Shlomo Avineri zeigt in seiner brillanten, nun endlich auch in deutscher Übersetzung vorliegenden Herzl-Biografie, wie historisch verwurzelt und gleichzeitig aktuell der Gründervater des jüdischen Staates ist. Und dass er ohne Wien undenkbar wäre. Mit dem prominentesten Politikwissenschaftler
Israels sprach Anita Pollak.
WINA: Welche Rolle spielt Theodor Herzl heute im politischen und öffentlichen Leben? Ist er nur noch ein Mythos, eine Ikone?
Shlomo Avineri: Herzl war immer eine Ikone. Jedes Schulkind in Israel kennt seinen Namen, aber oft nicht viel mehr. Herzl war der Visionär des jüdischen Staates, das wissen alle. Aber er hat ja nicht nur den jüdischen Staat in Palästina vorausgesehen, sondern auch, dass dieser eine arabische Minderheit haben wird, mit der man sich auseinandersetzen muss. Er hat ein liberales, demokratisches, pluralistisches Israel gesehen, in dem Nicht-Juden, vor allem Araber, gleichberechtigt sein sollen. Er hatte nicht die Vision eines exklusiv jüdischen Staates, sondern die Vision eines jüdischen Nationalstaates mit gleichberechtigten Minderheiten und darüber hinaus die Vision eines sozialen Wohlfahrtstaates. Das sind wichtige Elemente, die in gegenwärtigen Debatten in der israelischen Politik vielleicht sogar präsenter sind als in der Vergangenheit.