Wer ihn vorher als französischen Komponisten und Chansonier nicht kannte, lernte Serge Gainsbourg spätestens nach dem lustvollen Stöhnen in seinem populärsten Hit Je t’aime … moi non plus kennen. Im Duett mit der Britin Jane Birkin veröffentlichte er 1969 seinen größten Erfolg und empörte die Tugendhüter bis hin zum vatikanischen Osservatore Romano, der das Lied als „beschämende Obszönität“ bezeichnete. Den Titel hatte Gainsbourg bereits zuvor mit Brigitte Bardot aufgenommen, sie erlaubte die Veröffentlichung aber erst 1986.

Der französische Musiker Boris Vian brachte ihn 1958 von der Malerei ab und führte ihn zum Chanson.

Doch das wäre bei diesem Universaltalent, das vor 30 Jahren, am 2. März 1991, gestorben ist, zu kurz gegriffen. Als Lucien Ginsburg in Paris geboren, gilt er nicht nur in Frankreich als einer der einflussreichsten und kreativsten Singer-Songwriter (auteur-compositeur-interprète) seiner Epoche. Gainsbourg, der am 2. April seinen 93. Geburtstag gefeiert hätte, beeinflusste nicht nur die französische Popmusik, sondern auch das Kino und die Literatur. Für mehr als vierzig Filme schrieb er die Drehbücher und die Musik. Er liebte die künstlerische und öffentliche Provokation: Gerne erzählte er von seiner Live-Tournee 1980, als er bei einem Auftritt vor zahlreichen französischen Fallschirmjägern in Straßburg die Marseillaise als Reggae interpretieren wollte. Die Armeeangehörigen wollten die Nationalhymne so nicht hören und protestierten lautstark. Daraufhin trat Gainsbourg ohne seine Musiker auf die Bühne und sang mit dem Publikum a cap­pel­la das Original.
Obwohl in Paris geboren, reichen Gainsbourgs Wurzeln in das russische Kaiserreich zurück. Sein Vater, Joseph (Jossip) Ginsburg, wurde 1898 in Charkow, Ukraine, geboren, studierte Klavier am dortigen Konservatorium und interessierte sich besonders für bildende Kunst. Von der Krim stammt seine Mutter, die Sängerin Olga Besman. 1919 floh das Ehepaar vor dem russischen Bolschewismus über Istanbul und Marseille nach Paris, wo Joseph Ginsburg die Familie als Klavierspieler in Bars und Cabarets über die Runden brachte. Sohn Lucien (später Serge) erhielt von seinem Vater eine klassische Klavierausbildung, obwohl dieser ihn unbedingt für die Malerei begeistern wollte. Bereits mit 12 Jahren schrieb sich Lucien an der Académie Montmartre ein und bekam dort Unterricht von zwei Postimpressionisten.
Während der NS-deutschen Besetzung Frankreichs versteckte sich die jüdische Familie Ginsburg bis nach Kriegsende auf dem Land; Lucien musste damals auch den Judenstern tragen. Nach der Rückkehr nach Paris inskribierte er an einer Universität, machte aber keinen Abschluss. In den Jahren 1948/1949 leistete er seinen Wehrdienst in der Infanterie, und 1951 heiratete Serge Gainsbourg Elisabeth Levitsky, die Tochter eines emigrierten russischen Aristokraten. Sie arbeitete für mehrere Künstler und machte den damals malenden Serge u. a. mit Salvador Dali bekannt. Gainsbourg gab bis zu seinem 30. Lebensjahr Unterricht in Zeichnen und Gesang, weil er hauptsächlich von der Malerei lebte. Er bewunderte Francis Bacon und lernte auch bei Fernand Léger. Erst der französische Musiker Boris Vian brachte ihn 1958 von der Malerei ab und führte ihn zum Chanson.
Zum Durchbruch als Chansonkomponist verhalf ihm die Sängerin Michèle Arnaud: Ab 1957 begleitete er sie bei ihren Auftritten in diversen Pariser Nachtklubs. Die Künstlerin hörte die Chansons ihres Begleiters zum ersten Mal und sang diese während der gemeinsamen Vorstellungen, u. a. auch den Schlager Les papillons noirs. Die Live-Auftritte und Schallplatten wurden ein großer Erfolg, das bestärkte Gainsbourg darin, weiter zu komponieren: Bereits 1965 gewann France Gall mit seiner Komposition Poupée de cire, poupée de son den Eurovision Song Contest. Zehn Jahre später erschien sein Album Rock around the bunker, in dem er sich mit der deutschen NS-Besetzung Frankreichs, seiner jüdischen Herkunft und seinen Erfahrungen mit der SS auseinandersetzte.
Serge Gainsbourg, dem zahlreiche Affären mit Frauen des französischen Showgeschäfts nachgesagt wurden, war zweimal verheiratet und hatte insgesamt vier Kinder mit drei verschiedenen Frauen. Zwölf Jahre lebte er mit Jane Birkin zusammen, ihrer gemeinsamen Tochter, der Schauspielerin Charlotte Gainsbourg, widmete er zahlreiche Lieder und drehte auch Filme mit ihr. „Er trank zu viele Zigaretten“, beschrieb eine französische Zeitung seine multiplen Süchte, nachdem er an Herzversagen gestorben war. Sein musikalischer Stil lässt sich nicht eingrenzen: Gemeinsam sind all seinen Liedern jedoch die ausdrucksstarken Texte, die sich durch meisterhafte Wort- und Lautspiele auszeichnen.


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