Der Hutmacher

Nuriel Molcho ist der älteste Sohn des Pantomimen Samy Molcho und der Gastronomin Haya Molcho. Die von seiner Mutter begründeten Marke NENI für israelische Küche verantwortet er europaweit als Chief Marketing Officer. Seit 2018 betreibt er am Naschmarkt mit seiner Frau Audrey die Hutwerkstatt „Nomade Moderne“.

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© Ronnie Niedermeyer

WINA: Auf alten Fotos findet man kaum Menschen, die draußen ohne Hut unterwegs waren. Wer trägt heute noch Hüte und zu welchem Anlass?
Nuriel Molcho: Ich glaube, dass in früheren Jahrzehnten Konformität eine große Rolle gespielt hat. Für viele Menschen war es wichtig und sogar notwendig, hineinzupassen und nicht als Außenseiter zu gelten. Damals war der Hut ein integraler Teil des Outfits, es gab viele Hutträger und dementsprechend viele Hutmacher. Inzwischen ist ein Hut zur Ausnahme geworden und bewirkt daher genau das Gegenteil: Du fällst damit auf. Die Hutträger von heute sind kreative Menschen, die Konformität ablehnen und lieber aus der Masse herausstechen. Unsere Kunden können Männer oder Frauen sein, jung oder alt. Aber sie sind allesamt Freigeister, die klassisches Handwerk schätzen. Oft beteiligen sie sich am Prozess, ihren individuellen Hut zu kreieren. Daher werden sie auch gerne auf der Straße darauf angesprochen.

Im orthodoxen jüdischen Hutmacher Shmuel Shapira hattest du einen Mentor. Was hat er dir mitgegeben?
Kein Hutmacher öffnet dir gleich seine Pforten und verrät dir seine Geheimnisse. Die Hutmacherei ist ein seltenes Handwerk geworden, das mittlerweile nicht mehr viele Leute beherrschen. Ich habe einige Hutmacher angeschrieben und wurde in der Regel mit einem freundlichen „Nein“ abgewiesen. Auch Shmuel Shapira hat mir zuerst davon abgeraten, in diese Branche einzusteigen. Erst als ihm klar wurde, dass ich einen anderen Brotberuf habe, hat er eingewilligt, dass ich einen Tag mit ihm verbringe und ihm über die Schulter schauen kann. Viele der Tipps, die er mir an diesem Tag gegeben hat, verwenden wir nach wie vor. Aber es war mir auch wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen. Hätte ich eine klassische Lehre gemacht, wäre ich im Grunde nur eine schlechtere Version von meinem Meister geworden. Wenn du eingeimpft bekommst, was „richtig“ und was „falsch“ ist, bleibt dir kein Raum für eigene Ideen. Ich wollte meinen Weg selbst erkunden, Fehler machen, daraus lernen.

»Die Hutträger von heute sind kreative Menschen, die Konformität ablehnen und lieber aus der Masse herausstechen.«

 

Wie bist du überhaupt auf dieses zweite Standbein gekommen?
Es hat alles damit begonnen, dass ich mir die Haare lang wachsen lassen wollte. Also konsultierte ich einen Bekannten, der auch lange lockige Haare hat. Er meinte zu mir: „Bis deine Haare richtig lang sind, werden sie schwer zu bändigen sein. Kauf dir einen Hut!“ Also machte ich mich auf die Suche, fand aber nichts, was wirklich zu mir passte. Hutmacher wiesen auf Kosten von 2.000 Euro und einem halben Jahr Wartezeit hin. Da dachte ich mir, wieso nicht selbst machen? Ich zog mir unzählige YouTube-Videos rein, kaufte alte Filze zum Experimentieren. Natürlich blieb es nicht bei dem einen Hut. Audrey hat ein Händchen für das Nähen. Als sie merkte, dass ich es mit dem Hutmachen ernst meine, hat sie mich dabei bestärkt weiterzumachen. Dann haben wir gemeinsam die Werkstatt ins Leben gerufen.

Du bist hauptberuflich im Familienkonzern NENI tätig. Was macht Audrey, wenn sie nicht gerade in der Werkstatt arbeitet?
Audrey studiert regenerative Landwirtschaft, hat mit Erde und mit Tieren zu tun. Sobald sie mit ihrem Studium fertig ist, wollen wir eine eigene NENI-Farm gründen. Mit den angebauten Produkten sollen die Restaurants versorgt werden, natürlich alles grün und sustainable. Dazu soll es vor Ort ein kleines Hotel geben. Aber mehr kann ich dazu noch nicht verraten.

Hüte zu machen ist
für Nuriel Molcho der
kreative Ausgleich für seine
hauptberufliche Arbeit
im Familienkonzern NENI. © Ronnie Niedermeyer

NENI-Restaurants gibt es unter anderem in Wien, Berlin, Zürich, Paris, Amsterdam … Wie findest du neben deiner hauptberuflichen Tätigkeit überhaupt Zeit, um Hüte zu machen?
Wie schon der Name sagt, bin ich Nomade. Wenn nicht gerade Lockdown ist, fliege ich durch ganz Europa, um Vorarbeit zu leisten, Kontakte zu knüpfen, Opening-Events zu veranstalten, Qualitätskontrollen durchzuführen. Die Hutwerkstatt hat keine Öffnungszeiten, manchmal habe ich monatelang gar keine Zeit, um Hüte zu machen. Ich will nicht davon leben können, ich liebe es als kreativen Ausgleich. Wenn ich die Zeit habe, nehme ich mir die Zeit, und wenn nicht, dann nicht. Gerade deswegen macht es so viel Spaß.

Wie vermeidest du es, bei zwei so berühmten Eltern unter Leistungsdruck zu stehen?
Wer Leistungsdruck hat, leistet nicht sein Bestes. Er bringt dich dazu, Entscheidungen zu treffen, wenn du noch gar nicht dazu bereit bist. In unserer Familie werden wir nicht an den Dingen gemessen, die wir schaffen. Die Eltern haben uns nie nach unseren Schulnoten gefragt, als wir klein waren. Vielmehr haben sie uns den Mut mitgegeben, wieder aufzustehen, wenn es uns einmal ordentlich aufgeblattelt hat. Meine Eltern haben beide ihre Leidenschaft ausgelebt und sind große Vorbilder für uns. NENI ist ein Familienbetrieb, das heißt, alle großen Entscheidungen werden in der Familie getroffen. Da nicht jeder alles machen kann, wurden die Aufgaben danach aufgeteilt, wer in welchem Bereich etwas bewirken kann. Für mich waren das Marketing und PR. Logoentwicklung, Innovationen, Synergien, Schnittstellen – das sind Bereiche, um die ich mich kümmere. Elior verantwortet die technischen Bereiche, Ilan kümmert sich um die finanzielle Seite, Haya um das kulinarische Konzept. Und all das geht ohne Druck, weil jeder den Bereich gefunden hat, der ihm liegt. Erst wenn den Druck komplett wegfällt, kannst du dich entfalten.

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