Die Helden der Nachbarschaft

Dieser Monat war eine Herausforderung für uns alle, aber die Momente der Solidarität und Menschlichkeit machten ihn zu einem ganz besonderen Monat.

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Supermarktangestellte arbeiten auch in der Coronakrise auf Hochtouren. © flash 90

Es gehört viel Geduld dazu, Distanz in der Schlange vor dem Supermarkt einzuhalten. Seitdem es fast täglich Updates vom Gesundheitsministerium gibt, wie man sich richtig verhalten soll, wenn man das Haus verlässt, steigt die Unsicherheit. Muss ich Handschuhe tragen beim Einkauf, soll ich mir eine Schutzmaske besorgen, gehöre ich vielleicht zu der Risikogruppe, die den Supermarkt gar nicht betreten soll? Solche und andere Fragen gehen einem durch den Kopf, bevor man die Reise um Lebensmittel und Haushaltswaren antritt.
Vor meinem Supermarkt steht Sicherheitsmann Vitali, der diese angespannte Situation etwas erträglicher macht. Vitali ist Mitte sechzig, hat einen Schnurrbart und einen Bierbauch. Er hat eine Zahnlücke, die nicht zu übersehen ist, denn er lacht sehr oft. Er sitzt auf einem Hochstuhl beim Eingang des Victory-Supermarkts in der Lincoln-Straße in Tel Aviv. Vitali kommt jeden Tag mit dem Fahrrad in die Arbeit, und nach seiner Schicht packt er frisches Gemüse, Schwarzbrot und ab und zu auch eine Flasche Vodka in seinen Fahrradkorb. Ihm gegenüber sitzt Mischa, er ist zur Unterstützung gekommen, da es in diesen Tagen viele gereizte Gemüter gibt und die beiden dafür sorgen müssen, dass alles nach den neuen Verordnungen glatt abläuft.

Trotz vieler leerer Regale bemüht sich das Personal, Ordnung zu halten.

Nachdem ich 15 Minuten vor dem Supermarkt in der Schlange stehe, darf ich endlich hinein. Vitali winkt mich rüber, und ich mache automatisch meine Einkaufstasche auf, damit Mischa sie kontrollieren kann. Bevor ich den Supermarkt betreten darf, sagt Vitali zu mir: „Zuerst die Kontrolle vom Doktor.“ Wir lachen, und er hält mir das Fieberthermometer an den Kopf. „Du darfst eintreten“, sagt Vitali. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich das nur in den Nachrichten gesehen, aber jetzt wird auch hier Fieber gemessen. Ich bedanke mich bei ihm, dass er unter diesen Umständen noch arbeitet, und packe meine Einkaufsliste aus meiner Jackentasche. Er lächelt und sagt: „Wir haben keine Wahl, wir müssen weiterarbeiten, das sind die Vorschriften.” Seine gute Laune bleibt unverändert. Bevor er die nächste Person zu sich bittet, langt er zu seinem Fahrradkorb und schiebt sich eine Erdbeere unter seiner Schutzmaske in den Mund.
Trotz vieler leerer Regale bemüht sich das Personal, Ordnung zu halten. Die Kassiererinnen sind geduldig und freundlich. Die Kunden nehmen aufeinander Rücksicht und drängeln nicht an der Kasse. Viele Supermärkte bieten Zustellservice und Onlinebestellungen an, doch aufgrund der hohen Nachfrage kann die Lieferung bis zu einer Woche dauern. In meiner Nachbarschaft ist der Supermarkt gut besucht und für die meisten der einzige Kontakt zur Außenwelt. Für mich ist es auf jeden Fall mein Highlight, denn in der Küche finde ich meinen Trost in dieser Zeit.
Im gegenüberliegenden Haus wohnt eine junge Familie mit drei kleinen Kindern und einem wunderschönen Balkon mit wuchernden Pflanzen. Am Freitagnachmittag höre ich die Kinder kichern und laut von ihrem Balkon im dritten Stock runter rufen: „Opa, Oma!“ Auf dem Gehsteig stehen ihre Großeltern, die ihnen mit ausgestreckten Armen zuwinken. Es wird geplaudert, und die Kinder erzählen, was sie schon alles zuhause gemacht haben. Die Mutter holt die Zeichnungen der Kinder, und diese halten sie stolz in Richtung ihrer Großeltern. Langsam, langsam lassen die Kinder an einem Seil ein kleines Paket herunter: „Wir haben für euch Challa gebacken. Schabbat Schalom!“ Die Großeltern nehmen das Paket entgegen und verabschieden sich. Zwischenmenschliche Beziehungen in Zeiten von Corona.

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