Unter dem nationalsozialistischen Regime wurden die Juden aus Wien vertrieben und ermordet. Ihre enteigneten, im Land verbliebenen Besitztümer aber sorgten für eine stabile Grundlage im Nachkriegsösterreich. Was für die jüdische Gemeinschaft gilt, trifft in gleicher Weise auf die umgebende nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft zu. Österreich versteht sich bekanntlich gerne als Kulturgroßmacht, in aller Welt wird das Bild des imperialen Wien touristisch erfolgreich verkauft. Der Staat, das Land, die Stadt und ihre Bürger, sie alle leben vom kulturellen Erbe. Es ist ihre ökonomische Basis im zweifachen Sinn: Neben berühmten Schriftstellern, Nobelpreisträgern, der Wiener Medizinischen Schule, dem Wiener Kreis, dem Wien des Fin de Siècle, Ringstraße, Staatsoper und Musikverein spielen dabei die Enteignungen der NS-Zeit sowie die Nicht-Restitutionspraxis der Nachkriegszeit und der damit verbundene erfolgreiche Wiederaufbau des „Neuen Österreich“ eine ganz entscheidende Rolle. Die Verantwortung für das materielle Erbe der Vertriebenen und Ermordeten ist somit eine mehrfach geteilte: Bund, Land, Stadt, Kultusgemeinde, Bürgerinnen und Bürger sind gleichermaßen gefragt, wenn es darum geht, ihre Wurzeln: das verwaiste, heute gefährdete Kulturgut der Nachwelt zu erhalten.
Die Kraft der Wurzeln. Vom Wert der Erinnerung und unbemerktem Verfall
Die wirtschaftliche Basis der Kultusgemeinde ruht auf dem Immobilienbesitz der Wiener Juden vor 1938. Durch das NS-Regime wurden sie enteignet und verfolgt. Das Erbe der zerstörten alten IKG Wien – und zugleich auch ihr Ansehen, ihre Errungenschaften und ihre Wertschätzung – nicht nur zu nutzen, sondern auch zu pflegen, gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Kehile, die sich damit auf ihre eigenen Wurzeln besinnt. Eine Serie von Tina Walzer