Das Leben der rund 20.000 Juden in der Türkei spiegelt alle Merkmale einer Diaspora-Gemeinde wider. Von Marta S. Halpert
Wieder einmal wurden sie allein gelassen. Sie fassten aber Mut und marschierten gemeinsam zur renovierten Neve Schalom Synagoge, um an den 10. Jahrestag des Bombenanschlags Ende 2003 zu erinnern. Mit Blumen und Fotos der Ermordeten sowie roten Kippot und gleichfarbigen Schals bildeten Männer und Frauen eine breite Front der Entschlossenheit: „Ich bin hier“, war auf Türkisch und Hebräisch auf ihren Kippot zu lesen. Weder regierungstreue Medien noch offizielle Vertreter fanden es wert, sich mit den jüdischen Bürgern Istanbuls zu solidarisieren. Neve Schalom – die Oase des Friedens – wurde damals zu einem tödlichen Inferno: 57 Tote und mehr als 700 Verletzte lautete die Schreckensbilanz, nachdem türkische Selbstmordattentäter mit al-Qaida-Anbindung die mit Sprengstoff beladenen Busse in zwei historische Synagogen gerammt hatten.

Unter den Opfern des Anschlags waren eine hochschwangere Frau, ein zehnjähriges Mädchen und ein 19-jähriger Freiwilliger, der während einer Bar-Mitzwa-Feier die Tempeltüre bewachte. Die Gedenkrede Ende November 2013 hielt Dani Baran, ein Überlebender, der auch als freiwilliger Sicherheitsmann am Tatort war. „Die Terroristen kämpften im Namen Allahs und töteten unschuldige Menschen, die zum gleichen G-tt für eine friedvollere Welt beteten.“ Baran zählte eine Reihe antisemitischer und minderheitenfeindlicher Vorfälle in der Türkei auf und kritisierte die anderen Überlebenden wegen ihrer Weigerung, über die aktuellen Ereignisse in ihrem Land mit der jüngeren Generation zu sprechen. „Kein Jude in der Diaspora kann existieren oder sich verteidigen, ohne seine eigene Geschichte zu kennen. Unser Leben hat nur einen Sinn, wenn wir ohne Angst aufzeigen, dass wir hier sind und frei unsere Meinung sagen.“ Daraufhin rief der Präsident der türkisch-jüdischen Gemeinde, Isaak Ibrahimzadeh, seine Mitglieder auf, kleine Differenzen untereinander zugunsten eines größeren Zusammenhalts aufzugeben.