Der Burgtheaterstar erzählt von der langjährigen Arbeit mit dem großen „Spielmacher“ und den wichtigen Themen in seinem Leben: Judentum, Liebe und Tod. Von Marta S. Halpert
wina: Sie waren nicht nur einer der Lieblingsschauspieler von George Tabori, sondern ihm auch in inniger Freundschaft verbunden. Erzählen Sie uns von Ihrem allerersten Zusammentreffen mit ihm?
❙ Ignaz Kirchner: Das war 1984 in München; wir saßen in einem Lokal in der Nähe der Kammerspiele an verschiedenen Tischen. Plötzlich kam er zu mir herüber und sagte: „Ich habe dich in Wilhelm Reichs Rede an den kleinen Mann gesehen. Ich hätte Lust, etwas mit dir zu machen. Hast du vielleicht auch Lust?“ Ich sagte ja, und das war unser erster Kontakt.
Haben Sie je für ihn vorsprechen müssen?
❙ Nein, weder bei Peter Zadek noch bei George musste man vorsprechen. Beide hatten eine profunde Menschenkenntnis: Da trank man einen Kaffee zusammen, und die konnten das dann schon einschätzen.
Wie war es, mit George Tabori zu arbeiten?
❙ Die erste gemeinsame Arbeit war das Drama Totenfloß von Harald Mueller. Das kam sehr gut an, es handelte sich um ein Endzeitstück in einem atomar und chemisch verseuchten Deutschland – kurz davor ereignete sich die Katastrophe in Tschernobyl. George hat das so inszeniert, dass wir zweieinhalb Stunden im Wasser stehen mussten. Das war unsere erste Arbeit und die war sehr schön.
Er ging dann nach Wien, um sein Stück Mein Kampf zu schreiben. Und er hat gesagt, dass er bei der Figur des Schlomo Herzl bereits an mich gedacht hat. Er holte mich dann nach Wien, und die Premiere fand im Mai 1987 am Akademietheater statt. Er wollte eigentlich nur dieses eine Stück hier machen, aber dann sind doch ein paar Jährchen daraus geworden.
Tabori hatte aber vor der Uraufführung in Wien Angst. Angeblich ließ er sich ein Fluchtauto vor das Theater stellen, falls es zu einem Theaterskandal kommen sollte …
❙ Damals war Wien das Antisemitischste, was ich kannte. Ich kam ja aus Deutschland und mitten in die Waldheim-Affäre hinein: Wir standen vor dem Stephansdom, um zu protestieren. Was wir da zu hören bekamen, war unfassbar: Was für einen Hass es da gab!
Hat sich da etwas geändert?
❙ Vielleicht ist es etwas weniger geworden, aber der Antisemitismus ist hier ständig präsent, ebenso wie die Fremdenfeindlichkeit. Ich möchte hier nicht auf dem Land leben, da ist es sicher noch viel schlimmer. Sicher gibt es heute in den ehemaligen Ostblockländern oder auch in Frankreich ebenfalls Antisemitismus, das ist so, und das wird auch immer so bleiben. Das wird sich nicht ändern.
Wie ist Tabori mit seinem Judentum umgegangen? Wie hat sich das im täglichen Umgang mit ihm manifestiert?