Zerrissene Fäden dokumentiert den Kulturverlust durch die Vernichtung der jüdischen Modeszene in der NS-Zeit.
Von Anita Pollak
Dass „mit den Juden die Eleganz aus Berlin“ verschwunden war, stellte ausgerechnet Magda Goebbels ganz richtig fest. Auch Emmy Göring kaufte ihre Garderobe in jüdischen Konfektionshäusern, solange es eben möglich war, denn nach Hitlers Machtübernahme forderten die Nazis vehement eine Mode von „Ariern für Arier“. Spätestens 1938 war es dann endgültig aus mit den eleganten Salons und den opulenten jüdischen Konfektions- und Warenhäusern in Deutschland und Österreich. Herzmansky und Gerngross in Wien wurden arisiert. Eine kurze Hochblüte, die mit Isaak Singers Nähmaschine in der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen und in den Goldenen Zwanzigerjahre ihren glamourösen Höhepunkt erreichte, ging damit jäh zu Ende.
Im von diesen Schauplätzen fernen Vancouver präsentierte eine Ausstellung unter dem Titel Broken Threads 1999 die grausame Zerstörung jüdischer Mode und den damit verbundenen Kulturverlust an Hand von exquisiten Originalkleidungsstücken, die ein leidenschaftlicher Sammler von Textilien, Claus Jahnke, vor allem aus der von jüdischen Haute-Couture-Designern und Produzenten dominierten deutsch-österreichischen Modeszene zusammengetragen hatte. Darauf aufbauend beleuchtet der Band Zerissene Fäden in einzelnen Beiträgen diese kreative und kommerziell höchst erfolgreiche Modeindustrie und die Auswirkungen ihrer Vernichtung in der NS-Zeit.
Leonore Ehrlich-Freiman wurde als Jüdin eine Woche nach Hitlers Einmarsch in Wien aus der Modeschule Michelbeuern ausgeschlossen. Eine ihrer eleganten Modeskizzen eröffnet das auch ihrem Andenken gewidmete in blaues Leinen gebundene Buch. Seine eingestreuten Illustrationen dokumentieren anschaulich den auf die Arisierung folgenden Verlust von Geschmack. „ADEFA“ nannte sich die Arbeitsgemeinschaft arischer Kleidungsfabrikanten, und ihre Entwürfe sehen genau danach aus. Ein unübersehbarer Kontrast etwa zu den eleganten Ensembles für Damen und Herren aus dem Wiener Salon Knizé, der seit 1880 von dem Berliner Juden Albert Wolff geführt wurde. Mit den Entwürfen seines Designers Ernst Dryden wurde Knizé eine der ersten internationalen Modemarken. „Ein Anzug von Knizé war der Traum einer ganzen Generation junger Österreicher.“ Dryden ging schon vor 1938 als Kostümausstatter für Filme nach Hollywood. Mit Filmausstattungen, allerdings für deutsche Streifen, überlebte in Wien auch der Haute-Couture-Salon Tailors Stone & Blyth unter seinem Geschäftsführer Fred Adlmüller die Nazizeit, in der natürlich die anspruchsvolle jüdische Klientel fehlte. Er hatte das Haus vom jüdischen Ehepaar Sass, das nach London emigriert war, übernommen, die als eine der ganz wenigen nach ihrer Rückkehr 1948 ihren Besitz zurück erhielten.
Die Bedeutung, die Wien und Berlin gerade durch die jüdischen Betriebe als europäische Textilzentren hatten, gab ihnen nach dem Krieg allerdings niemand mehr zurück. Nur wenige Kaufhauspaläste, die nach der Jahrhundertwende in beiden Metropolen architektonische Zeugen dieser Blüte wurden, sind heute noch erhalten.