Auf allen Kanälen herrscht seit vier Monaten Ausnahmezustand. Es laufen fast nur aktuelle Sendungen, nonstop, rund um die Uhr. Das Programm besteht aus einer Endlosschleife aus Nachrichten, Berichten, Reportagen, Diskussionsrunden, Interviews.
Jeden Tag werden neue persönliche Geschichten erzählt. Von Überlebenden, die sich erstmals in ihre verwüsteten und niedergebrannten Häuserruinen zurückwagen, und rettenden Helden, die oft ihr eigenes Leben gelassen haben. Von Hinterbliebenen und Wartenden, von freigelassenen Geiseln und denen, die immer noch in den Tunneln von Gaza sind. Von Soldaten, die kämpfen, von Beerdigungen der Gefallenen und vom Weitermachen. Es sind Geschichten von Trauma und Resilienz.
Einen festen Platz haben die Geiseln. Ihr Schicksal ist ein Dauerthema. Manche Nachrichtensprecher tragen gelbe Schleifen am Revers. Vor Kurzem wurden Angehörige gezeigt, wie sie mit Megafonen an der Grenze stehen und ihren Lieben versichern, dass sie nicht vergessen seien. Die Israelis wissen längst, wer zu wem gehört. Familien schicken Grußbotschaften, im Radio und vor der Kamera, in der Hoffnung, dass diese vielleicht doch irgendwie bei den Adressaten ankommen. Denn manchmal, so erzählen Freigekommene, hatten sie Zugang zu israelischen Medien.
„Wir kennen einen solchen Modus aus der
Vergangenheit. Aber nicht über einen so
langen Zeitraum und mit dem Gefühl, dass
es bei diesem Krieg um die Existenz geht.“
Motti Neiger
In diesen erinnert auf allen Sendern ein kleines Emblem daran, dass Krieg ist. „Gemeinsam werden wir siegen“, steht da, oder „Israel im Krieg“. Bei Beschuss tauchen auf dem Bildschirm orange-blaue Streifen mit den Namen der betroffenen Orte auf. Der Zuschauer weiß: Im Süden kommt der Beschuss von der Hamas, im Norden von der Hisbollah.
In seltenen Fällen steht dort Eilat, dann sind es die Huthis aus dem Jemen. Aus dem Fernsehen erfährt man dann auch schnell, ob eine Rakete irgendwo eingeschlagen hat, ob es Tote, Verletzte oder nur Sachschäden gibt. Manchmal kommt es auch zum Fehlalarm, dann geben die Journalisten Entwarnung.
Ein Briefing des Armeesprechers gehört oft zum abendlichen Fernsehritual. Daniel Hagari erwähnt dann die Namen der gefallenen Soldaten, gibt ein Update zur Lage. Es ist ein Mix aus Serviceleistung, Trauerarbeit und Therapie. „Wir kennen einen solchen Modus aus der Vergangenheit“, sagt Motti Neiger, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Bar-Ilan-Universität. „Aber nicht über einen so langen Zeitraum und mit dem Gefühl, dass es bei diesem Krieg um die Existenz geht.“ Selbst die Werbung hat ihre Slogans angepasst. Auch wird der bisher rot verpackte „türkische Kaffee“ jetzt als blau verpackter „griechischen Kaffee“ angepriesen. Athen ist einmal näher als Ankara.
Zudem waren Journalisten selbst noch nie so direkt ins Geschehen involviert. Da ist der Moderator des zweiten Kanals, Danny Kushmaro. Ihn hatten am 7. Oktober im Studio in Echtzeit Notrufe von Israelis in den Schutzräumen erreicht. Er und seine Kollegen versuchten, Hilfe zu organisieren, in den langen Stunden, in denen die Armee auf sich warten ließ. Da ist Roee Idan aus dem Kibbuz Kfar Aza, der als Fotograf für das Nachrichtenportal Ynet arbeitete. Am Morgen des 7. Oktobers ging er vor die Tür und sah die Gleitschirme der Hamas bei ihrer Landung. Er schaffte es noch, das Video in die Redaktion zu schicken, dann wurden er und seine Frau ermordet. Die vierjährige Tochter Abigail wurde verschleppt und kam als Waise zurück. Da ist auch Amir Tibon, Redaktor bei Haaretz. Er und seine Familie konnten nach vielen Stunden im Schutzraum von seinem Vater, einem hochrangigen Offizier der Reserve, gerettet werden.
„Wir sind eine Volksarmee. Es sind unsere Kinder,
Freunde, Partner und Väter, die kämpfen und sterben.
Das gilt für die Zuschauer genauso
wie für die Journalisten im Studio.“
Motti Neiger
Der Unterton im Fernsehen ist zweifellos patriotisch. Aber es sei nicht so, dass die Medien ihre Fähigkeit eingebüßt hätten, schwierige Fragen an die Regierung zu stellen, sagt Neiger. „Ein Teil dieser Kritik wird über andere Akteure transportiert, denen man eine Bühne gibt.“ Zu ihnen zählen Bürgermeister evakuierter Ortschaften in den Grenzgebieten und die Evakuierten selbst. Viele harren noch immer in Hotelzimmern aus, zumal nicht klar ist, wie lange der Krieg in Gaza noch dauert und ob noch ein weiterer gegen die Hisbollah ansteht. Sie wollen wissen, welche langfristige Strategie der Ministerpräsident verfolgt. Andere fordern eine schnellere Aufklärung des eigenen Versagens am 7. Oktober. So haben investigative Recherchen enthüllt, dass Warnungen von Soldatinnen auf Beobachtungsposten nicht ernstgenommen wurden.
Kritik ist in Kriegszeiten aber immer auch ein Dilemma. Das macht sich Kanal 14 zunutze, der als Sprachrohr des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gilt. Die Moderatoren werfen gerne den Journalisten der anderen drei Sender vor, dass sie den nationalen Kampfgeist unterminierten und den Feind unterstützten. Hassan Nasrallah lieferte ihnen ein Beispiel, als er sich in einer Rede explizit auf israelische Kommentatoren und ihre Einschätzungen bezog. Sie würden ihre Armee im Sumpf von Gaza versinken sehen, sagte Nasrallah. Neiger sieht das als „ein Problem in jeder Demokratie, in der freie Medien über ein Kriegsgeschehen berichten“. Allerdings betont er auch den Kontext, der Israel besonders macht und es etwa von den Vereinigten Staaten unterscheidet. Denn der Krieg gegen die Hamas finde direkt vor der Haustür statt, und auch gesellschaftlich gebe es keine große Distanz zu den Soldaten im Einsatz. „Wir sind eine Volksarmee. Es sind unsere Kinder, Freunde, Partner und Väter, die kämpfen und sterben. Das gilt für die Zuschauer genauso wie für die Journalisten im Studio.“
Den Fernsehmoderatoren steht die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Sie erzählen weiterhin jeden Tag vor allem die eigenen Geschichten. Journalismus sei zunächst einmal ein Dienst an der Gemeinschaft, betont Motti Neiger. In diesem Sinne würden sie in diesen besonderen Zeiten ihrem professionellen Anspruch durchaus gerecht werden.
Aber im Krieg gibt es auch die andere Seite. Über die Lage in Gaza wird berichtet, wenn auch äußerst begrenzt. Man zeigt die Zerstörung, vor allem aus der Sicht der Armee, aber wenig von der Not und vom Hunger der Menschen. Man sieht auch keine Leichen von Zivilisten unter den Ruinen. „Grundsätzlich zeigen unsere Medien keine expliziten Bilder von Toten. Nicht von dort und nicht von hier“, sagt Neiger. Für mehr Berichte über Gaza aber fehle es auch an der Nachfrage. „Die Empathie gilt zuallererst den eigenen Leuten. Da geht schon die gesamte Energie hin, die wir noch haben.“ Waren bei früheren militärischen Konflikten mit der Hamas oftmals Telefongespräche mit Palästinensern in Gaza in den Fernsehstudios übertragen worden, sind solche Verbindungen jetzt nicht mehr vorhanden. Manchmal sieht man kurze Interviews mit ganz normalen Menschen auf der Straße, die vor der Kamera die Hamas verfluchen. „Das gibt uns dann in gewisser Weise Recht. So etwas zeigt aber auch, dass nicht alle Palästinenser mit der Hamas gleichzusetzen sind“, sagt Neiger.
Die Kluft zwischen der Innen- und Außenwahrnehmung ist groß. Viele Israelis fürchten, dass die Welt nicht mehr auf Israel schaut und inzwischen nur mehr mit den Palästinensern sympathisiert. „Es hilft uns nicht, dass wir hier in einer völlig anderen Dimension leben und man woanders ein ganz anderes Bild der Realität präsentiert bekommt“, sagt die Fotografin Anat Saragusti. Sie hat die aktuelle Ausstellung Local Testimony in Tel Aviv kuratiert, die einen umfassenden Blick auf die Ereignisse des vergangenen Jahres werfen sollte. Nach dem 7. Oktober musste alles neu gedacht werden. Ein Teil ist jetzt nur dem Krieg gewidmet. Am Anfang steht das Video mit den Gleitschirmen von Roee Idan.