Zeitgeist, Globalisierung und Freiheit ohne Ende? Führen diese Entwicklungen zu einem „freestyle Judentum“, das sich jeder selbst kreiert? Von Manja Altenburg
Laut der Historikerin Diana Pinto sind „alle Juden in Europa heute freiwillige Juden. Die Zeit der Diktaturen und Diskriminierungen ist vorbei, nun kann jeder seine eigene jüdische Identität frei und ungestört selbst entfalten.“ Seit 1945 haben sich im deutschsprachigen Raum viele verschiedene religiöse Strömungen (neu) entwickelt, die jedem die Möglichkeit geben, jene Ausrichtung zu finden, die zum selbt gewählten Lebensplan am besten passt. Trifft jedoch diese Aussage auch für „die erste Generation danach“, wie die Kantorin Jalda Rebling die zweite Generation bezeichnet, zu?
Trauma versus Tradition?
Viele aus dieser Generation, wie der 51-jährige Marcel, sagen von sich, dass sie in einem Spannungsverhältnis zwischen (Nicht-)Tradition und Traumatisierung leben und dass diese Spannung starke Auswirkungen auf ihre jüdische Identitätsbildung hat.
Obwohl viele aus dieser Generation die religiösen Haltungen ihrer Eltern als unzeitgemäß für das eigene Lebenskonzept empfinden, tun sie sich schwerer als andere Kinder, sich von diesen Einstellungen zu distanzieren oder Alternativen in den eigenen Lebensentwurf zu integrieren. Das führt Marcel, dessen Eltern beide Schoaüberlebende sind, darauf zurück, dass „positive Anknüpfungspunkte nach denen ich die eigene jüdische Identität ausrichten hätte können, absolute Mangelware zu Hause waren. Bis heute lebe ich in einem diffusen Spannungsgefühl zwischen Tradition und Moderne, meine eigene Rollenvorstellungen weichen von denen meiner Eltern, die den orthodoxen Ritus pflegen, sehr ab. Aber, so paradox es klingen mag, in der Praxis lebe ich ihre Vorstellungen.“