„Sie wollen uns nicht kennen – aber ins Kino gehen’s.“

Vor genau 30 Jahren begründete Kurt Rosenkranz das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung (JIFE). Später rief der aus einer Wiener Familie stammende Schoah-Überlebende auch das Jüdische Filmfestival ins Leben.

2837
© Ronnie Niedermeyer

WINA: Das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung feiert dieses Jahr sein dreißigjähriges Bestehen. Wie kam es damals zur Gründung?
Kurt Rosenkranz: Dazu muss ich geschichtlich ein wenig ausholen. Zur Zeit des „Anschlusses“ 1938 ist es meiner Wiener Familie geglückt, sich mit einem Touristenvisum nach Lettland zu retten. Dort waren wir drei Jahre lang unbehelligt – dann wurden wir allerdings als „deutsche Spione“ verhaftet und in ein Internierungslager in Nowosibirsk gebracht. In diesem Lager hatten die Gefangenen keine Beschäftigung und konnten sich außerdem frei bewegen. Als Vierzehnjähriger habe ich unbeschreibliche Szenen dort beobachtet. Hätten die Leute Messer gehabt – aus Langeweile wären sie damit aufeinander losgegangen. Schon da erkannte ich: Eine Beschäftigung muss der Mensch haben, ansonsten wird er wahnsinnig.

Wie ging es weiter – welche Faktoren führten unmittelbar zur Genese des JIFE?
❙ Immer wieder fragte ich G-tt, wieso er mich am Leben gelassen habe. Eines Tages – ich hielt gerade als Schoah-Überlebender einen Vortrag – antwortete er erstmals auf diese Frage: „Das, was du jetzt machst, soll in Zukunft deine Arbeit sein.“ Zusammen mit meiner Frau interpretierte ich diese Aussage. Wir kamen zu dem Schluss, dass es letztlich darum ginge, Menschen über das Judentum aufzuklären. Judenhass rührt ja vor allem daher, dass unsere Kultur den Menschen fremd und vorurteilsbehaftet ist. Die Idee war, das Judentum in Form einer Art Volkshochschule den Menschen auf Augenhöhe näherzubringen. So scharte ich zwei, drei Helfer um mich und gemeinsam bauten wir das Institut auf.

»Eine Beschäftigung muss der Mensch haben,
sonst wird er wahnsinnig.«

Wie verlief die erste Zeit nach der Gründung?
❙ Da es keinen Präzedenzfall gab, konnte sich zuerst niemand etwas darunter vorstellen. Sogar die Kultusgemeinde war darüber nicht sonderlich beglückt. Nachdem aber das Institut eröffnet war, kam auf einmal das breitflächige Interesse daran. Ich wurde in andere Länder eingeladen, um darüber zu sprechen. Alle sagten, was für eine tolle Idee es sei. Und doch hat es kein anderes Land nachgemacht. Bis heute sind wir das einzige solche Institut auf der Welt.

Welche Kurse „stehen hoch im Kurs“?
❙ Talmud und Thora sind Themen, die auch viele Nichtjuden interessieren und gut ankommen. Für Juden gibt es ja innerhalb der Gemeinde ausreichend Möglichkeit, die religiösen Schriften zu lernen. In unserem Institut richtet sich der Unterricht eher an Menschen, die keinen jüdischen Background haben. Die Hebräisch- und Jiddischkurse werden aber auch von Juden in Anspruch genommen.

Sie haben ja auch jiddischsprachiges Theater und Kino nach Wien gebracht …
❙ Bei uns daheim wurde Jiddisch gesprochen. Als wir in Riga gelebt haben, gab es dort ein wunderbares jiddisches Theater. Mein Bruder und ich gingen in unserer Freizeit hin, und so lernte ich alle klassischen jüdischen Stücke kennen, wie Der Dibbuk von Salomon An-Ski oder Der Gott der Rache von Schalom Asch. Jiddisch ist eine Sprache des Herzens, und wer Jiddisch versteht, versteht vieles über die europäische jüdische Seele. Also bin ich in der Welt herumgefahren und habe jiddische Theatertruppen eingeladen, nach Wien zu kommen und hier zu spielen. Elf Jahre lang habe ich das mit organisiert. 1991 habe ich dann auch die Jüdische Filmwoche ins Leben gerufen [heute Jüdisches Filmfestival Wien, Anm. d. Red.]. Weil: Man kennt uns nicht, man will uns auch nicht kennen – aber ins Kino gehen’s.

Vorhin meinten Sie, Antisemitismus basiere auf Unwissen. All Ihre Initiativen verfolgen also vorrangig das Ziel, dieses Unwissen zu bekämpfen?
❙ Wir kämpfen nicht. Wir präsentieren das Wissen auf einem Silbertablett. Ein Film, ein Theaterstück, eine Sprache. Man kann niemanden zwingen, in einen Vortrag zu gehen.

Wie wird Ihre Mesusa [jüdische Schriftkapsel am Türpfosten] hier im Gemeindebau angenommen?
❙ Den meisten fällt sie nicht einmal auf. Die, die es wissen wollen – Muslime oder Christen –, fragen nach. Ich verheimliche mein Judentum nicht, im Gegenteil.

Sie kommen ursprünglich aus einem frommen Haus. Welche Bedeutung hat das religiöse Judentum für Sie heute?
❙ Inzwischen bin ich nicht mehr fromm, aber gläubig. Ich glaube, dass G-tt mit mir zufrieden ist. Aus diesem Glauben schöpfe ich Kraft – und ich habe, g-ttlob, noch viel Kraft!

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here