülerinnen dient, wie Alexander Zirkler, Geschäftsführer des Chabad Campus, erklärt. „Es war einfach die Zeit reif für eine jüdische HAK“, betont Zirkler. Der Bedarf für solcheine Schule sei gestiegen, die Nachfrage nach einer kaufmännischen Ausbildung mit Matura auch in religiöseren Kreisen inzwischen hoch. Zwei Faktoren seien entscheidend gewesen, dass das Projekt nun auf Schiene gebracht werden konnte: „Das war einerseits das sehr, sehr positive Entgegenkommen der Wiener Kaufmannschaft und des Direktors der HAK in der Unteren Augartenstraße, Alois Pack. Und das waren andererseits die Ambassadors.“

Berufsbildend und praxisnah. Anders als bei den bisherigen Schulgründungen von Chabad, musste hier nun keine Schule von der Pike auf hochgezogen werden, so Zirkler. Dadurch, dass die neue HAK als Expositur der HAK der Wiener Kaufmannschaft geführt werde, gebe es sowohl einen Lehrplan wie auch ein Lehrer- und Lehrerinnenteam. Chabad wiederum sorge für den jüdischen Rahmen: Hier kann jeder die Feiertage halten, hier gibt es koscheres Essen.

Wer möchte, kann auch am täglichen Morgengebet teilnehmen, sagt Campus-Rabbiner Israel Wolosow. Und für jene, die Interesse haben, werde er auch Torastudium anbieten. Besser auf die Bedürfnisse der jüdischen Jugendlichen Rücksicht genommen werden kann nun aber auch bei Klassenfahrten ins Ausland, etwa wenn es um koschere Verpflegung geht.

Er selbst sei der einzige jüdische Schüler in seiner Klasse gewesen, erinnert sich Pomeranz. Er habe zuvor den Chabad Campus besucht, und das sei eine große Umstellung gewesen. „Es ging ja nicht nur um die Feiertage. Es war am Anfang auch gar nicht leicht, Anschluss zu finden. Als die anderen herausgefunden haben, dass ich jüdisch bin, haben sie mich mit verblüfften Augen angesehen, weil sie noch nie zuvor einen Juden gesehen haben. Und dann haben sie mich mit Fragen bombardiert, etwa, warum trägst du keine Kippa, und warum hast du keine Pejes?“ Nach einiger Zeit habe sich das gelegt. Jüdische Schüler in anderen Klassen seien aber zu MobbingOpfern geworden. Inzwischen ist Pomeranz’ Schulzeit lange vorbei, er hat auch sein Studium absolviert und führt heute mit der GoViral Media GmbH ein Unternehmen, das Social Media Marketing für Unternehmen anbietet. Es sei fein, dass es nun eine HAK gebe, die auf die Bedürfnisse jüdischer Jugendlicher Rücksicht nehme.

KONTAKT:
VIENNA BUSINESS SCHOOL
Direktor Mag. Alois Pack
Mail: a.pack@vbs.ac.at
Tel.: +43/(0)1/330 02 41
augarten.vbs.ac.at

Das sieht auch Abramov so. Für ihn war die HAK „die Schulform, die mich am meisten geprägt hat. Wenn man mich heute fragt, welche Schulform ich empfehlen würde, sage ich immer, eine berufsbildende höhere Schule. Und daher finde ich dieses Projekt auch so spannend und wichtig.“ Eine kaufmännische Ausbildung mit der jüdischen Welt zu verbinden, das spreche auch viele Familien in der Gemeinde an, ist er überzeugt. „In meiner Schulzeit war das für mich als jüdischer Schüler, der gerne koscher gegessen und die Schabbat-Gesetze eingehalten hätte, jedes Jahr Thema bei den Klassenreisen. Jedes Jahr musste man diskutieren.“ Er ist zudem davon überzeugt, dass diese HAK der Türöffner für weitere berufsbildende jüdische Schulen sein könnte. „Vielleicht gibt es dann ja in fünf bis zehn Jahren auch eine jüdische HTL für Informatik.“ Die Digitalisierung sei in aller Munde, das Interesse an Informatik auch unter Jugendlichen in der jüdischen Gemeinde hoch.

Babacsayv, der wie Abramov in der Immobilienbranche arbeitet, betont zudem, dass die neue HAK in einem Viertel liege, in dem gerade an die 6.000 neue Wohnungen entstehen. „Es kann also sein, dass sich hier auch jüdische Familien verstärkt ansiedeln.“ Die gute Schulinfrastruktur wäre da ein schlagkräftiges Argument. Er freut sich jedenfalls sehr, dass die von ihm angestoßene Idee so rasch in die Praxis umgesetzt werden konnte. Diesen September starten trotz kurzer Vorlaufzeit bereits 13 Schüler und Schülerinnen am neuen HAK-Standort. Das sei nicht zuletzt den Ambassadors zu verdanken, die das neue Schulprojekt innerhalb weniger Wochen in der Gemeinde bekanntgemacht hätten, freut sich Alexander Zirkler.

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