Öl, Getreide und Sklavenarbeit

Der Wiener Hafen hat seine Geschichte von einem Historiker-Team aufarbeiten lassen. Unter den Nazis wurde er kräftig ausgebaut, dann von amerikanischen Bomben und russischen Granaten wieder weitgehend zerstört. Untrennbar verbunden ist er mit zahlreichen Zwangsarbeitern – auch jüdischen.

1315
1940-1941: Betonierung von Ankerplatten für eine Spundwandverankerung. ©Archiv-Hafen-Wien

Der Hafen Wien feiert heuer sein 60-jähriges Jubiläum. Das war dem Management und den Eigentümern, über die Wien Holding die Stadt, ein Anlass, sich genauer die eigene Geschichte anzusehen. „Erfolgreiche Unternehmen betrachten nicht nur ihren wirtschaftlichen Wirkungskreis kritisch, sondern blicken auch auf ihre historische Verantwortung“, begründete das Kurt Gollowitzer, Geschäftsführer der Wien Holding.

Daher beauftragte der Hafen Wien ein unabhängiges, externes Team des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien mit einer Studie über seine Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg. Zwei Jahre arbeiteten Ina Markova und Stefan Wedrac an ihrem Bericht über Ausbau, Zerstörung und Zwangsarbeit auf dem Gelände des heutigen Hafens während der NS-Zeit.

Als die Nazis 1938 in Österreich die Macht übernahmen, gab es vollmundige politische Ankündigungen, so Ina Markova. Hermann Göring sprach von einem gewaltigen Ausbauprogramm für einen riesigen Wiener Hafen. Lokale Planer nahmen das ernst und entwickelten unre-alistische Prognosen, die von künftigen 20 Millionen Jahrestonnen Umschlag ausgingen, sogar mehr als die 18 Mio. des Hamburger Hafens, des größten im Deutschen Reich. „Es schien nicht sonderlich durchdacht“, analysiert Markova diese Pläne. Die dazu notwendigen Handelsströme an der Donau gab es nicht in diesem Umfang, und wie hätten diese auf einmal so dramatisch wachsen sollen.

Entlang des Wiener Hafens wurden große Getreidespeicher errichtet. © Archiv-Hafen-Wien

Stefan Wedrac erkennt hinter der großspurigen Propaganda schon klare kriegswirtschaftliche Ziele. Es ging keineswegs um eine Aktivierung des internationalen Warenverkehrs auf der Donau, sondern vor allem um die Sicherung des für die künftigen motorisierten Angriffskriege notwendigen Kraftstoffs. Seit den 1930er-Jahren hatte die Erschließung österreichischer Ölquellen im Marchfeld eingesetzt. Deutschland verfügte praktisch über keine eigenen Ressourcen, daher sollten die der „Ostmark“ ausgebaut und nutzbar gemacht werden. Auch mit dem Wiener Hafen als Drehscheibe.

Die wenigen fertig gestellten
Teilstücke des Donau-Oder-Kanals
dienen heute als Badeseen.

 

Laut Markova hatte die Errichtung großer Getreidespeicher ebenfalls strategische Überlegungen als Basis. Man wusste von der Lebensmittel-knappheit im Ersten Weltkrieg und der da-raus resultierenden Antikriegsstimmung in Wien.

Insgesamt gab es drei Baustellen an der Donau, die ab der Jahreswende 1938/39 sukzessive in Angriff genommen wurden:
Da war einmal der Ausbau des bestehenden Winterhafens Freudenau am rechten Donauufer. Hier handelte es sich um La-gerhallen und Öldepots.
Dann ging es um den Alberner Hafen, ebenfalls am rechten Ufer. Zwar wurde nur ein neues Becken an Stelle der geplanten drei ausgegraben, aber man errichtete mehrere mächtige Getreidespeicher.
Und schließlich sollte die Lobau am linken Donauufer zu einer Energiedrehscheibe werden. Hier baute man ein großes Öllager für 160.000 Tonnen und eine Raffinerie. Die technische Expertise kam von US-Konzernen, von Shell und Vacuum Oil, der späteren Mobil: Die Raffinerie wurde von einer Rohöl-Pipeline aus der Zistersdorfer Gegend im Weinviertel gespeist und lieferte ihrerseits raffinierte Produkte, etwa Flugbenzin, über eine 300 Kilometer lange Pipeline nach Nordwesten ins Reich, an die Elbe. In der Lobau begannen auch die Arbeiten am Donau-Oder Kanal ab der Einmündung in die Donau. Er sollte aber nur Stückwerk bleiben.

Wien 1940: Angelieferte Pflastersteine wurden von Zwangsarbeitern händisch ausgeladen. ©Archiv-Hafen-Wien

Die Arbeitskräfte für diese Großprojekte kamen aus den unterschiedlichsten Ländern, und ganz am Anfang waren es Freiwillige, etwa Italiener, Männer aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, sogar Dänen. Doch bald wurden sie durch Zwangsarbeiter kräftig aufgestockt, erst mit zivilen und dann mit Kriegsgefangenen, Franzosen aus dem Westfeldzug, später auch mit Russen. Dies ließ sich recht gut aus Daten der Sozialversicherung herauslesen, erzählt der Historiker Wedrac, die oft Länderkürzel enthielten. Für Verletzte aus Arbeitsunfällen gab es an Wiener Spitälern, etwa der heutigen Klinik Ottakring, Barackenzubauten. In den Krankenhäusern direkt wollte man sie nicht verarzten.

Ab Mitte 1944 kamen dann jüdische Zwangsarbeiter dazu, nachdem die Wehrmacht Ungarn besetzt hatte. Dabei handelte es sich nicht mehr nur um kräftige Männer, sondern auch Alte, Frauen, sogar Kinder. „Sie sind in den Sozialversicherungsdaten nicht enthalten“, erzählt Markova. „Daher ist es extrem schwer, genaue Zahlen anzugeben. Aber die unterste Grenze dürften 430 gewesen sein, das geht aus Listen bei Nachkriegsprozessen hervor.“ Dies vergleicht sich mit einem Gesamtstand von etwa 1.000 Zwangsarbeitern zu dieser Zeit.

Die Jüdinnen und Juden lebten teils in eigenen Baracken im Lagerkomplex Lobau, teils wurden sie auch gemeinsam mit anderen Zwangsarbeitern untergebracht. Das sollte dann zu Kriegsende noch eine entscheidende, oft lebensrettende Rolle spielen. Ihre Aufgaben lagen nun nicht mehr im Ausbau des Hafens, sondern bei den immer wieder notwendigen Aufräumarbeiten und Reparaturen nach alliierten Luft angriffen. Seit die Front in Italien nach Norden gerückt war, wurde Wien häufig Ziel von US-Bomberstaffeln. Die Raffinerie wie das Öllager waren vorrangige strategische Ziele und von der Luftaufklärung leicht auszumachen.

Stefan Wedrac und Ina Markova haben sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Geschichte des Wiener Hafens beschäftigt. ©Reinhard Engel

Wie viele der jüdischen Männer und Frauen insgesamt bei Schinderei und Bombardements im Hafenareal ums Leben kamen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, so die Historiker. Man kann 20 bis 30 Fälle genau nachverfolgen, aber laut Markova müssen es deutlich mehr gewesen sein. Die Akten der für Todesfälle zuständigen lokalen Behörden, der Standesämter, gingen am Ende des Kriegs weitgehend verloren. Bei den wenigen dokumentierten Fällen war meist „Herzschwäche“ als Ursache eingetragen, ein kaum verschleierte Synonym für die allgemeine Erschöpfung der durch die schwere Arbeit zu Tode Geschunden. Kurz vor Kriegsende wurden dann noch jüdische Zwangsarbeiter auf Todesmärsche geschickt, und zwar jene, die in ihren eigenen Baracken untergebracht waren. Andere, die in gemischten Unterkünften wohnten, hat man offensichtlich nicht verschleppt, weiß Markova. Ein Marsch ging nach Nordwesten, ins Lager Theresienstadt, einer nach Westen, Donau aufwärts. Im Hofamt Priel im Bezirk Melk kam es in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai zu einem Massaker. Unter den 228 dort von der SS ermordeten Jüdinnen, Juden und Kindern stammten zumindest 20 bis 30 aus dem Lobau-Lager am Wiener Hafen.

Was blieb von den großen NS-Projekten? Die Anlagen rund um den Winterhafen in der Freudenau fielen zum Großteil den Kämpfen beim Vorrücken der Roten Armee auf Wien zum Opfer. Zerstörungen an Gebäuden und Lagerhallen waren umfangreich. Durch US-Bomber weitgehend den Erdboden gleichgemacht waren auch die Raffinerie und das Öllager in der Lobau. Dennoch wurde die Raffinerie von den USInvestoren wieder rudimentär in Stand gesetzt, dann von der sowjetischen Mineralölverwaltung übernommen. Sie war später im Besitz der damaligen ÖMV, jetzt OMV, und sah Anfang der 1960er-Jahre mit dem Ausbau der Raffinerie Schwechat ihre Stilllegung. Die wenigen fertig gestellten Teilstücke des Donau-Oder-Kanals dienen heute als lang gestreckte Badeseen, gesäumt mit Ferienhäusern von Wienern. Die mächtigen Getreidespeicher, die gegen Kriegsende im Rahmen eines Verbrannte-Erde-Befehls beinahe gesprengt worden wären, sind auf dem Weg zum Flughafen von Weitem sichtbar. Sie werden immer noch genutzt.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here